Revisited: Der Staat kann nicht wirtschaften
Posted by flatter under Politik[21] Comments
03. Mrz 2011 16:54
Die große Gratis-Haftfluchtversicherung für Banken, der Staat, wird von Seiten des Neoliberalismus kampagnenhaft der Unfähigkeit bezichtigt, das gute Geld der Bürger gut anzulegen. Das könne “die Wirtschaft” viel besser. Die Wirtschaft, das ist alles, hinter dem jemand steht, der aus einer Sache Profit schlägt.
Dabei hält sich die Wirtschaft durch erfolgreiche Lobbypolitik gemeinhin die Konkurrenz durch den Staat vom Hals. So etwas wird dann zum Beispiel in Form von EU-Wettbewerbsrecht oder in Form von internationalen Handelsabkommen festgelegt. Hier beschließen die Staatschefs regelmäßig weitreichende Vereinbarungen mit dem Ziel, ihre Haushalte zu ruinieren und Konzernen gute Geschäfte zu ermöglichen.
Die “Bankenrettung” war der Dammbruch, der endgültig die Steuerzahler in Haft nahm für private Profiteure, ohne dass er irgend etwas davon gehabt hätte. Die Dankbarkeit sieht seitdem so aus, dass die Verantwortlichen Banker die nächste Havarie des Systems vorbereiten.
Die angebliche Notwendigkeit der Zweckentfremdung von Steuermitteln zugunsten der Banken ist dabei das Prinzip “Too big to fail”, d.h. Banken sind aufgefordert, möglichst so umfangreiche Geschäfte zu tätigen, dass ihre Insolvenz die Märkte ganzer Länder oder Kontinente zusammenbrechen ließe.
Verantwortung ist Sozialismus
Hans-Peter Burghof hat vor einigen Tagen im Interview mit dem Handelsblatt die Ansicht geäußert, es sei gar nicht möglich, die Banken unterhalb der Größenordnung zu halten, die irgendwann “systemgefährdend” wird und weist immerhin darauf hin, dass darin ein perverser Wettbewerbsvorteil liegt.
Die Großbanken können Risiken eingehen, die sich kleinere Banken nicht leisten können. Deren seriöseres Geschäftsgebaren kann mithin ruinös für sie sein. Der Markt hat das jetzt so geregelt: Wer sprichwörtlich zockt wie gestört, macht das Rennen. Wer aus der Kurve fliegt, erntet Steuergelder.
Und dies zu ändern, schlägt Burghof vor, eine Bankenabgabe einzurichten, die für Großbanken entsprechend höher ausfällt.
Hier wäre anzufügen: Es muss eine Pflichtversicherung eingeführt werden, die dazu führt, dass der Schaden, den sie anrichten, auch von ihnen selbst beglichen werden kann. Jedenfalls, wenn man den Kapitalismus nicht ersatzweise abschafft. Sie würden vermutlich schon bei ersterem Zeter und Mordio schreien, denn sie wollen schließlich keine Verantwortung für ihr Gewinnstreben tragen. Das nämlich wäre Sozialismus.
Alles meins, ich bestimme.
Privatisierung ist gut, Öffentliches Eigentum ist schlecht. Das weiß jeder Stromkunde, der inzwischen eine Woche im Monat für seinen Energieversorger arbeitet. Das Verscherbeln einer äußerst lukrativen Einkommensquelle für die Kommunen wurde als Geniestreich angepriesen. Inzwischen leugnet eigentlich niemand mehr, dass die Konzerne ihre Kunden ausplündern und dabei noch die Netze verkommen lassen. Die grandiosen Regulierungsbehörden schauen dumm zu, die Bundesregierung protegiert die Monopole, und dennoch soll es die Konkurrenz richten, meint Peter Becker. Wenn das mal nicht ein wenig zu optimistisch ist.
Wie es konsequent geht, ohne Schnörkel, dreist und rücksichtslos, demonstriert der Chef der Telekom Austria, Hannes Ametsreiter: “Wir besitzen die Infrastruktur. Wir bestimmen. Punkt.”, meint er und glaubt daher, auch darüber bestimmen zu können, wer für was die Telefonleitungen benutzen darf. Das gehört alles ihm, damit kann er machen, was er will. Ein Kandidat für die Nachfolge Ackermanns?
Der Staat privat
Privatisierung, die Übergabe einst staatlicher Dienste und ihrer Infrastruktur, ändert vor allem eines: Es entbindet den Eigentümer von jeder Verantwortung. Während der Staat sich stets an die eigenen Gesetze gebunden fühlt, soll das Gros der damit verbundenen Einschränkungen für die Privaten nicht gelten. Alles, was die demokratischen Rechte der Bürger sichert, alles was im Interesse der öffentlichen Ordnung ist, soll der Staat sichern und finanzieren. Alles, wovon die Allgemeinheit abhängig ist, soll zum Geschäftsfeld privater Profiteure werden.
