China und die Angst vor der Ameise
Posted by flatter under PolitikKommentare deaktiviert
22. Aug 2008 0:41
Wie eine “Diktatur” eine andere im Zaum hält, entdeckt Markus Völker für die TAZ. Gemeint ist der Umgang Chinas mit dem IOC. Der Weltsportkonzern, der sich “Internationales Olympisches Kommitee” nennt, muß die “Realitäten” anerkennen, die der starke Staat bestimmt. Bislang behielten sich die Funktionäre des Sportgeschäfts vor, selbst über alle Belange zu bestimmen, die die Ausrichtung ihrer Veranstaltungen betrafen. Wer die “Spiele” ins Land holen wollte, mußte sich vom IOC bis ins Kleinste vorschreiben lassen, was dafür zu tun sei. Ob für den Ausbau von Sportstätten, die Übertragung der Ereignisse oder den Abschluß von Verträgen nationales Recht gebrochen oder demokratisch legitimierte Institutionen entmündigt werden mußten, spielte dabei selten eine Rolle. Auch und gerade westliche Demokratien winden sich im Staub, um beim großen Geschäft dabei sein zu dürfen.
Daß China die Sache anders angeht, liegt aber nicht daran, daß es eine Diktatur ist. Im Gegenteil hat das Selbstbewußtsein des starken Staates ein durchaus demokratisches Potential, weil es eben die Diktatur des Weltkonzerns “IOC” nicht anerkennt. Warum kann sich China das leisten? Sicher nicht, weil sich die Regierung nicht vor seinem Volk rechtfertigen muß. Im Gegenteil wäre das Zurechtstutzen der selbstgefälligen Funktionärsriege eine Zier für jede Demokratie. Nein, China muß keine Angst vor dem IOC haben, weil es die wirtschaftliche Macht hat, so zu handeln. Es muß keine Angst haben, nie wieder ein Großereignis ausrichten zu dürfen. Es weiß, daß es wichtiger ist als die grauen Herren aus der Ehrenloge. Der Kotau vor den Konzernen ist ihnen schlicht fremd.
Zu fragen ist also, warum die Demokratie der Demokratien an diesem Punkt endet. Warum geht eine Wirtschaftmacht wie die Bundesrepublik Deutschland nicht mit demselben Selbstbewußtsein vor? Wie entsteht der Irrglaube, die Einzelinteressen von Konzernen und Verbänden müßten stärker berücksichtigt werden als das Interesse der Bürger und ihres Staates? Ist Deutschland schwächer als China? Kann eine Ameise wie das IOC oder andere Wertschöpfungsvereine wirklich dem Riesen drohen, in dessen Garten sie herumkrabbelt?
Sie kann es nur, weil das mediale Schattenspiel ein gigantisches Bild des Winzlings an die Wand wirft und die Angst vor dem Monster geschürt wird, das droht, alle aufzufressen. Der Staat, die verfasste Gemeinschaft, wird dabei kleingeredet und zum Diener der Interessen Einzelner degradiert, als müßte er das Monster besänftigen. Als “starker Staat” darf er nur auftreten, wenn es gilt, mit Zwang und Gewalt die Ordnung zu sichern, die wiederum die Interessen solcher “Wirtschaft” fördert. Im Angesicht des Geldes wird das wirkliche Verhältnis umgekehrt: Die Gesellschaft und ihre Organisation, die das Fundament erfolgreichen Wirtschaftens sind, dürfen keine Bedingungen stellen, sie sollen nicht einmal mitreden dürfen. Eine “Diktatur” wie China läßt sich das ganz selbstverständlich nicht bieten. In den westlichen “Demokratien” hat sich dagegen eine Unterwürfigkeit vor den vermeintlich Mächtigen etabliert, für die sich eine aufgeklärte Kultur in Grund und Boden schämen müßte. Aufklärung aber war gestern. Inzwischen knippst die Ameise selbst das Licht an und sorgt für pompöses Donnergrollen. Was brauchen wir Zensur, wir haben doch unsere gut geschmierte Medienmaschine!
