Darf man Journalisten vorwerfen, daß sie einen Sachverhalt nicht kommentieren? Darüber läßt sich streiten. Problematisch werden Artikel, die scheinbar neutral oder wertfrei berichten, immer dann, wenn ein Skandal nicht “Skandal” genannt wird und der Leser zweifeln muß, ob der Autor sich heimlich gemein macht mit Rechtsbrechern und Leuteschindern. Im Zweifelsfall begibt sich die kluge Interpretation zwischen die Zeilen. Manchmal ist nicht einmal das nötig, weil der Sprachgebrauch verrät, wes Geistes Kind einer ist.

Bei SpOn sind es gleich drei Leute, die einen kleinen Artikel über einen Abhörskandal zu Verantworten haben, den sie scheinbar nicht erkennen: “Sascha Koesch / Fee Magdanz / Robert Stadler“. “Lügendetektor gegen falsche Krankmeldungen” ist die Headline dieser Meisterleistung gehirngewaschener Propaganda. Berichtet wird über ein “Pilotprojekt” in Großbrittanien. Dort wurden Sozialhilfeempfänger angerufen, und ihre Antworten auf behördliche Fragen wurden mithilfe eines Stimmanalyse-Programms ausgewertet. Solche Praktiken sind ein handfester Skandal. Sie verstießen hier eindeutig gegen das Grundgesetz. Es wäre im Zuge der Spitzel-und Abhörskandale der letzten Monate und des epidemischen Überwachungswahns deutscher Innenpolitiker eine gute Gelegenheit gewesen, das nicht unkommentiert zu präsentieren und fasziniert über technische Details zu plaudern. Haben die Autoren keine Meinung dazu? Ein Blick in die Einleitung verrät mehr:

Der Versuch, Lügner am Telefon per Stimmanalyse zu entlarven, galt bislang als gründlich gescheitert. Jetzt macht ein neuer Ansatz in Großbritannien Furore. Angeblich wurde er in London bereits erfolgreich gegen Sozialhilfebetrüger eingesetzt.

“Erfolgreich” gegen “Lügner” und “Sozialhilfebetrüger”. Das ist schon keine heimliche Zustimmung mehr, das ist lauter Applaus. Wer so etwas schreibt, unterstützt mit Nachdruck das Bild vom parasitären Unterschichtsplebs, der keine Rechte hat. Lügner und Betrüger, die zu überwachen Bürgerpflicht ist. Wer fragt da noch nach Bürgerrechten?

Aber es kommt noch besser, denn nicht nur der Staat hat gute Gründe, die Sozialhilfebetrüger zu überwachen. Auch die Konzerne müssen ihre betrügerischen faulen Angestellten kontrollieren:

Dahinter steht die Annahme, dass etwa jeder achte Tag im Krankenstand nicht auf gesundheitliche Probleme zurückgeht. Wenn die Software gegen das Krankfeiern eingesetzt wird, so die Hoffnung der Manager, dürfte es zunächst sogar egal sein, ob die Technik im zweiten Anlauf zuverlässiger ist als vor zehn Jahren. “Wenn man weiß, dass ein Lügendetektor am anderen Ende der Leitung ist, wird man sich wohl zweimal überlegen, ob man wirklich krankfeiern will,” zitiert die Zeitung Lawrence Knowles von der Unternehmensberatung Midland HR.”

Die “Hoffnung der Manager”, ihr Glaube, ihre Liebe? Hier spekuliert jemand öffentlich darüber, daß schon sporadisch eingesetzte Schnüffelei abschreckende Wirkung erzeugt. Der Mitarbeiter soll sich mit Recht verfolgt fühlen. Das ist nichts anderes als das, was Lidl und die Telekom praktiziert haben. Es wird exakt der Effekt beschrieben, vor dem das Bundesverfassungsgericht in vielen Urteilen warnt. Für SpOn kein Anlaß, dagegen aufzubegehren. Das Stürmergewehr der Demokratie beschreibt so etwas als “Hoffnung der Manager” auf Mittel gegen “Lügner” und “Sozialhilfebetrüger”.

“Verdinglichtes Bewußtsein” nannte Adorno dieses Phänomen. Man kann gar nicht mehr entscheiden, ob solche Äußerungen so gemeint sind, wie sie wirken. Es herrscht ein Maß an Angepaßtheit, das schon Propaganda erzeugt, wenn nur “die Wirklichkeit” beschrieben wird. Es war einmal die Aufgabe von Journalisten, zumal denen des “Spiegel”, solcher Propaganda aktiv entgegenzutreten. Heute stehen sie auf der anderen Seite.