Dass der Staat unter diesen Bedingungen nicht wirtschaften kann, soll irgendwen wundern? Wer fällt den bitte auf einen solchen Unsinn herein?
Die Schweden machen das ein bisschen anders. Daheim behalten sie sich vor, die Gesetze noch im Interesse der öffentlichen Haushalte zu erlassen, hier in Deutschland machen sie Kasse als “privates” Unternehmen. Vattenfall plündert die deutschen Stromkunden genauso fröhlich aus wie RWE, Eon und EnBw. Vattenfall aber gehört dem schwedischen Staat.
März 3rd, 2011 at 17:12
Alternative gefällig?
PROUT (Progressive Utilization Theory)!
Ich bin immer wieder erstaunt, warum dieses Konzept dieser Tage nicht täglich zumindest angesprochen und diskutiert wird.
Ich schau mal eben aus dem Fenster… nö, nur besoffene Jecken auf den Straßen. Also alles gut so, wie es ist.
März 3rd, 2011 at 18:48
[...] Revisited: Der Staat kann nicht wirtschaften Privatisierung ist gut, Öffentliches Eigentum ist schlecht. Das weiß jeder Stromkunde, der inzwischen eine Woche im Monat für seinen Energieversorger arbeitet. Das Verscherbeln einer äußerst lukrativen Einkommensquelle für die Kommunen wurde als Geniestreich angepriesen. Inzwischen leugnet eigentlich niemand mehr, dass die Konzerne ihre Kunden ausplündern und dabei noch die Netze verkommen lassen. Die grandiosen Regulierungsbehörden schauen dumm zu, die Bundesregierung protegiert die Monopole, und dennoch soll es die Konkurrenz richten, meint Peter Becker. Wenn das mal nicht ein wenig zu optimistisch ist. [...]
März 3rd, 2011 at 19:12
“Während der Staat sich stets an die eigenen Gesetze gebunden fühlt, [...]”
Stimmt das Tempus? Der Staat ist immer noch Eigner der Bahn, von munter verfassungswidrigen Gesetzen und ‘Reformen’ mal zu schweigen, von Bankenrettungen, wo der Staat ja auch ‘wirtschaftet’ ganz und gar… Dürfte man nicht diesem Staat auch nur noch das Vattenfall-Modell zutrauen – aber im eigenen Land…?
März 3rd, 2011 at 19:27
Man stelle sich vor der Papst privatisiert die Kirche …
Neuseeland hatte einmal seine Bahn privatisiert,nachdem die Investoren sich die Taschen gefuellt hatten dafuer aber das ganzen Inventar verrotten liessen,Strecken still legten und natuerlich Personal einsparten bis zur kompletten unbrauchbarkeit des Bahnservices hat die Regierung zum Wohl und finzellen Verlust der Allgemeinheit den Verein zurueckgekauft….wieder zum Gewinn der “Investoren” ..Gaehn
Zum x-ten Mal..wann endlich haften korrupte Politiker
fuer solche fatalen die Allgemeinheit belastenden “Fehlentscheidungen”
Scherbengericht jetzt
Kann der Staat wirtschaften ..ja er kann.Allerdings ist der Staat auch eine Interessensvertretung und da kommt es darauf an welche er vertritt,aus Sicht der Investoren sind die Entscheidungen “unserer” Interessensvertreter GOLD richtig den sie bereichern sich in einem nie dagewesenen Mass . Mann ist Lobbyist (korrupt) und stolz darauf denn man hat nichts zu fuerchten.
Wuerde der Staat die Interessen seiner Buerger …… dann,ja dann saehe das wahrscheinlich anders aus ;-)
März 3rd, 2011 at 19:40
@Peinhart: Das kann man natürlich diskutieren, ich kann allerdings nicht erkennen, dass sich der Staat der Sicherung der Infrastruktur nicht mehr verpflichtet fühlt. Der Hinweis aufs Tempus ist dabei völlig richtig: Die Zeiten, in denen Staatsbetriebe noch treu den Staatsbetrieb aufrecht erhalten haben, ist wohl vorbei, nicht zuletzt mangels Staatsbetrieben.
Was das Vattenfall-Modell anbetrifft, so ist es ja immer noch die überlegene Variante: Anstatt den Privaten und ihrem unverantwortlichen Management das Feld zur Ernte zu überlassen, um es dann wieder zu bestellen, ist es besser, selber derart unverantwortlich abzuräumen. Dann hat der Staaat immerhin nicht nur die Kosten, sondern auch den Gewinn. Das hätte schon Hunderte Millarden Einnahmen gebracht, auf die wir verzichten.
