maghrebWährend der Talkshowjournalismus sich in Entsetzen über die ‘Blutspur des Kommunismus’ ergeht, fliegen dem freien Westen mit seiner ‘sozialen Marktwirtschaft’ die selbst eingerichteten Diktaturen um die Ohren. Das fing schon 1979 an, als sich Iran vom Schah befreite, und aktuell ist Tunesien an der Reihe. Wie die Bilder sich gleichen: Korrupte Diktatoren und ihre mindestens so korrupten Frauen plündern ihr Land aus und finden nachher in den USA oder einem befreundeten Land zuflucht – mitsamt ihrem Vermögen. Das gelang etwa Farah Pahlavi und Imelda Marcos – die inzwischen auf die Philippinen zurückgekehrt ist -, und jetzt kommt das Traumpaar Ben Ali/Trabelsi hinzu, die in der islamischen Diktatur Saudi Arabien unterkommen, unseren besten Freunden im Nahen Osten.

Nordafrika ist fest in der Hand von Demokratoren, Leuten, die sich eventuell irgendwann haben wählen lassen und irgendwie gar nicht mehr loskommen von ihrer Macht. Inzwischen alle von den USA unterstützt. Im Osten (Ägypten) der Dauerbrenner Mubarak, der demnächst die demokratische Herrschaft an seinen Sohn weiterzugeben gedenkt. Kein Stress mit Israel, nicht zu radikal daherkommen, und man darf in Ruhe ‘diktieren’. Das gilt auch für Freund Saddam zwo, dem Revolutionsführer Gaddafi im angrenzenden Libyen. Seit er den Blutzoll für das Lockerbie-Attentat gezahlt und die USA im dritten Golfkrieg unterstützt hat (ganz im Gegensatz zum zweiten), lässt man ihn in Ruhe.

Die Demokratoren

mubarakIm Westen Libyens liegt Tunesien, der aktuelle Krisenherd. Dann kommt Algerien, ein ganz spezieller Fall. Nach Jahrzehnten von Militärherrschaft und Bürgerkrieg waren die ersten freien Wahlen abgehalten, deren Auszählung aber nicht zu Ende geführt wurde, weil mit der FIS eine islamische Gruppierung haushoch gewonnen hätte. Das Militär drängte die FIS in den Untergrund, was zu weiteren Jahren blutigster Anschläge und Gegenreaktionen führte. Inzwischen werden die restlichen Kämpfer der Guerilla wahlweise als “Banditen” oder “Al Qaida” wahrgenommen. Derweil herrscht in Algerien ein Regime, das sich durch traumhafte Wahlergebnisse und neoliberale Reformen hervortut. Die Akzeptanz dieses Regimes im Volk entspricht nicht im mindesten den Wahlergebnissen, die z.T. sogar von der OSZE als Resultat “fairer” Wahlen zu gelten haben.

Im Westen schließt sich Marokko an, eine Monarchie mit teils religiöser Gerichtsbarkeit und einem konservativen Ministerpräsidenten aus einer betuchten Familie. Das System ist recht komplex, und ich kann nicht beurteilen, inwiefern es stabil ist. Allgemein wird berichtet, dass Kritik am König massiv unterdrückt wird, insbesondere solche, die von Korruption spricht. Marokko ist eine Marktwirtschaft und unterhält sehr gute Beziehungen zur EU.

gaddanasserAlles paletti, wenn man Geschäfte machen will. Der Nordrand Afrikas, der Europa nicht zuletzt die Flüchtlinge aus dem Kontinent von Hals halten soll, ist eine typische Landschaft nachkolonialer Pflege durch den Westen. Zu den Standards und Bedingungen für gute Beziehungen mit den USA und ihren Verbündelten gehören weder die Einhaltung der Menschenrechte noch demokratische Wahlen. Ruhe muss sein, Israel darf nicht angegriffen werden und Geschäfte müssen möglichst geschmeidig laufen. Die Mullahs dürfen nicht das Sagen haben. Und schon gar nicht die Kommunisten.

Alles paletti, wenn man Geschäfte machen will

Nach dem Ende des kalten Krieges hat der Westen den Krieg gegen den Islam begonnen, wo zuvor der Kommunismus der Feind war. Natürlich nicht jede Form von islamischer Herrschaft: Ein brutales Unterdrückungsregime wie das in Saudi-Arabien, eine korrupte Oligarchie mit feudalem Auftreten, die sich auf die Scharia stützt, ist hoch willkommen, wenn es etwas zu bieten hat (Öl) und erkennt, dass die Geschäfte mit dem Westen wichtiger sind als ideologische oder politische Ambitionen. Genau darin aber liegt die Schwäche dieser Politik. Wer nach der Stabilität von Staaten fragt, sollte sich wohl oder Übel den Völkern zuwenden, denn was die pseudodemokratischen Taschenspieler verdrängt haben, ist dass “Demokratie” nur stark ist, wenn sie nicht bloß so heißt. Die Menschen müssen wenigstens das Gefühl haben, nicht völlig übergangen zu werden.

Die Politik des Westens hat derweil alles gefördert, was der Stabilität abträglich ist: Korruption, fehlende Identität, Kampf gegen gewachsene Strukturen, Unterstützung von Regimes aus privilegierten Minderheiten. So lange nur der Westen die Möglichkeit hatte, solche Machtpolitik zu betreiben, konnte das gutgehen, spätestens nachdem die Sowjetunion als militärischer Gegner ausfiel. Man konnte sich darauf verlassen, dass das Öl nur gegen Dollars getauscht und nur Fanatiker sich gewaltsam auflehnen würden. Inzwischen ist das anders.

Öl kann man auch an China verkaufen

schahsNiemand glaubt mehr, Amerika bringe Recht und Demokratie. Im Gegenteil werden Korruption und Ungerechtigkeit zunehmend auch von ‘aufgeklärten’ Kräften mit westlichem Einfluss identifiziert. Das Öl kann man inzwischen auch an China verkaufen, genau wie alles andere, was eine Wirtschaft so hergibt. Das Selbstbewusstsein des Islam wächst auch angesichts des Versagens amerikanischer Politik. Im Zweifelsfall wird sich kaum jemand mehr weltlicher geben als ihm zumute ist, im Gegenteil. Kurzum: Der westliche Einfluss schwindet und mit ihm die Marionettenregimes.

Ein deutliches Symptom für das Missverständnis sind die Empfehlungen des inzwischen abberufenen US-Botschafters in Tunis, die einen eklatanten Haltungsfehler offenbaren. Aufgrund der ganz richtigen Einschätzungen der Lage in Tunesien kommt er dennoch immer wieder auf die vermeintliche Notwendigkeit zu sprechen, man müsse vor Ort bessere Möglichkeiten schaffen, die englische Sprache zu erlernen. Welch ein Unfug!

Während Araber, so sie es für opportun halten, längst ihr Scherflein Englisch gelernt haben, spricht kein Mensch im Westen Arabisch. Es wäre sogar ‘verdächtig’, Arabisch zu lernen. Wenn wir aber nicht langsam in unseren Schulen ganz selbstverständlich auch Arabisch anbieten, werden wir nie damit anfangen, diese Welt zu verstehen. Für die Unterdrückung der Völker ist das auch nicht nötig. Wer etwas mit Demokratie am Zettel hat, sollte hingegen schreiben und lesen lernen.