Es tut weh, wenn der Rechtschreibrat tagt. Man kann ja zu den sogenannten “Reformen” und der “Revision” stehen, wie man will, aber wie soll eine Rechtschreibung zustande kommen, wenn man inzwischen alle paar Jahre die Regeln ändert, ohne je den Verdacht ausräumen zu können, es regiere der Knüppel der Willkür? Die simple Einsicht, daß kein Dekret über die Evolution der Sprache obsiegen kann, ist den Oberdeutschen des Sprachzwangs offenbar nicht beizubiegen. Daß der Duden über 100 Jahre der Leitfaden für die deutsche Rechtschreibung bleiben konnte, lag gerade daran, daß er nicht Verhandlungsmasse war, sondern, bei aller Kritikwürdigkeit, Einheit und Bezugsquelle. Was jetzt gemacht wird, ist, als würde man den Normmeter ständig anders dimensionieren.
Die Gründe für eine Neufestlegung der verbindlichen Rechtschreibregeln hätten ebenso überzeugend sein müssen wie die Regeln, auf die man sich einigt. Statt dessen stellt etwa die FR fest: “Der Rat bleibt zurück hinter den Erkenntnissen des 19. Jahrhunderts.” Die Experten benehmen sich, als hätte das, was sie beschließen, nichts mit Kommunikation zu tun.
Der einzige Weg aus dem Dilemma wird nicht gegangen, weil das 21. Jahrhundert sich partout nicht dem Deutschtum anpassen will. Die weitgehende Freigabe der Rechtschreibung, die Duldung von Varianten, denen man eine Existenz erlauben würde, hätte alle Vorteile auf ihrer Seite. Rechtschreibung wäre dann keine Wand, von der die Unwissenden abprallen, man würde ihnen nicht dauernd blutrot ihre Unfähigkeit bescheinigen, die herrschaftlichen Regeln zu verinnerlichen. Man könnte sich einige Jahre oder Jahrzehnte Zeit lassen, um zu schauen, was sich aus dieser Freiheit entwickelt und so zu echten Übereinkünften kommen. Aber es heißt ja nicht “Regeln zur schriftlichen Kommunikation”, sondern “Rechtschreibung”. Und wißt ihr was? Ich pfeif’ drauf!