August 22nd, 2008 at 00:56
Sehr interessanter Gedanke, in der Tat. Dass das IOC auch nur ein kleines Rädchen im Spiel der Konzerne ist, kann man daran erkennen, dass der “mächtigste Sportfunktionär der Welt” von Konzernvertretung zu Konzernvertretung eilen und die Konzernlenker besänftigen muss (aus welchen Gründen auch immer).
August 22nd, 2008 at 00:56
Sehr interessanter Gedanke, in der Tat. Dass das IOC auch nur ein kleines Rädchen im Spiel der Konzerne ist, kann man daran erkennen, dass der “mächtigste Sportfunktionär der Welt” von Konzernvertretung zu Konzernvertretung eilen und die Konzernlenker besänftigen muss (aus welchen Gründen auch immer).
August 22nd, 2008 at 02:24
Starker Kommentar!
August 22nd, 2008 at 02:24
Starker Kommentar!
August 22nd, 2008 at 12:34
Flatter schrieb: “Wie entsteht der Irrglaube, die Einzelinteressen von Konzernen und Verbänden müßten stärker berücksichtigt werden als das Interesse der Bürger und ihres Staates?”
Ganz einfach, weil unsere Politiker keine Ahnung von unserer Verfassung haben und deshalb nicht merken, dass diese Geisteshaltung grundgesetzwidrig ist.
August 22nd, 2008 at 12:34
Flatter schrieb: “Wie entsteht der Irrglaube, die Einzelinteressen von Konzernen und Verbänden müßten stärker berücksichtigt werden als das Interesse der Bürger und ihres Staates?”
Ganz einfach, weil unsere Politiker keine Ahnung von unserer Verfassung haben und deshalb nicht merken, dass diese Geisteshaltung grundgesetzwidrig ist.
August 22nd, 2008 at 18:30
Ich glaube, es spielt eine große Rolle, dass die politischen Eliten (inkl. der im Bundes- und Landtagen versammelten Gesetzgebern) die “private Wirtschaft” zur geheimen Folie ihres Sehnens und Strebens gemacht haben. Anders gesagt, sie möchten gerne (fast) alle so sein, wie ein erfolgreicher Spitzenmanager, sie haben gerne, sogar überaus gerne Umgang mit Spitzenvertretern der Wirtschaft und sie fühlen sich durch fast nichts stärker geehrt als dadurch, dass sie einem privaten Hausmusik-Abend in entsprechenden Kreisen beiwohnen dürfen.
Dazu kommt eine finanzielle Entfremdung vom Normalbürger: In den letzten 30 Jahren hat sich der durchschnittliche Parlamentsvertreter – finanziell – starkt vom Normalbürger entfernt, mithin, er lebt nun in einer eigenen Welt, mit sehr eigenen Sorgen. In dieser Welt zählen die Interessen der Bürger und vor allem der durchschnittlichen Normalbürger deutlich weniger.
Welchen Charme hat aus Sicht eines sich für Elite haltenden Bundestagsabgeordneten z.B. eine bei KIK einkaufende Alleinerziehende, die ihre politischen Interessen im Regelfall nur recht grob und ungeschliffen zum Ausdruck bringen kann – im Vergleich z.B. zu den Umgangsformen und der eleganten Sprache eines durchschhnittlichen Wirtschaftsvertreters?
Keinen bzw. kaum einen.
August 22nd, 2008 at 18:30
Ich glaube, es spielt eine große Rolle, dass die politischen Eliten (inkl. der im Bundes- und Landtagen versammelten Gesetzgebern) die “private Wirtschaft” zur geheimen Folie ihres Sehnens und Strebens gemacht haben. Anders gesagt, sie möchten gerne (fast) alle so sein, wie ein erfolgreicher Spitzenmanager, sie haben gerne, sogar überaus gerne Umgang mit Spitzenvertretern der Wirtschaft und sie fühlen sich durch fast nichts stärker geehrt als dadurch, dass sie einem privaten Hausmusik-Abend in entsprechenden Kreisen beiwohnen dürfen.
