Von Käfern und Heuschrecken
Posted by flatter under WirtschaftKommentare deaktiviert
08. Jul 2008 17:41
Die Ära des Neoliberalismus geht zu Ende. Die Meisten haben es noch nicht verstanden und es wird noch einige Jahre unter heftigen Krämpfen dauern, aber die Ideologie der unkontrollierten Märkte trägt nicht mehr.
Ein wunderbares Beispiel für die Berechtigung, Hedgefonds als “Heuschrecken” zu bezeichnen, gibt die Sueddeutsche in einem Artikel über John Meriwether, der gleich zweimal mit derselben Masche groß abgeräumt und dann Milliarden in den Sand gesetzt hat. Seine Idee war nicht schlecht, und mit der angemessenen Bescheidenheit und einem Blick für realistische Verhältnisse hätte er ein kluger Mann sein können. Seine Unersättlichkeit und die Dummheit des Marktes haben statdessen zu kleinen Katastrophen geführt. Das Problem ist dabei recht einfach: Das Verhältnis von Eigenkapital und Kreditaufnahme ist abenteuerlich, man berauscht sich am Erfolg, solange weiteres Kapital zufließt und die Prognosen halbwegs zutreffen. Wer sich aber wundert, daß die Märkte ab und an in ene Schieflage geraten und die schönen Regeln der Kunst, nach denen man Profite macht, einmal außer Kraft geraten, sollte besser die Finger vom Geld anderer Leute lassen.
Flankiert wird das Treiben dieser Hasardeure von den immer gleichen Phänomenen: Eine Flucht vor jeder Aufsicht, völlige Verantwortungslosigkeit und ein “Optimisums” der Anleger, hinter dem die blanke Gier steckt. Solche Spekulanten lassen sich nicht bremsen, zahlen äußerst ungern Steuern und sind nicht haftbar, wenn es schiefgeht. Sie verhehlen das “Risiko” nicht, zerreden es aber gern und locken mit Renditeversprechen, gegen die ein Banküberfall zu ertragsarm aussieht.
Diese Art von Geschäft geht inzwischen zu oft schief, es profitieren zu wenige davon und die Folgen sind zu schwerwiegend. Deshalb ist die Finanzwelt selbst nicht mehr so begeistert von derartigem. Das ihre “Selbstkontrolle” völlig versagt hat, zuletzt auch noch die Ratingagenturen, kann ihnen selbst nicht gefallen. Diese niederschmetternde Erkenntnis ist tödliches Gift für den Neoliberalismus, denn die Frage ist nicht mehr, ob man die Märkte kontrolliert, sondern nur noch wie. Ein weiterer Schritt wird folgen, der vor allem Deutschland zum Umdenken zwingen wird: Der Vorrang der Exportwirtschaft vor dem Binnenmarkt und die damit verbundende Ideoligie der Kostensenkungen wird sich als fatal erweisen. Aber das ist noch ein anderes Kapitel. Derzeit entfaltet sich ein weiteres Problemfeld, das Lösungen weit jenseits einiger halbgarer Eingriffe in Finanztransaktionen verlangt. Der Kapitalismus wird zum weltweiten Problem, weil er unmittelbar kontraproduktiv wird. Das Geschäft mit Produkten weicht dem mit dem Mangel, es ist profitabler, mit Dingen zu handeln, die man nicht braucht, als selbst etwas zu verarbeiten. Das betrifft die essenziellen Rohstoffe, Nahrungsmittel und Energie. Ein Markt, in dem sich Gewinne machen lassen, indem man den Bedürftigen das Zeug wegkauft, ist blanker Irrsinn, aber sehr im Trend. Die “Bedürftigen” sind hierbei gleichermaßen Hungernde und die produzierende Industrie. Wer investiert noch in Produktion, wenn die Produzenten auf der anderen Seite eines erpresserischen Deals stehen und man sich ganz legal auf die Seite der Gewinner schlagen kann? Wer Öl kaufen kann und keines braucht, ist ein gemachter Mann. Wer satt ist und tonnenweise Nahrungsmittel kauft, darf guten Profit erwarten. Es gibt mittelfristig kaum aussichtsreichere Anlagen, und die weltweite Infrastruktur hat keine Chance, rechtzeitig zu reagieren. Anders ausgedrückt: Die Nachfrage kann nicht so schnell sinken, wie die Preise steigen. Das treibt noch mehr Geld in die destruktive Mangelwirtschaft.
