So spannend ist totale Überwachung
Posted by flatter under Best of , Politik[11] Comments
01. Jun 2008 13:20
Darf man Journalisten vorwerfen, daß sie einen Sachverhalt nicht kommentieren? Darüber läßt sich streiten. Problematisch werden Artikel, die scheinbar neutral oder wertfrei berichten, immer dann, wenn ein Skandal nicht “Skandal” genannt wird und der Leser zweifeln muß, ob der Autor sich heimlich gemein macht mit Rechtsbrechern und Leuteschindern. Im Zweifelsfall begibt sich die kluge Interpretation zwischen die Zeilen. Manchmal ist nicht einmal das nötig, weil der Sprachgebrauch verrät, wes Geistes Kind einer ist.
Bei SpOn sind es gleich drei Leute, die einen kleinen Artikel über einen Abhörskandal zu Verantworten haben, den sie scheinbar nicht erkennen: “Sascha Koesch / Fee Magdanz / Robert Stadler“. “Lügendetektor gegen falsche Krankmeldungen” ist die Headline dieser Meisterleistung gehirngewaschener Propaganda. Berichtet wird über ein “Pilotprojekt” in Großbrittanien. Dort wurden Sozialhilfeempfänger angerufen, und ihre Antworten auf behördliche Fragen wurden mithilfe eines Stimmanalyse-Programms ausgewertet. Solche Praktiken sind ein handfester Skandal. Sie verstießen hier eindeutig gegen das Grundgesetz. Es wäre im Zuge der Spitzel-und Abhörskandale der letzten Monate und des epidemischen Überwachungswahns deutscher Innenpolitiker eine gute Gelegenheit gewesen, das nicht unkommentiert zu präsentieren und fasziniert über technische Details zu plaudern. Haben die Autoren keine Meinung dazu? Ein Blick in die Einleitung verrät mehr:
“Der Versuch, Lügner am Telefon per Stimmanalyse zu entlarven, galt bislang als gründlich gescheitert. Jetzt macht ein neuer Ansatz in Großbritannien Furore. Angeblich wurde er in London bereits erfolgreich gegen Sozialhilfebetrüger eingesetzt.”
“Erfolgreich” gegen “Lügner” und “Sozialhilfebetrüger”. Das ist schon keine heimliche Zustimmung mehr, das ist lauter Applaus. Wer so etwas schreibt, unterstützt mit Nachdruck das Bild vom parasitären Unterschichtsplebs, der keine Rechte hat. Lügner und Betrüger, die zu überwachen Bürgerpflicht ist. Wer fragt da noch nach Bürgerrechten?
Aber es kommt noch besser, denn nicht nur der Staat hat gute Gründe, die Sozialhilfebetrüger zu überwachen. Auch die Konzerne müssen ihre betrügerischen faulen Angestellten kontrollieren:
“Dahinter steht die Annahme, dass etwa jeder achte Tag im Krankenstand nicht auf gesundheitliche Probleme zurückgeht. Wenn die Software gegen das Krankfeiern eingesetzt wird, so die Hoffnung der Manager, dürfte es zunächst sogar egal sein, ob die Technik im zweiten Anlauf zuverlässiger ist als vor zehn Jahren. “Wenn man weiß, dass ein Lügendetektor am anderen Ende der Leitung ist, wird man sich wohl zweimal überlegen, ob man wirklich krankfeiern will,” zitiert die Zeitung Lawrence Knowles von der Unternehmensberatung Midland HR.”
Die “Hoffnung der Manager”, ihr Glaube, ihre Liebe? Hier spekuliert jemand öffentlich darüber, daß schon sporadisch eingesetzte Schnüffelei abschreckende Wirkung erzeugt. Der Mitarbeiter soll sich mit Recht verfolgt fühlen. Das ist nichts anderes als das, was Lidl und die Telekom praktiziert haben. Es wird exakt der Effekt beschrieben, vor dem das Bundesverfassungsgericht in vielen Urteilen warnt. Für SpOn kein Anlaß, dagegen aufzubegehren. Das Stürmergewehr der Demokratie beschreibt so etwas als “Hoffnung der Manager” auf Mittel gegen “Lügner” und “Sozialhilfebetrüger”.
“Verdinglichtes Bewußtsein” nannte Adorno dieses Phänomen. Man kann gar nicht mehr entscheiden, ob solche Äußerungen so gemeint sind, wie sie wirken. Es herrscht ein Maß an Angepaßtheit, das schon Propaganda erzeugt, wenn nur “die Wirklichkeit” beschrieben wird. Es war einmal die Aufgabe von Journalisten, zumal denen des “Spiegel”, solcher Propaganda aktiv entgegenzutreten. Heute stehen sie auf der anderen Seite.
Juni 1st, 2008 at 22:49
Zum Skandal wird es doch erst ,wenn man es gegen die selbsternannten Eliten einsetzt.
Aber das passt schon , egal ob die Software funktioniert oder nicht, dem faulen Volk muss Beine gemacht werden.
Soziale Abstieg , Überwachung…. die Drohkulisse zählt!!!
Juni 1st, 2008 at 23:06
Heute stehen auch einst kritische Blätter auf der “anderen Seite”, weil die “Demokratiebetrüger” in Politik und Business nach erfolgter “Revolution von oben” das massenmediale Bild der gesellschaftlichen Wirklichkeit nach ihren (Wahn-)Vorstellungen zu konstruieren im Stande sind.
