Alles geht durcheinander beim Aufstand der Milchbauern: Die Begriffe, die Machtverhältnisse und das Verhalten der Marktteilnehmer.
Das beginnt damit, daß vom “Streik” der Milchbauern die Rede ist. Diese sind aber keine Angestellten, keine Tarifpartei, die in Verhandlungen mit Arbeitgebern steht, sondern Rohstoffproduzenten, die mit der verarbeitenden Industrie und dem Handel im Clinch liegen. Sie streiken also nicht, sondern sie setzen ihre Geschäftpartner unter Druck, weil ihnen die Preise nicht passen. Es wäre strukturell das Gleiche, wenn Ölförderer die Raffinierien und Tankstellen boykottierten, um höhere Preise zu erzielen.
Rechtlich betrachtet, ist es nicht hinnehmbar, was da passiert, und die Ermittlungen des Karellamtes gegen die Milchbauern werden und müssen Folgen haben. Es wurden schließlich nicht nur Preisabsprachen getroffen, sondern die Forderungen sind auch mit rechtswidrigen Mitteln durchgesetzt worden. Würde das gutgeheißen, beriefen sich folgerichtig alle Rohstoffproduzenten auf dasselbe Recht. Und auf lange Sicht wohl alle, die irgendetwas produzieren.
milch
Daß man die Bauern machen läßt, hat seine Gründe. Allein die anstehenden Landtagswahlen in Bayern sind ein guter Anlaß, zumindest stillzuhalten. Die CSU/CDU hat kein Interesse, ihr Klientel zu vergraulen, und die Sozialdemokraten werden nicht weniger sozial erscheinen wollen als die Konkurrenz. Dasselbe gilt für die Linke und und die auch in der Landwirtschaft verwurzelten Grünen. Die Bürger haben Verständnis für einen bodenständigen Berufsstand, dem das Wasser offenbar bis zum Hals steht.
Die großen Handelsketten, deren Preisdruck zur Situation beiträgt, geben dem Gegendruck nach. Vor allem aus Imagegründen. Bei Lidl ist die Sache ganz offensichtlich. Ihre große “Verantwortungs”-Kampagne (siehe Lidl-Homepage) erhält dadurch Schwung, und man kann den Spitzelskandal schneller vergessen machen, wenn man “sozial” auftritt.
ALDI hat ein ähnliches Problem. Sie können das Image des Preisdrückers nicht gebrauchen, auch wenn es der Wahrheit nahe kommt.
Dieser Machtkampf, in dem alle Regeln gebrochen werden, offenbart eine handfeste Krise der Marktwirtschaft, des Kapitalismus. Was so aussieht, als gewinne das Gute, als nehme der Markt Rücksicht auf berechtigte Interessen oder als ließen sich solche Interessen durchsetzen, wenn die vielen Kleinen gegen die wenigen Großen vorgehen, ist tatsächlich ein besorgniserregendes Chaos. Es ist ein Skandal, daß man die Bauern so gewähren läßt. Es ist ein Skandal, daß sie zu solchen Mitteln greifen mußten. Versagt hat hier alles, was die neoliberale Marktwirtschaft ausmacht, aber ebenso die EU-Bürokratie der Milchquoten und Subventionen. Über die traditionell irrsinnige Agrarpolitik der EU an dieser Stellte nur so viel: Wenn schon bürokratisch in Märkte eingegriffen wird, dann sollte dafür gesorgt sein, daß die Abhängigkeit von Preisschwankungen nicht größer wird. Diese Diskussion kann hier aber nicht eingehend geführt werden.
Vor allem eines wird sichtbar: Eine politisch gewollte Wirtschaft, in der die Bürger als Feinde aufeinander losgehen, in der wirklich wird, was machbar ist, läuft unvermeidbar aus dem Ruder. Vetragspartner, die einander respektieren, Tarifpartner, die das gemeinsame Interesse suchen und eine grundsätzliche Solidarität mit Schwächeren haben den Rheinischen Kapitalismus einmal geprägt. Auch in dieser Zeit gab es Pleiten, und nicht alles, was angeboten wurde, ließ sich auch verkaufen. Es blieb aber allen die Luft zum atmen.
Inzwischen gilt nur noch das Gesetz des Stärkeren, nach dem Konzerne Preise diktieren, Menschen trotz harter Arbeit verarmen und Kleinproduzenten dazu gebracht werden, quasi erpresserisch ihre berechtigten Forderungen durchzusetzen. Diese “Marktwirtschaft” zerstört den Inneren Frieden und die ganze Gesellschaft, daran wird auch der Pyrrhussieg der Milchbauern nichts ändern. Für Ordnung in einem solchen System kann auf lange Sicht nur noch eine übermächtige Staatspolizei sorgen. Wirtschaft und Handel wird aber auch das nicht retten.