Was “Anleger” dabei ganz selbstverständlich tun, wird in der Jurisprudenz als niedriger Beweggrund eingestuft. Es ist die Habgier des nichtsüchtigen Dealers, der den Tod anderer billigend in Kauf nimmt.
Das weiß der “Anleger” oft gar nicht, der vielleicht ein bißchen Geld in Aktienfonds anlegt, um für schwere Zeiten zu sparen. Es steht ja nicht auf jeder Brötchentüte, welche Folgen dieses Investment hat. Wer glaubt, die Bankenkrise sei ein Problem, darf sich angesichts des Kommenden warm anziehen – im wahrsten Wortsinne..
In Zukunft wird nicht mehr nur der Neoliberalismus infrage stehen, sondern viele liebgewonnene Errungenschaften der Marktwirtschaft, die sich als Auswüchse eines wahrhaft häßlichen Kapitalismus erweisen werden. Der klassische Sozialismus und der Ruf nach diesem ist dann nur die zweitdümmste Antwort auf die zu bewältigenden Probleme. Ein “Weiter so” und “freie Fahrt für freie Märkte”, das wir uns heute noch täglich anhören müssen, ist das mit Abstand Dümmste, das einem dazu einfallen kann.
Juli 8th, 2008 at 19:07
Ich halte diese Interpretation der derzeitigen Krisen für zu kurz gegriffen. Klar kaufen Spekulanten Getreide, das sie selbst nicht brauchen. Aber Getreide verdirbt sehr schnell und irgendwann muss man es auf den Markt schmeißen. Klar kann man Öl eine Zeit lang in Tankern auf dem Meer hin und herfahren. Aber das verbraucht Treibstoff, also muss man es irgendwann loswerden und wenn alle Spekulanten die gleiche Idee hatten, kommt es normalerweise zum Platzen der Blase, weil auf einmal jeder verkaufen muss.
Das eigentliche Problem ist deshalb die steigende Nachfrage. Ein ganz natürlicher Prozess. Man könnte genauso gut die amerikanische Zentralbank zum Sündenbock machen, weil sie mit ihren desaströsen Zinssenkungen die Investitionen in den Schwellenländern so angeheizt hat, dass die auf einmal Rohstoffe und Nahrungsmittel in einer Menge nachfragen, dass es für uns alle zu knapp wird. Man könnte auch sagen, die Liberalisierung hat das Armutsproblem demokratisiert. Hatten früher nur die armen Länder nix, haben jetzt alle weniger.
Die Spekulation für alles verantwortlich zu machen ist wirklich zu einfach. Damit liefert man der Politik nur einen bequemen Sündenbock. Nein, man muss schon den Mangel als Problem begreifen, dann findet man auch die richtigen Lösungen.
Juli 8th, 2008 at 21:54
Eine mögliche Antwort auf den Abgang mit Schrecken des Neoliberalismus der Marktgläubigkeit könnte auch eine Wiederkehr des Keynesianismus sein. Freilich auf globaler Ebene und besser gemanagt.
War die “Keynesianische Revolution” der Marktregulierung und Nachfragesteuerung doch selbst auf die große Weltwirtschaftskrise in den dreißiger Jahren hin entwickelt worden.
Juli 8th, 2008 at 22:50
Spannende Zeiten. Hoffen wir, der gesunde menschenvertstand setzt sich mittelfristig durch.
