In der Frage um ein sogenanntes “Linksbündnis”, die schon falsch gestellt ist, weil der Begriff von der Agenda-Presse eine Art Ersatz für “Volksfront” darstellt, fällt auf, daß Blockaden, die früher von anderen gegen die SPD errichtet wurden, inzwischen von der Partei selbst betrieben werden. Es ist eigentlich ganz einfach, auf Vorwürfe der Rechten oder Neoliberalen zu reagieren. Mit der Frage nämlich: “Warum nicht?”. Damit wäre nicht nur ein unsinniges Tabu abgetan, sondern es wäre eine Diskussion eröffnet, an deren Ende eine vernünftige Entscheidung stehen könnte. Daß diese Dikskussion nicht soll stattfinden dürfen, führt unter anderem dazu, daß die womöglich vernünftigen Gründe gegen eine Koalition von SPD und LINKEn ebensowenig zum Zuge kommen wie vernünftige Gründe dafür. Das Ganze wird stattdessen als Konfrontation ideologischer Blöcke aufgeführt, deren “Argumente” sich in Machtperspektiven und faden moralischen Appellen bescheiden. Ein Exempel für solche Machtkalkulationen und deren Absurdität bringt aktuell die Sueddeutsche. Zu den Aussichten eines Versuches, Ypsilanti zur Ministerpräsidentin in Hessen wählen zu lassen, erklärt Thorsten Denkler:
Die Bundesspitze der Partei liegt ihr weiter im Nacken, die Idee fallenzulassen. Sie befürchtet negative Wirkungen für die anstehenden Wahlkämpfe, vor allem den Bundestagswahlkampf 2009. Offizielle Linie ist: Die SPD-Landesverbände dürfen selbst entscheiden, mit wem sie Koalitionen eingehen. Im Bund aber werde es aber kein Bündnis mit den Linken geben.
Damit die Wähler das auch glauben, wäre es jedoch kontraproduktiv, wenn es in Hessen zu Bündnisabsprachen zwischen Linken und SPD kommen würde.”

Eine sich nicht wirklich einige Bundesspitze aus Parteivorstand und Bundestagsfraktion gibt eine “Linie” vor. Quintessenz: Wir sind uns nicht einig, entscheidet ihr das. Daraus soll nun aus Rücksicht auf eine Bundestagswahl folgen, daß die 16 Landesverbände trotzdem allesamt lieber die CDU an der Regierung halten sollen, anstatt Alternativen auszuloten?
Der Grund sei, daß man “im Bund” “glaubwürdig” bleiben wolle. Das sagen außerhalb der SPD diejenigen, die ihr jede Machtperspektive rauben wollen und sie auf einen neoliberalen Kurs festlegen. Ein Sozialdemokrat, der auch nur den Ansatz von Eiern in der Hose hätte, würde sich das selbst dann verbitten, wenn er gar nicht die Absicht hätte, mit der LINKEn zu koalieren. Tatsächlich aber läßt sich die Rest-SPD von der Minderheit ihrer neoliberalen U-Boote denselben Unsinn aufdrängen. Die Causa Clement hat erfrischend deutlich gezeigt, wer da mit wem im Clinch liegt, aber anstatt das auszutragen, wird so getan, als sei der antilinke Kurs Konsens. Nonsens. Wer das als “Glaubwürdigkeit” verkauft und verlangt, alle Sozialdemokraten Deutschlands sollten sich dem anschließen, hat sie nicht mehr alle.
Man muß kein Historiker sein, um den Niedergang der SPD, den Verzicht auf Sachdiskussionen und die Zerrissenheit der SPD nach Schröder zu verstehen. 1999, Schröder war gerade gewählt, hat Herrmann Scheer dem “Freitag” ein vielsagendes Interview gegeben. Schon damals war ein Problem ersichtlich, das sich inzwischen zum Desaster ausgewachsen hat. Die Perspektiven für ein rot-grünes Projekt waren gut, der Eishauch des Neoliberalismus lähmte aber bereits die Politik. Zwar hatte die SPD vollständig darauf verzichtet, sozialdemokratische Reste der SED/PDS zu integrieren, dennoch ließ sie sich von einem pseudomoralischen Dilemma ins nächste treiben. Als Lafontaine 1990 die politische Vereinigung der wirtschaftlichen vorziehen wollte, wurde er als “Vaterlandsverräter” gegeißelt. Schon die Möglichkeit von rot-grünen Koalitionen war zuvor als kommunistische Machtübernahme diskreditiert worden, und überhaupt ließ sich die damals noch durchaus sozialdemokratische Partei ständig vormachen, sie sei nur staatstragend genug, wenn sie Politik machen würde, die auch von der Springerpresse sanktioniert wurde. Scheer brachte das treffend zum Ausdruck:
Das ist das klassische Problem der SPD. Sie hat ihre größten Fehler immer aus mangelndem Selbstbewusstsein gemacht. Das ist das alte Bismarck-Syndrom. Es wirkt bis heute. Ein nationaler Inferioritätskomplex, der mit den “vaterlandslosen Gesellen” beginnt. Eigentlich ein Trick Bismarcks: der wusste, Fürstenherrschaft lässt sich nur aufrecht erhalten, wenn man sich an die Spitze der Bewegung zur Reichseinigung setzt und sie konservativ formt. Die demokratische Opposition der jungen SPD war gegen die Fürstenherrschaft und auch gegen eine kleindeutsche Lösung, und wurde als vaterlandslos denunziert, obwohl sie die demokratische, aber eben nicht die Bismarcksche Lösung wollte. Dann kamen Dolchstoßlegende, Notverordnungstrauma – die deutschen Konservativen haben immer mit psychologischen Waffen in dieser Wunde gebohrt, die eigentlich eine Bismarcksche Erfindung war.
