Da Politik und öffentliches Leben in diesen Zeiten Funktion von Wirtschaft sind, gibt es Bereiche, von denen man besser nicht spricht. Jugendarbeit bzw. Kinder-und Jugendhilfe ist ein solcher Bereich. Jugendliche taugen nur als delinquente zur öffentlichen Aufmerksamkeit. Schläger und Verbrecher, um derentwillen man die Menschen mit Kameras überwachen muß. Die Ursachen sind auch weitgehend geklärt: Computerspiele, in denen Gewalt verherrlicht wird und rauchende Unterschichtseltern, die das Kindergeld nur zum Kiosk tragen.
Daß es überhaupt eine Jugendhilfe gibt – man kann ja nicht dankbar genug sein! Schließlich verdienen sich die Hilfesuchenden ihre Hilfe nicht. Es ist wohl ein Almosen, das der Staat geben oder nehmen kann.
Vor Ort sieht das freilich völlig anders aus. Jugendhilfe ist wichtig, und sie kann nur erfolgreich sein, wenn sie mit entsprechenden Mitteln ausgestattet wird. Wird sie aber nicht. Was der Personalabbau in vielen Kommunen für die Hilfen bedeutet, ist oft unerträglich. Verfahren werden verschleppt, finden ohne angemessene amtliche Aufsicht statt, und es wird mit Vorliebe die günstigere Maßnahme der hochwertigen vorgezogen.
Vor allem aber: Prävention findet kaum statt. Jugendarbeit und -hilfe hat längst betriebswirtschaftliche Strukturen verinnerlicht, was dazu führt, daß über erfolgversprechende Maßnahmen gar nicht erst nachgedacht wird. Sonst gäbe es längst eine Infrastruktur der Elternausbildung, die massenhaft nachgefragt würde. Erziehen muß man lernen, es gibt aber niemand Geld dafür aus, die wenigen durch das Emnagement Einzelner geprägten Ausnahmen bestätigen hier die Regel. Das Problem ist: jeder kann vorrechnen, was das kostet, aber niemand kann sicher sagen, was es am Ende einspart. Wer lange genug in der Branche arbeitet, weiß aber, daß jeder geknauserte Euro am Ende zweimal bezahlt werden muß. Wer die Haushalte der Kommunen kennt, weiß, daß weniger als nötig zur Verfügung steht.
Die zunehmende Unfähigkeit der Eltern, zu erziehen, ist ebenso strukturbedingt wie das dauernde “Sparen” am falschen Ende. Allein die Erfahrungen, die ich selbst mit diesem Irrsinn gemacht habe, könnten Bände füllen. Das unerträgliche Konglomerat aus heuchelrischen Politikern, reißerischen Medien und übereifrigen Sparfüchsen ist hier wie überall am Werke. Der neoliberale Ungeist zerstört die Gesellschaft an der Basis.
Ein feines Beispiel für populistischen Schwachsinn in Reinkultur hat dazu jüngst die FDP geliefert: Eltern sollen für die Folgen von “Komasaufen” “zur Kasse gebeten werden”, weil es die Krankenkassen belastet. Grandios! Während die Jugend durch Werbung und Wirtschaft zu haltlosem Konsum von allem und jedem angeheizt wird, während ratlose Eltern im Stich gelassen werden, macht sich die FDP Gedanken darüber, wie man die Folgen dieser Dekadenz in Einzefälle zerlegt, um Schuldige auszumachen, die das ausbaden sollen. Es geht auch dabei nicht um die Lösung eines Problems, schon gar nicht um das Wohl der Jugendlichen und jungen Erwachsenen. Es geht darum, Kosten zu senken, Lohnnebenkosten zumal, damit am Ende des Quartals mehr in die Gewinnzone schwappt.