Juli 8th, 2008 at 23:06
Da sammelt also einer 4,7 Milliarden Dollar und pumpt sich 120 Milliarden in die Banken gepumpte Dollars dazu. Das alles war reales, aber von seinen Eigentümern nicht benötigtes Geld.
Selbst gesegnet mit zeitgerafftem Verstand, holt er dazu nobelpreisgekrönte Häupter ins Boot mit exzellenten Kenntnissen, was die Wirtschaftswissenschaft betrifft, also das Zuschlagen, Zerschlagen, Wetten, Zocken. Und nun hebelt man an Werten im Umfang von 1,5 Billionen. Etwa das, was Spanien oder Österreich in einem Jahr an Werten schaffen.
Das Gesellschaftsmodell, das solch exzellente Leistungsträger tragen muß, ist unter allen denkbar möglichen natürlich das beste und wird noch vortrefflich sein, wenn der letzte Wirtschaftsweise im breiten Strom den davonschwimmenden Fellen des vorletzten hinterher schwimmt und entkräftet um ein Glas Wasser bittet.
Und doch gibt es da Unbelehrbare, alte Kader (Stasi wahrscheinlich), Popukummisten, all
diese Gestrigen eben, die uns (uns!) unsere Freiheit schlecht reden ohne selbst einen einzigen Beitrag zu leisten. Regen sich auf, dass Babynahrung mit sieben, Windeln mit neunzehn Prozent besteuert sind. Dieselben Leute plädieren für eine Steuer auf Finanztransaktionen. Sie haben richtig gehört, noch mehr Steuern!
Diesem Sammelbecken von Rattenfängern setzen unsere Volksparteien Argumente entgegen. Und zwar richtige. Gute. Gefährdet sind durch solche Leute das Wachstum, die Wettfähigkeit, letztlich alles, was unser Leben ausmacht. Nicht zu vergessen unser neuer Schwung.
Juli 8th, 2008 at 23:46
@snozin. Versuche mich gerade an der Transkription Ihres Kommentars. Brauche Ihre Mitarbeit. Meinten Sie vorletzte Zeile tatsächlich “Wettfähigkeit” oder doch “Wettbewerbsfähigkeit”. Im ersteren Falle hoher Zynismusgehalt ihres Textes. Würde Sie dann den üblichen Verdächtigen einschlägiger Ausrichtung zuordnen. Erstklassige Satire übrigens dann. Im Falle eines Schreibfehlers dagegen hielte ich sie für einen etwas schrullig formulierenden Hayek-Fan, also einen (Huch) Neoliberalen? Kann mir ohne Aufklärung kein Bild machen :-(
Juli 9th, 2008 at 11:30
@
1[edit - nach Freischaltung der Kommentare in Moderation ist der von Markus von 1 auf 2 gerutscht] 2 MarkusDas mag ein wenig Linderung bringen, aber keine Lösung des grundsätzlichen Problems – dass der Produktivitätsfortschritt nicht mehr durch Produktionsausweitung kompensiert werden kann, sich das ‘Marktgeschehen’ immer weiter verengt, immer mehr Menschen in prekäre Existenzen abdrängt oder gleich in die Überflüssigkeit (‘unsere’ Bildungspolitik ist hier tatsächlich ‘konsequent’ zu nennen). Und selbst wenn eine solche Produktionsausweitung ‘markttechnisch’ noch einmal hergestellt werden könnte, wäre sie ökologisch verheerend. Hier geht mehr zu Ende als nur die Ära des ‘Neoliberalismus’, der ja selbst schon nur noch einen weiteren untauglichen Versuch darstellt(e), ‘den Markt’ zu retten als der ‘klassische’ Keynesianismus sich bereits in den 70er Jahren als untauglich erwies.