März 3rd, 2011 at 20:13
“Dann hat der Staat immerhin nicht nur die Kosten, sondern auch den Gewinn. Das hätte schon Hunderte Millarden Einnahmen gebracht, auf die wir verzichten.”
Wir…? Ich weiss nicht. Wenn dieses Geld dann zB in die Bankenrettung geflossen wäre, wäre genau die Umverteilung herausgekommen, die jetzt auch ansteht. Nur eben im Vorfeld.
März 3rd, 2011 at 21:17
[...] https://archiv.feynsinn.org/?p=7281 [...]
März 3rd, 2011 at 22:21
Du hast sprachlich ja den Zug verpasst: bei privaten Unternehmen schreibst Du Kunde, bei Staat Bürger…
Sogar bei der Arge ist der Bürger Kunde. Wir sind also letztlich längst Kunden des Unternehmens Staat. Und das stimmt, denn der Staat ist längst das Unternehmen der herrschenden, politischen und unternehmerischen, Klasse.
Blöd nur, dass der Bürger das zahlt…
März 3rd, 2011 at 22:48
@Peinhart: Sehe ich anders. Das Geld ist ja in die Bankenrettung geflossen. Wir haben es bloß gar nicht. Jetzt noch die Schuldenbremse, und die BRD lässt sich von einem Finanzdienstleister aufkaufen, der dann nach Belieben Steuern erheben darf.
März 3rd, 2011 at 22:50
@Mathes: Ich dachte ein Kunde ist einer, der für etwas bezahlt und nicht für nichts. Werde mich der Innovation alsbald anpassen, du KUNDE!
März 3rd, 2011 at 23:06
@flatter: Na ja, genau das habe ich ja geschrieben. Wir zahlen für nichts. Wir bezahlen, damit sind wir Kunde. Allein das Zahlen als Akt ist es, was uns zum Kunden macht. Die Gegenleistung spielt dabei keine Rolle, aber davon hast Du ja auch nicht gesprochen…
März 4th, 2011 at 08:44
“Vattenfall plündert die deutschen Stromkunden genauso fröhlich aus wie RWE, Eon und EnBw. Vattenfall aber gehört dem schwedischen Staat.”
Da könnte man doch glatt auf den Gedanken kommen, Staatskapitalismus sei auch nur eine Spielart des Kapitalismus!
März 4th, 2011 at 08:46
Wer ist der Staat?
Die Kommunen sind an vielen Stromkraftwerken beteiligt.
Kohl und Schröder haben im Sinne der neoliberalen Ideologie, (alle Ökonomen die den Hamburger Appell unterschrieben haben sind deren Vertreter), die Steuerbelastungen für die Vermögensbesitzer radikal gesenkt.
Merkliche Wachstumseffekte blieben aus.
Was die Medien verschweigen, es gibt mehrere logisch in sich konsistente Wachstumstheorien in der Ökonomie.
Die eine, die stets verschwiegen wird, hat die Aussage, je gleichmäßiger die Einkommen verteilt werden, desto stärker wird die Wirtschaft wachsen.
Die SPD und die Grünen haben dem Staat der Mittel beraubt.
Eichel war Perfekt.
Jemand der intellektuell in keinster Weise der Bürde seines Amtes gewachsen ist, war ein Glücksfall.
Regiert haben eigentlich in der Zeit Asmussen und Weidmann.
Und die Grünen?
Waren ein Totalausfall.
Wie ich Fischer hasse!
März 4th, 2011 at 08:59
Hans Peter Burghoff.
Die Sache ist ganz einfach. Wüßten die Kontoinhaber der deutschen Bank und die Anleiheinhaber, dass sie mit ihrem Geld für die deutsche Bank haften, würde niemand bei der deutschen Bank oder der Postbank ein Konto eröffnen.
So muß es laufen!
Das heißt konsequente Trennung der Geschäftsbereiche.
Von Investmentbanken und Banken deren Geschäftstätigkeit (Kontoführung, Überweisungen, Ausleihungen von Spargeldern an Unternehmen und Privatkunden,..) strikt reguliert ist.
Es war eine Schweinerei der deutschen Bank zu erlauben die Postbank zu kaufen.
Tut mir leid.
Die Bankenabgabe ist Schwachsinn.
Was wir brauchen ist ein Spitzensteuersaatz von 80%.
Wer zockt muß auch Steuern zahlen.
Und wer Medien besitzt, wie Burda.
Und vielleicht nicht gezockt hat.
Soll auch 80% zahlen.