Dazu kommt eine finanzielle Entfremdung vom Normalbürger: In den letzten 30 Jahren hat sich der durchschnittliche Parlamentsvertreter – finanziell – starkt vom Normalbürger entfernt, mithin, er lebt nun in einer eigenen Welt, mit sehr eigenen Sorgen. In dieser Welt zählen die Interessen der Bürger und vor allem der durchschnittlichen Normalbürger deutlich weniger.
Welchen Charme hat aus Sicht eines sich für Elite haltenden Bundestagsabgeordneten z.B. eine bei KIK einkaufende Alleinerziehende, die ihre politischen Interessen im Regelfall nur recht grob und ungeschliffen zum Ausdruck bringen kann – im Vergleich z.B. zu den Umgangsformen und der eleganten Sprache eines durchschhnittlichen Wirtschaftsvertreters?
Keinen bzw. kaum einen.
August 22nd, 2008 at 21:56
Betrachtungen über China jenseits der eurozentristisch anmutenden Selbstgefälligkeit westlicher “Demokraten” findet man im Blätterwald und der Blogoszene nur wenige. Hier ist aber mal eine solche.
M.E. dürfte es so sein, daß die Chinesen zwar Kapitalismus und Marktwirtschaft bei sich eingeführt haben, diese aber geschickt für ihre eigenen Zwecke zu instrumentalisieren verstehen. Und wer so an die Sache herangeht, braucht keine Kniefälle vor den Wirtschaftsbossen zu machen. Die Chinesen “planen” ihre zu erreichenden ökonomischen Ziele, was in neoliberalen Hemisphären kaum mehr vorstellbar ist.
August 22nd, 2008 at 21:56
Betrachtungen über China jenseits der eurozentristisch anmutenden Selbstgefälligkeit westlicher “Demokraten” findet man im Blätterwald und der Blogoszene nur wenige. Hier ist aber mal eine solche.
M.E. dürfte es so sein, daß die Chinesen zwar Kapitalismus und Marktwirtschaft bei sich eingeführt haben, diese aber geschickt für ihre eigenen Zwecke zu instrumentalisieren verstehen. Und wer so an die Sache herangeht, braucht keine Kniefälle vor den Wirtschaftsbossen zu machen. Die Chinesen “planen” ihre zu erreichenden ökonomischen Ziele, was in neoliberalen Hemisphären kaum mehr vorstellbar ist.
August 23rd, 2008 at 00:14
@John Dean: Das sehe ich genau so. Erschreckend ist allerdings die Erkenntnis, daß sich dem kaum mehr jemand widersetzt. Damit meine ich, daß sich daß System dieser politischen “Elite” bereits so verfestigt hat, daß es keine Persönlichkeiten mehr hervorbingt bzw. sie regulär abschreckt. Ressentimentgeladene Kleinbürger biedern sich der vermeintlichen “Macht” an. Das kann man nicht mehr ernsthaft “Politik” nennen. Es gibt nicht einmal mehr ein “Spiel der Mächte”, weil alle in dieselbe Richtung marschieren.
Dazu passend:
“Leider hat Merkel, statt die Welt zu begreifen, in Sotschi einer deutschen Medienwelt zum Munde geredet, die beim Thema Russland in erwartbarer Eintracht lieber Affekte statt Analysen pflegt.”
August 23rd, 2008 at 00:14
@John Dean: Das sehe ich genau so. Erschreckend ist allerdings die Erkenntnis, daß sich dem kaum mehr jemand widersetzt. Damit meine ich, daß sich daß System dieser politischen “Elite” bereits so verfestigt hat, daß es keine Persönlichkeiten mehr hervorbingt bzw. sie regulär abschreckt. Ressentimentgeladene Kleinbürger biedern sich der vermeintlichen “Macht” an. Das kann man nicht mehr ernsthaft “Politik” nennen. Es gibt nicht einmal mehr ein “Spiel der Mächte”, weil alle in dieselbe Richtung marschieren.
Dazu passend:
“Leider hat Merkel, statt die Welt zu begreifen, in Sotschi einer deutschen Medienwelt zum Munde geredet, die beim Thema Russland in erwartbarer Eintracht lieber Affekte statt Analysen pflegt.”
August 23rd, 2008 at 00:31
excellenter kommentar
August 23rd, 2008 at 00:31
excellenter kommentar