Nun könnte man ja argumentieren, daß eine bessere Jugendarbeit sogar die Kosten senken würde, weil losgelassene Jugendliche ein Sicherheitsproblem darstellen und kriminelle Karrieren allemal teurer sind als rechtzeitige Unterstützung von Eltern und ihren Kindern. Hier scheint aber der Synergieeffekt bereits gegengerechnet worden zu sein. Vielleicht wissen die Wirtschaftsfachleute der “liberalen” Elite ja, daß man sie ohnehin mit großem Aufwand vor den Bürgern wird schützen müssen. Auch deshalb mögen sie ihren Lieblingskoalitionspartner so gern, der scheinbar gar nicht genug Geld fürs Überwachen und Strafen ausgeben kann.
Juni 18th, 2008 at 05:40
Du sprichst mir hier aus der Seele.
Die bittere Ironie ist, dass die gesetzliche Grundlage für den Vorschlag des Herrn Brüderle bereits verabschiedet ist und in zwei Wochen in Kraft treten wird.
Juni 18th, 2008 at 05:40
Du sprichst mir hier aus der Seele.
Die bittere Ironie ist, dass die gesetzliche Grundlage für den Vorschlag des Herrn Brüderle bereits verabschiedet ist und in zwei Wochen in Kraft treten wird.
Juni 18th, 2008 at 09:39
Ähnliches gilt für Programme, die dazu dienen den konstruktiven Umgang mit Konflikten zu fördern. Wenn irgendwo die Kacke dampft, dann wird Geld da reingebuttert, um das schnell auszubügeln. Wenn die Kacke dann nicht mehr dampft, zieht man das Geld da wieder raus… ist ja kein Problem mehr vorhanden.
Langfristige Projekte, die von vornherein verhindern, dass die Kacke bald wieder dampft, werden nicht finanziert, weil sich da ja kein “Erfolg” messen lässt.
Juni 18th, 2008 at 09:39
Ähnliches gilt für Programme, die dazu dienen den konstruktiven Umgang mit Konflikten zu fördern. Wenn irgendwo die Kacke dampft, dann wird Geld da reingebuttert, um das schnell auszubügeln. Wenn die Kacke dann nicht mehr dampft, zieht man das Geld da wieder raus… ist ja kein Problem mehr vorhanden.
Langfristige Projekte, die von vornherein verhindern, dass die Kacke bald wieder dampft, werden nicht finanziert, weil sich da ja kein “Erfolg” messen lässt.
Juni 18th, 2008 at 12:41
Du sagst es ja bereits: betriebswirtschaftliches Denken hat wohl auch hier Einzug gehalten – kurzfristiges Aufschieben vor langfristigen Problemlösungsversuchen (längerfristig angelegte Programme zeigen schließlich erst Wirkung, wenn die Akteure vermutlich nicht mehr im Amt sind).
Besonders der Hinweis auf die Strukturbedingtheit des Erziehungsproblems spricht mir als werdendem Soziologen aus der Seele.
Die FDP wiederum macht nur weiterhin Politik für ihre Wähler – erst Umverteilung von unten nach oben (in jeder Hinsicht – finanziell, gewissermaßen auch auf Bildung bezogen etc.) und dann die entstehenden Armen schön weiter abschöpfen; das alles mit dem “jeder ist für sich selbst verantwortlich”-Paradigma, welches in diesem Falle allerdings bei jedem klar denkenden zumindest zu einem Stirnrunzeln führen sollte.
Juni 18th, 2008 at 12:41
Du sagst es ja bereits: betriebswirtschaftliches Denken hat wohl auch hier Einzug gehalten – kurzfristiges Aufschieben vor langfristigen Problemlösungsversuchen (längerfristig angelegte Programme zeigen schließlich erst Wirkung, wenn die Akteure vermutlich nicht mehr im Amt sind).
Besonders der Hinweis auf die Strukturbedingtheit des Erziehungsproblems spricht mir als werdendem Soziologen aus der Seele.
Die FDP wiederum macht nur weiterhin Politik für ihre Wähler – erst Umverteilung von unten nach oben (in jeder Hinsicht – finanziell, gewissermaßen auch auf Bildung bezogen etc.) und dann die entstehenden Armen schön weiter abschöpfen; das alles mit dem “jeder ist für sich selbst verantwortlich”-Paradigma, welches in diesem Falle allerdings bei jedem klar denkenden zumindest zu einem Stirnrunzeln führen sollte.