Juni 2nd, 2008 at 00:56
hm, und ich dachte, 1984 liegt schon 25 Jahre zurueck, wie soll man denn da noch Oppsosition machen im Sinne der Hoffnung, es besser zu koennen? man wird ja nicht gelassen werden…
ana
Juni 2nd, 2008 at 09:26
[...] Bei SpOn sind es gleich drei Leute, die einen kleinen Artikel über einen Abhörskandal zu Verantworten haben, den sie scheinbar nicht erkennen: “Sascha Koesch / Fee Magdanz / Robert Stadler“. “Lügendetektor gegen falsche Krankmeldungen” ist die Headline dieser Meisterleistung gehirngewaschener Propaganda. “Verdinglichtes Bewußtsein” nannte Adorno dieses Phänomen. Man kann gar nicht mehr entscheiden, ob solche Äußerungen so gemeint sind, wie sie wirken. Es herrscht ein Maß an Angepaßtheit, das schon Propaganda erzeugt, wenn nur “die Wirklichkeit” beschrieben wird. Es war einmal die Aufgabe von Journalisten, zumal denen des “Spiegel”, solcher Propaganda aktiv entgegenzutreten. Heute stehen sie auf der anderen Seite. Quelle: Feynsinn [...]
Juni 2nd, 2008 at 12:36
Die Politik beziehungsweise die Wirtschaft westeuropäischer Länder grenzt sich ja meistens massiv gegen die Zustände in der ehemaligen DDR ab. Ich erinnere mich an einen Fernsehfilm aus den siebziger Jahren, der das Leben der DDR-Grenzsoldaten thematisierte. Einer der Sätze, den ein Grenzer zu dem anderen sagt, war: “Mißtrauen ist die Grundlage unseres Staates.”
Mir scheint, die Verhältnisse im Westen nähern sich immer mehr dem an, was der ehemalige Ostblock an diktatorischen Strukturen zu bieten hatte. Am besten wäre es, um auf die oben erwähnte Erkennungssoftware zurückzukommen, wenn die Menschen so verunsichert würden, daß sie zu stottern anfangen, obwohl sie ein gutes Gewissen haben. Mißtrauen ist die Grundlage eines ausbeuterischen Kapitalismus.
Juni 2nd, 2008 at 13:41
Ich finde die Klitterung bemerkenswert: wie schizoid muß mensch sein, um sich bei Lidl und Telekom aufzuregen über Bespitzelung und Aushorchung und zugleich derart unkritisch mit oben angesprochenem Thema umgehen?
Weil Arbeitslose weniger wert sind vielleicht? Der Gedanke drängt sich auf, besonders im Zusammenhang mit den jüngsten Vorstößen wider Hartz IV Betroffenen.
Ehrlich gesagt reichts mir mittlerweile mit der offen zur Schau getragenen Demokratiefeindlichkeit der Leidmedien und der etablierten Politiker.
Juni 2nd, 2008 at 16:12
Es ist schon erschreckend, dass drei sogenannte Journalisten völlig unkritisch mit einem heiklen Thema umgehen. Annahmen von Zahlen und Nennung von angeblichen Fakten werden nicht ansatzweise überprüft und in Frage gestellt, erst recht nicht die Frage nach der moralischen Bewertung einer solchen Vorgehensweise.
Und gespart in nicht unerheblicher Höhe hat man natürlich auch, was alle anderen Fragen irgendwie unwichtig macht.
Das drei Leute gemeinsam blind durch die Gegend laufen, ist leider nicht nur beim Spiegel mittlerweile normal, sondern die Regel.
Ich wünsche mir eine entsprechende Software zur Überwachung von Wirtschaftsbossen, Wirtschaftsweisen, Politikern, Experten der industriefinanzierten Institute usw..
Wäre doch toll, wenn man direkt auswerten könnte, wann in den unsäglichen Talk-Shows und bei ihren sonstigen Auftritten die Lüge direkt nach dem Aussprechen entlarvt werden könnte. Da bliebe in Zukunft sehr viel Platz auf den Sendeplätzen und in den Spalten der Magazine und Zeitungen, da der Druck zum Schweigen verdammt groß wäre…
Juni 2nd, 2008 at 19:55
@ben Says
Zitat
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Wäre doch toll, wenn man direkt auswerten könnte, wann in den unsäglichen Talk-Shows und bei ihren sonstigen Auftritten die Lüge direkt nach dem Aussprechen entlarvt werden könnte.
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Ganz einfach, besorg die Software, nimm von einem Fernsehsender Deines Vertrauens das Geblubber von unseren Eliten auf und lass ebendiese Software drüberlaufen, wie lange glaubst Du wird diese Software dann noch zu haben sein, solle diese denn auch funktionieren
Juni 2nd, 2008 at 20:19
Chomskys “Understanding Media” und “Manufacturing Consent” sind das Beste was ich bis jetzt über dieses Thema gelesen habe. (Vermeintliche Neutralitätder Medien). Zwar auf die USA bezogen, aber die Parallelen zu Deutschland sind erschreckend.
Juni 2nd, 2008 at 20:22
[...] von den Ergebnissen sein.Ein interessanter Kommentar zu diesem Artikel findet sich auf dem Blog Feynsinn, aber dort wird nur mal wieder beklagt, dass solch eine Software als Machtinstrument von den Eliten [...]
Juni 3rd, 2008 at 09:30
Ein anderes sehr gutes Buch zu dem Thema ist “Guardians of Power: The Myth of the Liberal Media” von David Edwards und David Cromwell, eher auf Medien aus UK bezogen, jedoch durchaus leider auf deutsche Medien übertragbar.