Wie eine “Diktatur” eine andere im Zaum hält, entdeckt Markus Völker für die TAZ. Gemeint ist der Umgang Chinas mit dem IOC. Der Weltsportkonzern, der sich “Internationales Olympisches Kommitee” nennt, muß die “Realitäten” anerkennen, die der starke Staat bestimmt. Bislang behielten sich die Funktionäre des Sportgeschäfts vor, selbst über alle Belange zu bestimmen, die die Ausrichtung ihrer Veranstaltungen betrafen. Wer die “Spiele” ins Land holen wollte, mußte sich vom IOC bis ins Kleinste vorschreiben lassen, was dafür zu tun sei. Ob für den Ausbau von Sportstätten, die Übertragung der Ereignisse oder den Abschluß von Verträgen nationales Recht gebrochen oder demokratisch legitimierte Institutionen entmündigt werden mußten, spielte dabei selten eine Rolle. Auch und gerade westliche Demokratien winden sich im Staub, um beim großen Geschäft dabei sein zu dürfen.
Daß China die Sache anders angeht, liegt aber nicht daran, daß es eine Diktatur ist. Im Gegenteil hat das Selbstbewußtsein des starken Staates ein durchaus demokratisches Potential, weil es eben die Diktatur des Weltkonzerns “IOC” nicht anerkennt. Warum kann sich China das leisten? Sicher nicht, weil sich die Regierung nicht vor seinem Volk rechtfertigen muß. Im Gegenteil wäre das Zurechtstutzen der selbstgefälligen Funktionärsriege eine Zier für jede Demokratie. Nein, China muß keine Angst vor dem IOC haben, weil es die wirtschaftliche Macht hat, so zu handeln. Es muß keine Angst haben, nie wieder ein Großereignis ausrichten zu dürfen. Es weiß, daß es wichtiger ist als die grauen Herren aus der Ehrenloge. Der Kotau vor den Konzernen ist ihnen schlicht fremd.
Zu fragen ist also, warum die Demokratie der Demokratien an diesem Punkt endet. Warum geht eine Wirtschaftmacht wie die Bundesrepublik Deutschland nicht mit demselben Selbstbewußtsein vor? Wie entsteht der Irrglaube, die Einzelinteressen von Konzernen und Verbänden müßten stärker berücksichtigt werden als das Interesse der Bürger und ihres Staates? Ist Deutschland schwächer als China? Kann eine Ameise wie das IOC oder andere Wertschöpfungsvereine wirklich dem Riesen drohen, in dessen Garten sie herumkrabbelt?
Sie kann es nur, weil das mediale Schattenspiel ein gigantisches Bild des Winzlings an die Wand wirft und die Angst vor dem Monster geschürt wird, das droht, alle aufzufressen. Der Staat, die verfasste Gemeinschaft, wird dabei kleingeredet und zum Diener der Interessen Einzelner degradiert, als müßte er das Monster besänftigen. Als “starker Staat” darf er nur auftreten, wenn es gilt, mit Zwang und Gewalt die Ordnung zu sichern, die wiederum die Interessen solcher “Wirtschaft” fördert. Im Angesicht des Geldes wird das wirkliche Verhältnis umgekehrt: Die Gesellschaft und ihre Organisation, die das Fundament erfolgreichen Wirtschaftens sind, dürfen keine Bedingungen stellen, sie sollen nicht einmal mitreden dürfen. Eine “Diktatur” wie China läßt sich das ganz selbstverständlich nicht bieten. In den westlichen “Demokratien” hat sich dagegen eine Unterwürfigkeit vor den vermeintlich Mächtigen etabliert, für die sich eine aufgeklärte Kultur in Grund und Boden schämen müßte. Aufklärung aber war gestern. Inzwischen knippst die Ameise selbst das Licht an und sorgt für pompöses Donnergrollen. Was brauchen wir Zensur, wir haben doch unsere gut geschmierte Medienmaschine!