Keynes selbst hat diese (finale?) Krise des ‘warenproduzierenden Systems’ übrigens ziemlich treffend vorausgeahnt und anhand eines ‘Phasenmodells’ entwickelter Marktwirtschaften auch Lösungsansätze formuliert:
https://www.memo.uni-bremen.de/docs/m6504.pdf
Und tatsächlich sind diese Vorschläge das genaue Gegenteil dessen, was der Neoliberalismus predigt. Nur hat er wohl irgendwie die Rechnung ohne den Wirt gemacht und uns leider nicht verraten, wie man die immense Macht des akkumulierten Kapitals dazu bringt, auf Rendite zu verzichten bzw wie eine ‘renditelose’ Marktwirtschaft überhaupt aussehen könnte. Vielmehr sieht es wohl so aus, dass die Ärea der ‘planlos’ draufloswirtschaftenden ‘Privatproduzenten’ so oder so zu Ende geht und wir ‘nur’ noch die Wahl haben, uns den Planungen einiger weniger eng vernetzter transnationaler Konzerne zu unterwerfen und uns dabei verheizen zu lassen – oder die Sache gemeinsam selbst in die Hand zu nehmen und neue, nicht mehr nur indirekt sondern direkt an den Bedürfnissen ansetzende Formen des Wirtschaftens zu entwickeln. Wobei uns gerade zugute kommen sollte, dass wir wenigstens schon mal wissen, wie es _nicht_ geht. Immerhin, Vorschläge gibt es, zB
https://peerconomy.org/wiki/Deutsch
Die müssten aber erstmal einem ‘breiten Publikum’ bekannt gemacht und dann auch diskutiert werden. Denn auf eine Politik, die auf die Spielräume angewiesen ist, die ‘der Markt’ ihr lässt und die sich ebenso verengen wie dieser selbst, können wir da wohl nicht setzen. Denn die kann gar nicht anders, als das ‘Renditekarussell’ um jeden Preis weiter zu drehen, da ihr ganzes ‘Vermögen’ schon via Steuern direkt davon abhängt.
Juli 9th, 2008 at 12:38
@Gerhard Schrödibär:
Jein. Natürlich ist die hohe Nachfrage der stabile Sockel, auf dem die Entwicklung ruht. Daran ist wenig zu ändern; was Nahrungsmittel anbetrifft, übrigens auch langfristig nicht – das Nähere regeln die Hungerrevolten.
Die Nachfrage zu beeinflussen, ist übrigens auch keine absurde Idee. Das wäre “Nachhaltige Entwicklung”, und in bezug auf den Sprit haben die GRÜNEN sich 1998 ins Knie geschossen, als sie von einem Benzinpreis um “fünf Mark” sprachen, und zwar “in den nächsten zehn Jahren”, also bin 2008. Wir gehen stark auf die vier Mark zu, ohne daß nennenswert in Alternativen zum Öl investiert worden wäre – insbesondere in der Automobiltechnik.
Die “Globalisierung” bringt nun vor einem eines mit sich: Daß Spekulation in hohem Maße auf Knappheit aufsetzt (ist nicht neu) und von Zwischehandel profitiert, während der Produktion vorn Investitionen entzogen werden und hinten die Preise erhöht werden. Dies ist in dieser Dimension neu.
Die Ideoogie dazu, du-weißt-schon-welche, verschweigt unter anderem, daß ordnende Kräfte fehlen, die gerade in solchen Zeiten gebraucht würden. “Der Staat” ist ja nur bürokratisch und soll sich raushalten. Beschämend, daß sich Politiker auf breiter Front diesem Unsinn andienen, und während die Finanzwirtschaft ihren EInfluß auf den Staat hemmungslos ausübt, läßt sich die Politik erzählen, sie dürfe die Wirtschaft nicht beeinflussen. Absurd!