Die neoliberale Propaganda traf die SPD daher dreifach.
- Der zahnlose Staat, der als Zuträger der Konzerne nur noch für “gute wirtschaftliche Bedingungen” zu sorgen hat, verliert jedes Selbstbewußtsein, wenn er sich darauf einläßt.
- Die SPD als Partei, die für eine kontrollierte Wirtschaft eintritt, mußte sich demnach also gegen “gute wirtschaftliche Bedingungen” stellen, wenn sie ihre Positionen aufrechterhalten wollte. Sie durfte nicht “den Staat” gegen “die Wirtschaft” schützen. Aus diesem Dilemma hätte es nur einen Ausweg gegeben, nämlich die selbstbewußte Positionierung gegen eine Ideologie, die ihr diese Probleme aufhalst.
- Mit Schröder wurde aber ein SPD-Mitglied Kanzler, der diese neoliberale Ideologie in die Partei selbst hineintrug.
Von da an gab es keine eigenständige sozialdemokratische Politik mehr. Der plumpe Trick, mit dem die Agenda-Sozen ihren Kurs immer weiter radikalisierten, war die Drohung mit dem Machtverlust. Schröders Kurs sei erfolgreich gewesen, er habe schließlich zwei Wahlen gewonnen. Das aber ist schlicht gelogen.
An die Macht kam der Genossenboß in einer Situation, in der die deutschen die Nase voll hatten von Kohls selbstgefälliger Politik der Machtworte und Geldkoffer. Daß die SPD die Wahl 1998 gewinnen konnte, verdankt sie einem Vorsitzenden, der die Sozialdemokraten nach dem Scharping-Elend daran erinnert hatte, daß sie noch eine starke Partei waren. Wie sehr sich Lafontaine verkalkuliert hatte, wurde kurz darauf deutlich. Der Mohr konnte gehen.
Die folgende Bundestagswahl hätte Schröder beinahe verloren. Die Oderflut, der Irakkrieg und die Verheimlichung der Wahrheit hinter der “Agenda” führten zum knappen Wahlsieg. Hartz hatte im Auftrag Schröders Wunder versprochen, die sich nicht erfüllten. Zwar sank die Zahl der Arbeitslosen nicht, geschweige denn hätte es das große Jobwunder gegeben, aber dafür wurde recht schnell klar, auf wessen Kosten da “reformiert” wurde. Es wollte trotzdem niemand Frau Merkel im Amt sehen. Dennoch gelang es dem offenbar bereits von Gazprom eingekauften Schröder, die Wahl zu verlieren. So viel zum Erfolg des großen Armani und seiner Agenda-Politik.
Was sich allerdings als äußerst erfolgreich erwiesen hat, ist das Netzwerk der Neoliberalen in Politik und Medien. Eine Kursbestimmung sozialdemokratischer Politik außerhalb der LINKEn ist unmöglich geworden. Die Schröderaner, Seeheimer und Netzwerker bestimmen die öffentliche Debatte um die SPD. Die Große Koalition hemmt jede Entfaltung genuin sozialdemokratischer Positionen. Es wurde ein Parteiprogramm verabschiedet, das nicht ein Blatt Papier wert ist. Von “demokratischem Sozialismus” wird dort schwadroniert, was die Journaille prompt als “Linksruck” verkauft hat. Es wäre vielleicht einer, aber wen in der SPD interessiert schon das Parteiprogramm?
Die LINKE wird derweil aggressiv tabuiert, obwohl es seit Jahren Koalitionen mit der SPD gibt. Eine halbwegs sachliche Diskussion des Vereinigungsprozesses findet nicht statt, die LINKE ist DDR und Schießbefehl, Lafontaine wird permanent mit Honecker assoziiert und als “Demagoge” gefeiert. Dies ist übrigens auch Georg Diez in der Sueddeutschen aufgefallen, der gegen den Muff im eigenen Haus mehr Kritikfähigkeit einfordert.
Das aber ist des Pudels Kern: Kritik und Debatte sind nicht gefragt. Führen und Folgen, Dekretieren und Abnicken sind die Pfeiler der Macht, um die alles sich drehen soll. Daß das nicht funktionieren kann in einer Demokratie, schon gar nicht bei der Sozialdemokratie, wollen zu viele noch immer nicht wahrhaben. Es ist eine Frage der Zeit, eher über kurz als lang, bis sich diese Erkenntnis durchsetzen wird. Das, was von der Sozialdemokratsichen Partei dann noch übrig ist, wird mit viel Glück wieder singen dürfen, wenngleich Sonne und Freiheit in weiter Ferne sind. Der neue Titel ist längst geschrieben: “Auferstanden aus Ruinen”.