März 4th, 2011 at 09:24
@flatter #9
Inkonsistente Beweisführung. ;) Denn natürlich hätte grundsätzlich der Staat erstmal die Möglichkeit, ‘nach Belieben’ bei denen Steuern einzutreiben, die buchstäblich nicht wissen, wohin mit ihrem Geld. Nur scheinst du ihm das wiederum auch nicht mehr zuzutrauen…
Dein Begriff des Kunden scheint auch etwas retardiert, Mathes hat da völlig recht. Aber auch bei Banken, Energieversorger, Riester-Renten-Anbietern zahlen wir zwar noch ein bisschen für etwas, aber mehr für nichts. Und freiwillige Kunden sind wir auch da nur sehr bedingt. Genauso freiwillig, wie wir unsere stupide Arbeit verrichten, Stichwort ‘Anreiz’…
Die Schwierigkeiten haben sich halt verlagert – produzieren ist nicht das Problem, sondern verkaufen. Der Warenkuchen wächst und wächst wie der märchenhafte Brei, während der Zugriff auf den gleichzeitig schrumpfenden Lohnkuchen halt immer mehr Zwang erfordert. Energiesparlampen, E10 etc sind da auch erst ein Anfang. Genmanipuliertes und Geklontes wird ja auch schon in den ‘Markt’ gedrückt…
März 4th, 2011 at 09:44
@1 Miasma
Kannst du bitte etwas zu PROUT erzählen, bzw. gibt es irgendwo einen guten Text und am besten Beispiele dazu`?
März 4th, 2011 at 09:56
Wie schon mal gesagt:
Der freie Markt richtet alles … hin.
März 4th, 2011 at 10:00
@Count Krey:
In der Hoffnung, dass flatter das hier erlaubt… ;-)
Die Webseite:
https://prout.org
Leseempfehlung:
Vision Prout: Alternativen jenseits des Kapitalismus – Taschenbuch von Dada Maheshvarananda (ISBN-10: 8789552458)
Ein sozioökonomisches Modell für wirtschaftliche Selbstbestimmung, Kooperativen, ökologisches Gleichgewicht und universale spirituelle Grundwerte.
Interessanterweise existiert dieses Konzept seit 1959. Ich persönlich habe als eher rationaler Mensch bei dem spirituellen Ansatz etwas Schwierigkeiten, aber das ist glücklicherweise auch nur ein kleiner Bestandteil dieser alternativen Wirtschaftsform.
Seit ich von PROUT gehört habe, ist das BGE für mich nur noch zweite Wahl.
März 4th, 2011 at 14:55
Selbst im liberalen Gedankenbild soll der Staat den Menschen eine Art Grundsicherung geben. Nur wird faktisch verlangt, dass die er die Möglichkeiten dazu aufgibt indem alles Privatisiert wird. Dort wo ein Wettbewerb möglich ist mag das noch sinnvoll sein. Spätestens bei Straßen, Energie, Wasser, etc. fehlt mir der Vorteil. Es wird teurer bei weniger Service. Wo liegt für mich als Verbraucher der Gewinn, dass Aktionäre eine Dividende bekommen?
März 4th, 2011 at 16:42
Lieber flatter,
sehr guter Text, spricht mir aus der Seele.
19. chriwi
Das ist ja gerade der Punkt: Der Bürger zahlt in jedem Fall. Um nur eins von unzähligen Beispielen aufzugreifen: Der aktuelle Winter hat uns allen vor Augen geführt, was Privatisierungswahn für Folgen haben kann: Vielerorts (wenn auch noch nicht überall) sind die kommunalen Räumdienste und Straßenmeistereien privatisiert oder komplett abgeschafft worden. Wenn Bedarf ist, werden also am Markt vorhandene Firmen bestellt, oder, wie zunehmend in immer mehr Gemeinden, kommt gar kein Räumdienst mehr, weil die Gemeinde per Verordnung dies den Anwohnern komplett aufbürdet. Und das kann lebensgefährliche Folgen haben.
Und billiger ist das schon garnicht. Hier nur mal ein Beispiel von 2010:
https://www.faz.net/s/Rub5785324EF29440359B02AF69CB1BB8CC/Doc~E79B8F4C960CD47669E777DA8A865953E~ATpl~Ecommon~Scontent.html
und
https://www.meinpolitikblog.de/2010/12/15/unser-umwintertes-gedchtnis/
Der Privatisierungs-Wahn ist der blanke Irrsinn, und das Nicht-Zur-Verantwortung-Ziehen des Bankensektors für die verschuldete Katastrophe passt ins Bild und ist politisch gewollt.
Grüße
März 4th, 2011 at 22:02
Salve meint:
März 4th, 2011 at 08:46
“Wie ich Fischer hasse!”
Diesen Hass teilst du sogar irgend wie mit Fischer, nur, dass sein Hass eher in Richtung der “Grünen” zu gehen scheint. Denn seit er durch sie(siehe Christian Schmidt/Jutta Ditfurth) zu Geld, Macht und Ansehen gekommen ist meidet er sie wie ein Dieb den Ort seines Diebstahls.