Juli 9th, 2008 at 12:54
@ schrödi …
bei diesen rohstoffspekulationen ist zu beachten das idr nicht mit dem gut selbst gehandelt wird sondern mit termingeschäften. sprich man wettet zb darauf, das der preis in einem bestimmten zeitraum fällt oder steigt.
so umgeht man recht elegant die verderblichkeit der ware und muss sich um transport und lagerung auch keine gedanken machen. da irgendjemandes gewinne jemand anderes verluste sein müssen, werden die preise dann auf die güter aufgeschlagen.
Juli 9th, 2008 at 14:22
@ Gerhard Schrödibär
Ich meinte Bewettfähigkeit.
Juli 9th, 2008 at 14:33
Nee, so ist das nicht ganz. In dem Moment, wo jmd. z.B. eine Call-Option kauft, hedged die Bank ihr Risiko, indem sie sich die Aktie selbst zulegt. D.h, wer die Option einer 100-Euro-Aktie im Wert von 10 Euro kauft (Bezugsverhältnis 1:1), veranlasst die Bank, die Aktie sofort selbst am Markt zu kaufen und sie sich ins Depot zu legen. Bei einer Put-Option (1:1) verkauft sie eine Aktie sofort am Markt. Im Grunde leiht(call)/verleiht(put) sie dem Optionskäufer 90 Euro. Das ist alles. Daraus erklärt sich auch die Hebelwirkung. Im Beispiel ist der Hebel 10. Der Käufer einer Option umgeht überhaupt nicht das Problem der Verderblichkeit einer Ware, das bleibt dabei bestehen. Gehört die Call-Option auf Getreide ihm, übernimmt er das volles Risiko. Genauso wie ein Getreidehändler. Das ihm dabei die ganze Logistik eingepreist wird, spielt keine Rolle. Etwas anders ist es mit den Derivaten, aber die werden nach denselben Prinzipien gehedged.
Es gibt noch ein anderes Mißverständnis bei den Kritikern, welches man häufig antrifft. Das nämlich der Handel mit Derivaten und Optionen mittlerweile den des Welt-Brutto-Inlandsproduktes übersteigt oder ähnliche Rechnungen. Auch das sieht nach außen nur schlimm aus, ist es aber gar nicht. Wenn ich einen Euro 7 mal umschlage habe ich auch den 7-fachen Umsatz. Und es ist klar, dass bei der üblichen elektronischen globalen Abwicklung von Finanzgeschäften eine Aktie heute mehrmals im Jahr den Besitzer wechselt. Im Grunde handelt es sich dabei aber nur um schnelles Verschieben von Risiken. Es ist zwar richtig: Wertschöpfung findet dabei nicht statt. Aber das Geld fließt extrem schnell dahin, wo es gebraucht wird. Ohne diese Art der Finanzwirtschaft hätte die Globalisierung nicht die Dynamik, die sie heute besitzt. Und wer wollte den Chinesen nicht den Lebensstandard gönnen, den wir uns auch leisten.
Das ein solch hitziger Prozess auch Krisen-behaftet ist, ist logisch. Schnelligkeit führt in komplexen Systemen leicht zur Instabilität. Elektroniker wissen, dass man dann eine Dämpfung benötigt. Eine minimale Tobin-Steuer wäre tatsächlich ein geeignetes Mittel dafür.
Natürlich verlieren bei einer Krise häufig die Schwächsten. Es gibt aber auch viele Gewinner und das sind nicht nur ein paar Hedge-Fond-Manager, sondern z.B. der sich bildende Mittelstand in China und Indien. Man muss bei dieser Problematik natürlich die Industrieländer, die Schwellenländer (z.B. China) und die Entwicklungsländer getrennt betrachten. Letztere haben in dem Prozess heute die größten Probleme.
Wir sind jetzt halt an einer Grenze angelangt, wo die Dynamik des Wachstums – man könnte auch sagen: Investitionswünsche – die verfügbaren Ressourcen der Erde übersteigen. Die Frage ist also, ob es überhaupt möglich ist, die Engpässe zu beseitigen durch Produktivitätssteigerungen (z.B. Getreide) oder Substitution (z.B. Öl).