Juni 18th, 2008 at 14:57
Und von denjenigen, die den Alkohol zur Verfügung stellen, ist keine Rede. Ist auch logisch, ist ja Geschäft.
Juni 18th, 2008 at 14:57
Und von denjenigen, die den Alkohol zur Verfügung stellen, ist keine Rede. Ist auch logisch, ist ja Geschäft.
Juni 18th, 2008 at 20:02
Die Frage ist doch: Hilft Nölen und Jammern (unter Beifall der üblichen Verdächtigen, d.h. derjenigen die in Projekten engagiert sind oder deren Wichtigkeit erkennen)? Oder sollte man das Thema in einer Weise an die Öffentlichkeit tragen, die auch andere Kreise erreicht? Warum nicht einen Interessensverband Jugendhilfe gründen, gut geschriebene Pressemitteilungen herausgeben, aktiv werden.
Wir leben im Zeitalter der Lobbies, das kann man beweinen und sich bessere Verhältnisse wünschen, oder man kann eine gründen. Und trotzdem hinterrücks zusätzlich an besseren, lobby-freien Verhältnissen arbeiten.
Juni 18th, 2008 at 20:02
Die Frage ist doch: Hilft Nölen und Jammern (unter Beifall der üblichen Verdächtigen, d.h. derjenigen die in Projekten engagiert sind oder deren Wichtigkeit erkennen)? Oder sollte man das Thema in einer Weise an die Öffentlichkeit tragen, die auch andere Kreise erreicht? Warum nicht einen Interessensverband Jugendhilfe gründen, gut geschriebene Pressemitteilungen herausgeben, aktiv werden.
Wir leben im Zeitalter der Lobbies, das kann man beweinen und sich bessere Verhältnisse wünschen, oder man kann eine gründen. Und trotzdem hinterrücks zusätzlich an besseren, lobby-freien Verhältnissen arbeiten.
Juni 18th, 2008 at 22:15
Man könnte zwar argumentieren, daß sich der neoliberale “Sicherheitsstaat” auf längere Sicht gesehen selbst zugrunde richtet, aber das dürfte den Betroffenen jetzt auch nicht weiterhelfen. Warum “sparen” sich die betriebswirtschaftlichen Reformer mit dem Kosten/Nutzen-Kalkül nicht einmal selbst weg?
Juni 18th, 2008 at 22:15
Man könnte zwar argumentieren, daß sich der neoliberale “Sicherheitsstaat” auf längere Sicht gesehen selbst zugrunde richtet, aber das dürfte den Betroffenen jetzt auch nicht weiterhelfen. Warum “sparen” sich die betriebswirtschaftlichen Reformer mit dem Kosten/Nutzen-Kalkül nicht einmal selbst weg?
Juni 21st, 2008 at 18:47
@Markus:
Warum “sparen” sich die betriebswirtschaftlichen Reformer mit dem Kosten/Nutzen-Kalkül nicht einmal selbst weg?
Weil diese Reform-Terroristen tatsächlich der irrigen Annahme unterliegen, dass sie selbst irgendeinen Nutzen für die Allgemeinheit hätten, obwohl deren Ergüsse sich oftmals lesen, als seien sie ausschließlich der Leere zwischen Maul und Arsch entsprungen.
Gruß
Alex
Juni 21st, 2008 at 18:47
@Markus:
Warum “sparen” sich die betriebswirtschaftlichen Reformer mit dem Kosten/Nutzen-Kalkül nicht einmal selbst weg?
Weil diese Reform-Terroristen tatsächlich der irrigen Annahme unterliegen, dass sie selbst irgendeinen Nutzen für die Allgemeinheit hätten, obwohl deren Ergüsse sich oftmals lesen, als seien sie ausschließlich der Leere zwischen Maul und Arsch entsprungen.
Gruß
Alex