Diese Vokabel gilt “der Wirtschaft” als rotes Tuch. Umverteilen wollen nach der Ideologie “liberaler” Ökonomen nur Sozialisten, die nicht wissen, daß man das Geld “verdienen” muß, das man ausgibt. Wenn also Politiker meinen, es sei ihre Aufgabe, für mehr soziale Gerechtigkeit zu sorgen, indem sie den Ärmeren mehr zukommen lassen wollen, ist das “Umverteilung”. Man müßte den Leistungsträgern etwas wegnehmen. Dadurch würde Leistung unattraktiv. Das wiederum würde die Wirtschaft lähmen bzw. sie würde abwandern. Das ist dann “Globalisierung”.
Das Wort “Umverteilung” deutet aber bereits auf eine Art negativen Etikettenschwindel hin. Wo etwas Um-verteilt wird, muß ja zuvor etwas verteilt worden sein. Es geht also, und nichts anderes ist Wirtschaft, um Verteilung. Daß Marktwirtschaft durch den Anreiz persönlicher Bereicherung (bitte wertfrei vestehen!) eine Dynamik entwickelt, die anderen Formen des Wirtschaftens fehlt, ist unbestritten. Darin liegt ihre große Stärke: Wo jeder durch Arbeit und Einsatz anderer Ressourcen etwas erreichen kann, ist stetig ein Motiv vorhanden, zum Erfolg des Systems beizutragen. Und dieses Prinzip hat in Europa, vor allem in der BRD, lange gut funktioniert. Es hat funktioniert, obwohl die Ressourcen schon immer ungerecht verteilt waren. Es hat funktioniert, obwohl wenige von Anfang an viel mehr vom System profitiert haben als andere. Und es hat hat so gut funktioniert, daß es einen breiten gesellschaftlichen Konsens gab dahingehend, daß die politische und wirtschaftliche Ordnung bejaht wurde. Zwar gab es auch immer radikale Kritiker des Systems, einige weniger helle, andere womöglich visionär. Aber es gab es den großen Konens, und die Deutschen glaubten an ihre Aufstiegschancen. Motto: “unsere Kinder sollen es einmal besser haben”.
Dieses Bild hat sich gewandelt. Obwohl die wirtschaftliche Situation in Produktion und Außenhandel nahezu perfekt ist, herrscht die nackte Angst. Angst, keine Rente zu bekommen, Angst, arbeitslos zu werden oder zu bleiben, Angst, sich keine Teilhabe am gesellschaftlichen Leben mehr leisten zu können. Deutsche Betriebe legen Jahr für Jahr neue Exportrekorde hin, die Gewinne sind mehr als stattlich, Manager und Unternehmen verdienen sich zeitweise dumm und dämlich.
Derweil wird nach einer chancenlosen Unterschicht, die mangels Bildung und Fähigkeit an keine Zukunft mehr glaubt, inzwischen auch die Mittelschicht abgehängt. Der Konsens ist zerbrochen, das Vertrauen in Aufstiegschancen und wirtschaftliche Gerechtigkeit ist zerstört.
Dieses Problem ist nur zu einem kleinen Teil erkannt. Im öffentlichen Diskurs finden Debatten statt, die nicht im mindesten der aktuellen Situation gerecht werden. Auf der einen Seite stehen neoliberale Marktanbeter, die keine Lösungen für die Verteilungsproblematik anbieten. Nach dem “Weiter so!” kennen sie nur noch ein “shut up!”, wenn es um soziale Gerechtigkeit geht. Sie machen sich und anderen weis, die Wirtschaft werde es schon richten. Man bräuchte nur genug Wachstum, dann gehe es allen gut. Daß selbst bei annähernd optimalen Wachstumsbedingungen die Schere weiter auseinander klappt, ignorieren sie. Eingriffe (des Staates), die die Fehltentwicklung korrigieren könnten, gelten ihnen als “Staatssozialismus” und Wachstumsbremse. Anstatt sich intellektuell mit den Problemen auseinanderzusetzen, betreiben sie substanzlosen Lobbyismus und Propaganda.
Auf der anderen Seite stehen politische Kräfte, die eine gerechtere Verteilung fordern. Die dazu notwendigen Mittel sind zu einem beachtlichen Teil Klassiker. Sie sind Klassiker des Rheinischen Kapitalismus, aber auch Klassiker des Sozialismus. Ob diese Mittel tauglich sind, wird nicht diskutiert. Entweder sie werden in Bausch und Bogen abgelehnt, weil sie eben “sozialistisch” seien, oder es wird behauptet, sie seien in einer globaliserten Wirtschaft nicht mehr zeitgemäß.
Man darf allerdings davon ausgehen, daß es so einfach nicht sein wird, Geld von oben nach unten zu verteilen. Es wäre angesichts des groben Ungleichgewichts zweifellos gerecht, aber es würde sich daraus nicht unbedingt ein stabiles System ergeben, das auf die Dauer besser wäre als das herrschende. Die Linke wird nicht ganz zu unrecht argumentieren, daß man das Experiment wagen solle. Schließlich kann es so nicht weitergehen. Bis heute muß man allerdings feststellen, daß auch auf dieser Seite mehr gefordert als nachgedacht wird. Dazu werden die Linken aber quasi gezwungen, denn über konkrete Schritte und Maßnahmen darf ja nicht diskutiert werden. Ernsthaft ist dann die Rede von einer “neuen DDR”. Man könnte mit noch viel mehr Recht vom neuen “Manchester” reden, aber das bringt uns auch nicht weiter.
Die Frage ist offen: Wie kann man ein Wirtschaftssystem erhalten, das eine ausreichende Produktion und ausreichend freien Handel bietet, so daß es stabil wachsen kann? Und wie kann man gleichzeitig dafür sorgen, daß die Verteilung der Ressourcen weniger ungerecht zugeht, damit die Staatsbürger nicht des Ganzen überdrüssig werden? Wohlgemerkt: Es geht nicht darum, den inneren Frieden durch Sicherheitspolitik und Propaganda herzustellen, sondern um eine annähernd gerechte Verteilung.
Zu diesem Problem höre und sehe ich nichts von den hohgelobten Wirtschaftswissenschaftlern und den politischen Akteuren der sogenannten “Mitte”. Vielleicht fangen sie endlich damit an, wenn die Linke zur stärksten politischen Kraft geworden ist? Aber selbst dann würden die Genies, die sich heute als “Weise” präsentieren, nur den Untergang des Abendlandes beweinen, anstatt ihre Hausaufgaben zu machen.
Von der Linken sollte man erwarten, daß sie wirklich zukunftsfähige Konzepte erarbeitet, die sich der Wirklichkeit anpassen. Anders herum klappt das schon prima. Sie sollte sich nicht davon beeindrucken lassen, daß auf der Brücke der Titanic ein anderer Kurs bevorzugt wird. Zumindest die Rettungsboote könnte man schon mal in Schuß bringen. Wenn der Dollarcrash und die nächste Wirtschaftskrise einsetzen, sind weder hämisches Besserwissen noch alte Glaubensbekenntnisse gefragt. Ein radikal neuer Gesellschaftsvertrag ist vonnöten.