Wäre sie in der CDU, hätte sie das Zeug zur Kanzlerin. In der Linkspartei wäre sie eine dämonische Verräterin. In der SPD gilt sie als “Strippenzieherin” und “heimliche Vorsitzende”. So sehen es deutsche Medien, letzteres expressis verbis.
“Zieht sie die Strippen?” fragt RP-online rhetorisch. Der Tagesspiegel (Die Abschrift ist auch bei Zeit.de zu lesen) stellt fest:
„Die kann Partei.“ Über ihre Kollegen als Vizevorsitzende, die renommierten Minister Steinmeier und Steinbrück, lässt sich das derzeit ebenso wenig sagen wie über den rheinland-pfälzischen Ministerpräsidenten Kurt Beck.“. Welt.de berichtet hintergündiges zur Kandidatur von Gesine Schwan, in die auch Andrea Nahles involviert sei, wenngleich es offenbar nicht ihre Idee gewesen ist. Anlaß zum Nahles-Hype ist, wie auch SpOn berichtet, ihr Schwenk in der Frage, ob sich die SPD noch einmal quasi offiziell von der “Linken” abgrenzen soll. Morgens war sie noch der Meinung, das sei nicht nötig, am Abend desselben Tages tat sie kund:
Es spricht nichts dagegen, das im Rahmen eines Parteitages noch einmal zu bekräftigen“.
Ihre Stärke bringt der Tagesspiegel auf den Punkt:
Wahrscheinlich verhält es sich so: Nahles’ Stärke speist sich aus einem über Jahre aufgebauten Netzwerk in der Partei, aus der Mehrheit des linken Flügels im Parteivorstand, vor allem aber aus der Schwäche ihrer männlichen Spitzengenossen.
Ein déjà vu: Genau so kam Angela Merkel nach ganz oben. Die CDU brachte nach dem Abgang des großen Demokrators und ewigen Kanzlers zunächst einen schwachen Vorsitzenden hervor, der an einer Affäre scheiterte. Danach setzte sich Merkel durch ein Patt zwischen den gewichtigeren männlichen Konkurrenten durch.
Nahles und die SPD spielen gleichwohl in einer anderen Liga. Die SPD wurde durch das Wüten eines neoliberalen Kanzlers und seiner Getreuen förmlich zerrissen. Gleich drei Parteivorsitzende wurden vom Steinschlag in den Ruinen der Partei erledigt, und Nahles steht noch immer nicht ganz an der Spitze. Sie wird wissen, warum. Es ist aussichtsreicher, zu warten. Es ist aussichtsreicher, sich mit allen und jedem zu verbünden, zu verabreden und zur rechten Zeit auf die Bühne und vors Mikrophon zu treten. Die Seilschaften der SPD funktionieren noch gut, die Intrigensolidarität bestimmt das Tagesgeschäft. In solchen Zeiten werden solche Charaktere befördert. Es ist zu viel der Ehre, ihr nachzusagen, sie habe schon “drei SPD- Parteivorsitzende gekillt“, wie die CSU-Generalsekretärin bei “Hart aber Fair” meinte. Ebenso verkennt die Lage, wer in ihr eine “Strippenzieherin” sieht. Nahles ist immer und überall. Daß sie “Partei kann” bedeutet, daß sie Risiken kalkuliert, weiß, wer wo was sagt und immer gerade die richtige Strippe in die Hand nimmt, wenn das Blitzlicht aufleuchtet. Daß sie abends ihr Geschwätz vom Morgen nicht mehr interessiert, sieht man ihr nach, weil man von ihr nur dann eine Meinung erwartet, wenn sie zuvor genügend Claqeure dafür gesammelt hat. In der Regel reicht ein Statement im Sinne dessen, was sich just als Mehrheit der zuständigen Gremien abzeichnet. “Hase und Igel” kann sie. Was sie nicht kann, sind so hinderliche Dinge wie Offenheit, Solidarität, Loyalität oder Geradlinigkeit. Galt Oskar Lafontaine früher als “größtes politisches Talent”, weil er ein begnadeter Redner war, darf Andrea Nahles heute als politisches Genie gelten. Sie bringt exakt das mit, was Politiker heute können müssen. Nicht mehr und nicht weniger.