Man sollte ein so segensreiches Finanzsystem nicht ohne Not diskreditieren. Man stelle sich nur mal vor, jmd. möchte in Russland sein Geld investieren und will dafür von seiner Hausbank eine Kredit haben. Das kann er gleich vergessen. Geht er dagegen an die Börse, findet er gerade wegen der vielen Terminzocker (Risikoträger) sehr viel leichter Geld, das er für seine Ideen benötigt. Hat er es einmal, kann ihm eigentlich der Kurs zunächst egal sein (z.B. Telekom). Dass die, die sich dort tummeln, sich natürlich permanent gegenseitig übervorteilen, ist klar, aber sie bleiben ja unter sich (wenn nicht gerade ein Papier als Volksaktie vermarktet wird). Spekulieren ist nämlich ein reines Nullsummenspiel (Ausnahme: die Bank verdient natürlich immer unverschämt gut mit).
Selbstverständlich bin ich der Meinung, dass die Banken schärfere Vorschriften brauchen insbesondere bzgl. Transparenz der Risiken, die sie eingehen. Und Betrügereien und Abzocke sollten stark reduziert werden. Aber das Grundprinzip ist segensreich.
Insgesamt gesehen überwiegen die Vorteile in Bezug auf die Förderung von Investitionen, zur Zeit natürlich hauptsächlich in den Schwellenländern. Das in einer Krise manch ein Unternehmen das Geld lieber in Spekulation steckt anstatt direkt zu investieren berechtigt noch nicht zu der Schlussfolgerung, dass das System Investitionen grundsätzlich behindert. Das Gegenteil ist der Fall.
Juli 9th, 2008 at 16:41
@’Schrödibär’
“Aber das Geld fließt extrem schnell dahin, wo es gebraucht wird.”
Aha. Das setzt dann aber schon voraus, dass Geld eben nur gebraucht wird, um mehr Geld daraus zu machen. Und menschliche Bedürfnisse allenfalls Mittel zum (Selbst-) Zweck sind. Setzte man diese nämlich als Maßstab ergäbe sich wohl ein gegenteiliger Befund.
Was die Schwellenländer angeht, so befürchte ich, dass es sich da vielfach um Strohfeuer auf Treibsand handelt. Die waren und sind nämlich tatsächlich davon abhängig, dass die Metropolen dort sowohl investieren (und damit auch die Gewinne einfahren) als auch die Waren abnehmen, sie also vorwiegend als ‘Werkbänke’ fungieren. Was da vor Ort hängenbleibt, dürfte noch lange keine eigene Dynamik entfalten können.
Und die Metropolen selbst schaffen es seit geraumer Zeit auch nur noch durch Spekulation und sagenhafte Geldmengenausweitung die immer schlechter funktionierende Realakkumulation zu kaschieren – insofern teile auch ich nicht die verbreitete Ansicht, die Spekulation behindere die ‘Realwirtschaft’. Im Gegenteil wäre ohne diese der ganze Laden vermutlich längst zusammengekracht. Nur lässt sich die damit verbundene Verschuldungsorgie eben auch nicht in’s Unendliche fortsetzen.
Im Gegenteil – je länger die Krise durch Ablösung einer Blase durch die nächstgrößere herausgezögert werden konnte, desto härter droht die Landung zu werden. Das Eindringen des ‘Blasengeldes’ in die Rohstoffmärkte, jetzt da die weitere Verschuldung auf nahezu allen Ebenen stockt, verheisst da nichts gutes. Damit nämlich verlässt die Spekulation den (auch nur vermeintlichen) ‘Nullsummensektor’.
Juli 9th, 2008 at 17:48
@Schrödibär: “Man sollte ein so segensreiches Finanzsystem nicht ohne Not diskreditieren”. Merkwürdige Einlassung; spätestens seit der Hypotheken- bzw. Bankenkrise, einhergehend mit einer zu erwartenden Dollarkrise, kann man nicht behaupten, hier sei “keine Not”. Die Not ist sogar im Finanzsystem selbst angekommen, mal ganz abgesehen von Außenwirkungen.
