Selten so geärgert. Es gab ein Interview mit Peer Steinbrück, der sich befragen ließ von Thomas Strobl, Frank Lübberding und Jochen Venus (den ich nicht kenne). Aus dem Hintergrund konnte Schirrmacher schießen.

peerstDas Interview ist eine Analyse wert, die es an Länge übertrifft, da ich aber hier keine Wissenschaft betreibe, beschränke ich mich auf eine grobe Einschätzung und ein Detail.
Es wäre eines der besten Interviews gewesen, die ich seit langem gelesen habe, was vor allem den Fragen Lübberdings zu verdanken ist. Auch Strobl war zumindest so wach, den Begriff “Neoliberalismus” einzuwerfen und dessen Errungenschaften in einem Halbsatz zu würdigen. Es wurde also an der Oberfläche deutlich mehr Kritik in die Diskussion gebracht als man üblicherweise erwarten darf.

Lübberding fasste sogar einmal nach, als es darum ging, Steinbrück anzukreiden, dass er mit dem Begriff “Vollkaskomentalität” bestimmte “Bevölkerungsschichten” anspräche. Den Schönredner dann aber im entscheidenden Augenblick von der Kette und sich heraus lavieren zu lassen, ist ein unverzeihlicher Fehler. Das ist ebenso ärgerlich wie das eitle Blabla rund um einen Neoliberalismus, der nur genannt und nicht diskutiert wurde. Was aber ist Steinbrück, wenn nicht ein Sturmgeschütz jener Ideologie?

Halbherziges Nachfassen

In den Kommentaren bei weissgarnix kommt das zur Sprache:

schau mal luebberding wenn ich sowas lese:

” Ich wende mich gerade gegen eine weitere Liberalisierung des Arbeitsmarktes, weil ich den Eindruck habe, dass sich die Gesellschaft darüber immer weiter aufspaltet und die prekäre Beschäftigung weiter zunimmt. Die Bürger verlieren Sicherheit, sie sind desorientiert und umso empfänglicher für sehr einfache Parolen. Aber mit der Vorstellung, dass der Arbeitsmarkt nicht weiter liberalisiert werden sollte, ist man im politischen und medialen Umfeld der reputierlichen Marktwirtschaft ziemlich alleine.”

Weisst du, da bekomme ich Gänsehaut. Meine Fußnägel wissen nicht wohin sie sich rollen sollen. Wer hat denn die Agenda 2010 eingeläutet? Wer hat denn bei dem ganzen Spiel alles abgenickt? Und nun kommt ein vollversorgter Parteifunktionär und rettet die Welt? Will Bundeskanzler werden? @ Merkel meine Stimme hast du 2013 ich gehe wählen.

Lübberdings Antwort:

“Wer hat denn die Agenda 2010 eingeläutet? Wer hat denn bei dem ganzen Spiel alles abgenickt?”

Wird deshalb seine Aussage falsch? Was stört Dich jetzt?

Das ist der traurige Höhepunkt, dass er es tatsächlich nicht begreifen will: Die Aussage ist nicht nur falsch, sie ist eine Lüge, und zwar eine, die in die Zukunft hinein wirkt. Was muss man nehmen, um Steinbrück zu glauben, dass er sich Sorgen macht, “dass sich die Gesellschaft darüber immer weiter aufspaltet und die prekäre Beschäftigung weiter zunimmt”? Das exakt ist sein Werk, seines und das seiner Genossen.

Ist eine Lüge eine falsche Aussage?

War die Agenda 2010 falsch? Iwo! Sind “einfache Parolen” falsch? Zum Beispiel von arbeitslosen Eltern, die ihre Stütze nur in “Pils und Zigaretten” investieren? Beides, die Aufspaltung der Gesellschaft, die Verarmung der Unterschicht einerseits und das losgelassene Pöbeln über jedwede Opfer neoliberaler Politik andererseits, sind Steinbrücks originäres Handwerkszeug. Es ist seine tiefste Überzeugung, dass dies genau so richtig ist. Die weitere Zunahme prekärer Beschäftigung scheitert schon daran, dass sich kaum mehr wer findet, den man auch noch dort hinein zwingen kann. Und wenn doch – schert’s den Peer?

So gelingt es dem aktuell größten Blender und Populisten tatsächlich, sich als Heilsbringer und Menschenfreund darzustellen, dessen Authentizität noch das kritischste Interview übersteht. Sogar eines mit “Bloggern”.

Werden deshalb seine Aussagen falsch? Was stört mich jetzt? Nein, ein Lügner war der Mann schon immer, seine Feuertaufe die Mehrwertsteuererhöhung. Seine seit Jahren gepflegte kalte Herabwürdigung der Verlierer des “Wettbewerbs” ein Markenzeichen.
Mich stört, dass der Mann nicht so gefeiert wird wie es ihm gebührt: Mit einem Hagel von Schuhen.

Bildquelle: Peter Schmelzle