Ein Kommentator schrieb jüngst, es brauche eine “Utopie”. Damit läuft er bei mir offene Türen ein, allein: Wie soll die aussehen? In den Diskussionen dreht es sich ohnehin im Kreis. Kann man sich noch auf die eine oder andere Analyse einigen, wird es ganz und gar trist, wenn es um die Möglichkeiten geht, etwas nennenswert zu verändern.

RLFMitten in diese Atmosphäre hinein trifft der Kommentar von Robert Misik, der sich quasi als radikaler Reformer vorstellt und die ‘echten’ Radikalen in die Schranken ihres “Maulheldentums” verweist. Ich will mich diesem Beitrag durchaus nicht anschließen, aber einiges daran ist völlig berechtigt.
Zur Kritik sei zunächst angemerkt, dass die Behauptung, Gesine Lötzsch habe den Kommunismus zum Ziel der “Linken” erklärt, schlicht falsch ist. Da bin ich von Herrn Misik differenziertere Äußerung und einen anderen Informationsstand gewöhnt. Schade.

Dann aber legt er sich richtig ins Zeug und wettert gegen “coole, radikale Hechte”, denen er vorwirft, aus dem warmen Sessel ihre Thesen zu verbreiten und jeden niederzumachen, der angeblich nicht radikal genug sei. Dabei bleibt Misik – dies ist sehr zu bedauern – ebenfalls abstrakt.
Es ist ja völlig richtig, und ich selbst habe das vor wenigen Minuten getan, Leuten, die einem so daherkommen, entgegenzutreten. Es sollte aber beim konkreten Anlass und Zusammenhang bleiben. Der abstrakte Vorwurf nämlich, da gebe es “welche”, die nicht die Richtigen sind, ist das reaktionäre Element, das die Diskussion beendet und nur noch die Zugehörigkeit abfragt.

Wir sind die Richtigen

Das gilt gleichermaßen für “Reformer” wie “Radikale”, “Fundis” wie “Realos” oder sonstige Titel, die vergeben werden, wo der Spaltpilz wuchert. Wem nützt das? Ich kann jederzeit über eine Maßnahme sagen, ob sie mir angemessen erscheint oder nicht. Ich kann über ein Programm sagen, ob ich es für übertrieben halte oder für zu zaghaft. Ich kann eine Äußerung für dienlich oder schädlich, gelungen oder missraten halten. Es ist aber völlig sinnlos und äußerst kontraproduktiv, eine Minderwertigkeit zu konstruieren, die man all denen zuschreibt, deren Vorstellungen von den eigenen abweichen.

spiegelrot2Konkret haben wir hier schon länger Diskussionen über das ganze Spektrum linker Theorie und Praxis. Im Groben ist man sich einig, dass dieser Kapitalismus am Ende ist, dass die Macht seiner Medien und Institutionen aber in keinem Verhältnis zu deren Einsichtsfähigkeit steht. Da draußen hofft man weiter auf das Wunder, es möge bleiben wie es ist. Angesichts der Verhältnisse, in denen sich Menschen gegeneinander aufhetzen lassen, anstatt für ihre gemeinsamen Interessen zu kämpfen, angesichts des Missverhältnisses der wirtschaftlichen Möglichkeiten zur Wahrung der Menschenwürde gibt es hier durchaus einen stillen Konsens: Es ist das bis zur Verzweiflung gepflegte Unverständnis, wie solche Zustände derart stabil erscheinen können, wie dafür noch derart erfolgreich ‘Zustimmung’ organisiert wird und was zur Hölle man dagegen tun kann.

Das Resultat ist aus meiner Sicht vor allem ein Gefühl der Ohnmacht. Dieses entspricht ja auch weitgehend den Tatsachen. Damit kann man unterschiedlich umgehen. Am naheliegendsten ist Verdrängung, die ich nicht wirklich jemandem verübeln kann. Ich nehme mir allerdings die Freiheit, den Betroffenen ihre kognitiven Dissonanzen vorzuhalten und strategisch die Gemütlichkeit zu durchbrechen.

Der rechte linke Weg

Man kann still verharren und aushalten. Man kann sich den Frust von der Seele reden. Man kann sich organisieren und hoffen, so etwas zu verändern. Man kann sich natürlich auch welche suchen, die man für die Lage verantwortlich macht. Das gelingt am besten bei möglichst Schwachen, die dafür leiden müssen.

Ich kann niemandem den Standpunkt verübeln, es sei sinnlos, das System von innen verändern zu wollen. Ich mag mir aber nicht anhören, die anderen redeten ja nur. Habt Erfolg mit eurer revolutionären Praxis oder macht euch klar, warum die anderen andere Wege gehen.
Ich finde es auch völlig in Ordnung, zu resignieren. Es fehlt mir auch nicht an Respekt vor Menschen, die sich in Parteien oder Bürgerinitiativen engagieren. Von denen lasse ich mir natürlich ebenso wenig sagen, das sei dann der für alle richtige Weg.

Meine Radikalität hört ganz gewiss da auf, da stimme ich Robert Misik zu, wo alles, was gar nicht so schlecht läuft, in den Dreck gezogen wird, weil es der Revolution nicht diene. Es gibt Grund genug zur Depression, da braucht kein Mensch die Belehrung der Revolutionsgarden, ein gerettetes Leben, ein befreiter Gefangener, ein Etappensieg für die Menschenwürde sei nichts wert. Wenn wir nicht schrittweise vorankommen, wie dann? Wenn jeder machbare Erfolg zu klein ist, was ist dann die Alternative?