Ich persönlich will hier gar nichts diskreditieren und halte mich für einen Verfechter der sozialen Marktwirtschaft (ich lasse mir diesen Begriff auch nicht von der INSM diskreditieren). Das Allokationspotential flexibler Märkte ist für mich eine Errungenschaft, deren Ersetzung erst einmal gelingen müßte. Aber! Wenn Wirtschaftsverbände und Profiteure in die politische Wirklichkeit hineinregieren, ist etwas faul. Umgekehrt wird für mich ein Schuh draus: Das Primat der Politik muß wiederhergestellt werden.
Die Märkte “Energie” und Nahrungsmittel” betreffend, wird man sehen. Ich sehe das ganz ähnlich wie Peinhard in seinem letzten Absatz.
Wie dem auch sei – es ist an der Zeit, daß “der Staat” nicht immer bloß reagiert und zu reparieren versucht, was “in der Wirtschaft” schiefgeht. Hier bedarf es intelligenter Konzepte für mehr Ordnung – die Tobin-Steuer gehört absolut dazu. So weit ich weiß, ist aber nur die wirtschaftsfeindliche LINKE dafür.
Juli 9th, 2008 at 20:21
@flatter
“Das Primat der Politik muß wiederhergestellt werden.”
Gab es das je? Oder waren es nicht einfach nur größere Spielräume zB während der ‘fordistischen’ Nachkriegsblüte? Eine Politik, die nicht zuallerst mal das Gelingen der ‘Selbstverwertung des Werts’ sicherstellen müsste, ist innerhalb der Marktwirtschaft ja gar nicht möglich. Und die gelingt eben nicht mehr so einfach wie in dieser kurzen Blüte – mit dem bei näherer Betrachtung gar nicht so paradoxen, sondern vielmehr logischen Resultat, dass ‘das Soziale’ immer unbezahlbarer wird, je mehr es gebraucht würde. Ich glaube nicht an die ‘Wiederherstellbarkeit’ dessen, was wir als ‘Soziale Marktwirtschaft’ kennen bzw kannten, und auch nicht daran, dass es je ein Primat der Politik gegeben hat. Der Markt bestimmt viel mehr die Bedingungen und Möglichkeiten der Politik als umgekehrt. Das kann übrigens gerade am Beispiel der LINKEn besonders gut nachvollziehen. Die Würde des menschen steht unter Finanzierungsvorbehalt.
Und was die ‘optimale Allokation’ angeht, sehe ich die eigentlich auch wieder nur für diese eine Ressource – Geld. Auf der stofflichen Ebene dagegen ist die Bilanz absurd bis menschenverachtend – vom berühmten umherirrenden Yoghurtbecher bis zu Millionen Hungertoten bei gleichzeitiger Produktion von Ferraris und Hochseeyachten. Wie lange sollen sich Weltmarkt und Entwicklungsländer denn noch entwickeln, bis da mal was klappt? Entwickelt sich da überhaupt irgendetwas aufeinander zu oder nicht doch immer weiter auseinander? Und ist das wirklich der Gier (oder der Dummheit) einiger weniger geschuldet (die sich damit ja letztlich auch selbst das Wasser abgraben) oder ist es nicht doch das logische Resultat eines absurden und längst zum Selbstzweck mutierten Systems?
Ich glaube vielmehr, dass wenn man von diesen längst übermächtigen ‘Kapitalklumpen’ überhaupt noch mal Zugeständnisse haben will, müsste man ihnen schon mindestens ihre Abschaffung androhen. Und wenn man erstmal glaubhaft soweit wäre – könnte man es auch gleich durchziehen. ;)
Juli 9th, 2008 at 21:05
Die Einwände sind berechtigt. Ich mache es mir dann einfach und fordere die Herstellung besagten Primates – oder eine Verfassungsänderung im Sinne einer ehrlichen Oligarchie.
