In der Bewertung der sog. “Bürgerarbeit” habe nicht nur ich den NS-Slogan (wenn auch abgewandelt) zitiert, sondern er wird in vielen anderen, ebenfalls nicht unbedingt fanatisch “antifaschistischen” Blogs in Stellung gebracht. Einige erklärende Worte, was für mich dahinter steht:
In einer Arbeit zur “Dialektik der Aufklärung” stellte ich fest, daß die Idee, der Mensch müsse, um Subjekt zu werden, sich selbst und die Natur unterwerfen, ihre sehr realen Entsprechungen hat. Es fiel mir auf, daß dieser Vorgang im Holocaust seine konsequenteste Ausprägung erfuhr. Mir fehlt die Ahnung, wie die Nazis, sonst nicht eben poetisch veranlagt, ihr Werk derart treffend überschreiben konnten, aber “Arbeit macht frei” ist nicht nur unfaßbar zynisch, sondern es hat auch seine tiefe Wahrheit.
Die vollendete Hoheit des Produktionsprozesses über das Natürliche des Menschen, sein nacktes Leben, ist die industrielle Massenvernichtung. Der Prozeß der Umwandlung menschlichen Lebens in totale Arbeitskraft (bis zum Tod), Asche und Gebrauchsgüter ist beinahe ein Arbeitsprozeß wie jeder andere auch. Das Substrat ist freilich ein anderes, und eine Besonderheit bringt dieser Prozeß hervor: Es ist das Substrat selbst, das an der Umwandlung auf beiden Seiten beiteiligt ist: Als Arbeiter und als Produkt. Der Arbeiter vernichtet, das Produkt ist der vernichtete Arbeiter. Nur, wer noch arbeitet, ist “frei”. Diese “Freiheit” ist nichts anderes als das immer bedrohte Überleben.
Arbeit in diesem Sinne war unter der Herrschaft der Nazis für alle dasselbe: Beteiligung an der Vernichtung. Wer sich weigerte, kam auf die andere Seite. Nicht alle hatten die Wahl, das unterschied etwa Juden von “Nichtjuden”.
Jenseits dieser wahnhaft konsequenten Auslegung des Produktionsprozesses gilt es durchaus nicht als fragwürdig, daß die “Arbeitskraft” der Menschen auf dem “Markt” als “Ware” angeboten und gehandelt wird. Es gilt nicht etwa als skandalös, daß die menschliche Tüchtigkeit und Kreativität mit anderen “Waren” quasi konkurrieren muß. Ich möchte an dieser Stelle gar nicht diskutieren, ob das hinnehmbar ist, geschweige denn Alternativen dazu ins Spiel bringen. Es soll hier nur festgestellt werden, daß in einer “Marktwirtschaft” eben Arbeit gegen Geld verrichtet wird, und daß man diesen Vorgang unterschiedlich betrachten kann.
Es wird dabei äußerst unappetitlich, wenn diese martkwirtschaftliche Wirklichkeit mit einer Ideologie verbunden wird, die den Menschen als eine Arbeitskraft betrachtet, die sich durch Teilnahme an jenem Marktgeschehen ihr Leben zu “verdienen” hätte. Es wird unerträglich, wenn dies die herrschende Ideologie ist und deren Vetreter glauben, sie dürften den Menschen, die nicht Teil des Marktgeschehens sind, Zwang und Entwürdigung auferlegen. Es mag verzeihlich sein, daß in Zeiten des Neoliberalismus viele Diskutanten und Entscheidungsträger nicht das intellektuelle Vermögen aufbringen, die genannten Zusammenhänge zu erkennen oder zu hinterfragen. Wenn aber der Dynamik einer nicht eben menschenfreundlichen Ideenlehre derart blind gefolgt wird, daß wieder Menschen pauschal beschuldigt werden, an ihrem Elend selbst schuld zu sein und sie mit dieser Begründung zu Arbeiten gezwungen werden, ist es nicht mehr allzuweit bis zur letzten Konsequenz. Der “Bürger” ist der freie Mensch, diesen Anspruch haben die demokratischen Revolutionen aufgebracht, und er wurde in den vergangenen Jahrhunderten gegen viele Vergewaltigungen verteidigt. Dies übrigens auch gegen die Faschisten, was ein Grund ist, warum ich nicht von “Wirtschaftsfaschismus” sprechen mag. Inwiefern dies bürgerliche Ideal je erfüllt wurde, darüber mag man auch vortrefflich streiten.
Die “Bürgerarbeit” ist als Begriff wie als Realität aus dieser Sicht eine Chimäre, die den Bürger, seine Freiheit und Würde nicht mehr nur negiert. Sie ist dem Überbau des nationalsozialistischen Terrors deutlich näher als jeder noch demokratischen Haltung. Der “Bürger”, der damit bezeichnet wird, ist nicht einmal mehr Ware auf dem Arbeitsmarkt. Er ist Delinquent, der zur Strafe seiner marktwirtschaftlich erfolglosen Existenz gehetzt wird: “Keine Zeit, zu Hause zu bleiben” soll er mehr haben. Er wird dem Markt sogar entzogen, denn wer mit unbezahlter Zwangsarbeit beschäftigt wird, hat auch keine Gelegenheit mehr, sich wenigstens zu einer Ware zu machen, die einer Bezahlung würdig wäre. Er ist Ausschuß, Marktmüll.
Das ist nicht “faschistisch”, es ist viel gnädiger, denn jeder kann das Glück haben, daß er nicht so endet, selbst Marktmüll hat das Recht, an Wahlen teilzunehmen, und niemand wird hingerichtet.
“Arbeit macht frei” heißt in diesen Zeiten nicht mehr, daß man Leben vernichten muß, um nicht ermordet zu werden. Es heißt heute, daß man am Prozeß der Warenproduktion und Vermögensverteilung teilhat, um sich als “wertvoller” Mensch fühlen zu dürfen. Es heißt, daß man als “wertlos” zu gelten hat, wenn man dieser Teilhabe entzogen ist, mit durchaus physischen und (anti-)bürgerrechtlichen Konsequenzen.
Läßt man diesen Schritt zu, erlaubt man also einer Gesellschaft, so mit ihren “Bürgern”, welcher Klasse auch immer, umzugehen, dann darf man sich auf den nächsten Schritt ebenso gefaßt machen. Dazu bedarf es nicht einmal eines Feindbildes, sei es der Jude oder der Moslem. Die sogenannte “Bürgerarbeit” ist die Verletzung eines Tabus, die auch und gerade bürgerlich geprägte Menschen auf die Barrikaden treiben muß.
Mai 15th, 2008 at 11:45
Frei nach Kant übersetzt, hat der Mensch keinen Wert, sondern Würde. Mit einer solchen unveräußerlichen “Qualität” des menschlichen Lebens kann sich das auf “Quantität” kaprizierende Wirtschaftsdenken freilich nicht gemein machen.
Wenn dieser Tage wohl nicht ganz zufällig wieder einmal eine angeblich drohende “Kommunistenherrschaft” durch die Linkspartei in der bürgerlichen Presse ausgemacht wird, muß in dieser Logik die Politik eben auch nach anderen Maßnahmen Ausschau halten, um das “arbeitsscheue Pack” nicht den Extremisten von links in die Arme laufen zu lassen. Neben dem Verfassungsschutz, der für die Linken gefordert wird, sollte bei den Bürgerarbeitsfanatikern aber auch noch die Sittenpolizei hinzugezogen werden.