Einen echten Schenkelklopfer hat Frank Schirrmacher hingelegt, der sich an Jens Jessen heranbrodert, um dann fulminant abzuheben und deutlich zu machen, daß das deutsche Volk bedroht ist. Es wird volksverhetzt, und zwar von Migranten mit deutschem Paß! In diesem aufwühlenden Artikel vermischt sich alles zu einer großen klebrigen Tröpfchenwolke, zusammengestammelt aus Anti-Antifaschismus, Mehrheitsschutz, Deutschtümelei und einer sadomasochistischen Sehnsucht nach der guten Zeit “vor 68″.
Jessen hatte gemutmaßt, der Rentner, der Opfer der U-Bahn-Schläger wurde, sei womöglich ein nörgelnder Alter zuviel gewesen, der die Jugendlichen angepampt hat, so daß sie ihre aufgestaute Wut an ihm abgelassen hätten. Mit dieser Vorstellung kann man sich auseinandersetzen, was sogar zu recht sinnvollen Gedanken führt, wenn man sich vergegenwärtigen möchte, welche Kluften zwischen Teilen der Gesellschaft herrschen, zwischen denen es keine Kommunikation gibt. Man kann Jessens Spekulation ignorieren. Man kann sie sogar für ein Argument halten, das die Tat relativiert und dem Opfer Verantwortung zuschiebt. Dann könnte man es belächeln und weise den Kopf schütteln.
Schirrmacher geht anders damit um: Wie Broder in allen seinen Artikeln sucht er sich ein “Argument” (Broder erfindet auch gern welche), ordnet es dem vermeintlichen Gegner zu und diskutiert sich fortan vor dem Spiegel eine Klinke an den Bart. Was dabei herumkommt, ist selten ein großes Werk.
Schirrmachers Welt geht auch prompt unter. Er sieht die “Mehrheit unter Nazi-Verdacht”. Für ihn ist der Status der “Minderheit” eine unerträgliche Belastung für die Mehrheit, und so fordert er auch ganz konsequent, daß die Beleidigung eines Deutschen von Deutschen in Deutschland als Volksverhetzung gelte. Das Schlimme sei, daß “die Mehrheit keine Sprache für diese Bedrohung hat”. Schon bemerkt? Karneval steht vor der Tür. Ich sehe bei Schirrmacher ebensowenig wie er bei Jessen, “dass er das ironisch meint”. Macht aber nix, ich lache trotzdem drüber, man kann das Augenzwinkern ja geradezu greifen!
Ich möchte die Pointe auch nicht versauen, indem ich erkläre, was eine definierte Minderheit ist und warum es empirische Gründe gibt, sie zu schützen. Daß eine “Mehrheit” dementgegen gar nicht zu definieren ist, beruhigt mich übrigens ungemein. Denn sonst wäre der ganze Spaß ja dahin, und es wäre doch wieder das “Volk”, zu dem die einen gehören und die anderen nicht, mit allen deutschen Konsequenzen. Und das kann jemand, der sich ganz sicher weiß auf dem nazidiskursfreien Terrain, nicht meinen. Ganz sicher nicht.