Was die Allokation angeht, hast du recht, deshalb spreche ich auch von “Potential”. Was man der Marktwirtschaft grundsätzlich zugute halten muß, ist, daß es die Individuen zu motivieren vermag. Gewinnstreben ist kein besonders ehrenwertes Motiv, aber es bildet die basale Motivation zur Unternehmung. Wir stoßen gerade an die g
Grenzen dessen: Woran schon der Realsozialismus gescheitert ist, das macht der kapitalismus nach: An der Spitze stehen tumbe Ideologen und ein weltfremdes Management, und von unten wächst nichts nach. Was ich mich frage, wenn ich nach einem dritten Weg zwischen “Sozialismus” und Kapitalismus suche, ist, welche Ressourcen man aktivieren kann, um die Menschen zu freiwilliger reger Tätigkeit zu bewegen. Das nämlich war das große Plus der Marktwirtschaft: Es gab genug Leute, die sie weiter entwickelt haben, in einem durchaus sozialen Sinne. Der Zenit dieser Entwciklung ist (meinetwegen mit der Nachkiregszeit) offenbar überschritten. Was könnte folgen? Wie soll es funktionieren? Wie kann das gegebene System transformiert werden? Viele Fragen, verdammt wenige Antworten.
Juli 9th, 2008 at 23:08
Da es viele Fragen, aber verdammt wenige Antworten gibt, sollte es nicht schaden, auf einen Klassiker zurückzukommen. Wie Peinhard in seiner ersten Anmerkung bereits richtig in Anknüpfung an meinen ersten Kommentar bemerkte, hat Keynes mehr als vielleicht manch ein anderer Ökonom vorausgedacht: In seinem Phasenmodell von der wirtschaftlichen Entwicklung der hochindustrialisierten Länder prognostizierte Keynes bereits 1943(!) eine künftig eintretende sättigungsbedingte Stagnation dieser “Hochleistungswirtschaften”. Eigentlich sollte eine Stagnation auf hohem sozialökonomischen Niveau ein Grund zur allgemeinen Freude sein.
Aber die kapitalistische Wirtschaft und ihre politischen Protagonisten scherten sich herzlich wenig um das im Prinzip seit den 1970er Jahren als gelöst zu betrachtende ökonomische Problem der Knappheit und verfolgten weiterhin bis auf den heutigen Tag eine einzel- und gesamtwirtschaftliche Wachstumspolitik, die im Zuge der marktradikalen Reformen des Umverteilens von unten nach oben von der anfänglichen teilweisen Sättigung nicht mehr viel übrig ließ als einen unverhältnismäßig wieder auftretenden Mangel breiterer Bevölkerungsschichten.
Die überschießende Kaufkraft der wenigen wandert in der Folge an die Börsen zu Spekulationszwecken und die vielen anderen bleiben auf ihren ungedeckten Bedürfnissen regelrecht sitzen.
Die entstandenen enormen wirtschaftlichen und sozialen Ungleichheiten müßten zuerst versucht werden, halbwegs auszugleichen, um dann durch ein verstärktes staatliches Management mit ausgebautem öffentlichen Sektor die Märkte künftig im Gleichgewicht halten zu können. Dazu mögen eine von Keynes eingeforderte “Sozialisation der Investitionen” gehören als auch eine deutliche Verkürzung der Arbeitszeit.
Juli 13th, 2008 at 11:27
viel erschreckender finde ich, dass der US-Senat ein Rettungspaket beschließen will, welches Milliarden-Garantien für US-Hauseigentümer vorsieht… das alles hört sich nach den letzten Rettungsversuchen von Fanny & Freddie sowie weiteren Banken an…
https://newsticker.sueddeutsche.de/list/id/67035