Eine hervorragende Zustandsanalyse des deutschen Bürgertums hat Christian Schlüter in der FR hingelegt. Ich könnte gleich mehrere Absätze ztieren, einer aber hat es mir besonders angetan, weil er sich deckt mit meinen aktuellen Beobachtungen aus dem Polit- und Talkshowgeschäft:
“Kennzeichnend ist dabei die zunehmende Unverschämtheit. Es wird beleidigt und verunglimpft, verkürzt und betrogen, vor allem aber: keine Rücksicht mehr genommen. Die Regeln des Anstands sind genauso außer Kraft gesetzt wie die elementaren Prinzipien intellektueller Redlichkeit.”
Vor allem letzteres hat deprimierende Züge angenommen. Man fragt sich, wo sie denn sind, die Intellektuellen, die noch mehr zu tun imstande sind als Phrasen und Parolen in affektiert genäselte Vorträge zu verpacken. Man fragt sich, wie eine Riege von untalentierten Schönschreibern die Redaktionen stürmen konnten und wieso derlei Dilettanten auch noch herumgereicht werden. Schlüter selbst nennt Broder, und allein die aktuellen und ehemaligen “Spiegel”-Redakteure, aber auch die ‘Spitzenkräfte’ von “Zeit”, FAZ, SZ usf. bestechen nicht mehr durch Recherche oder Analyse, sondern nur mehr durch ressentimentgeladenes Geschwurbel und auf Parolen gekürzte Scheinargumente.
Prinzipen intellektueller Redlichkeit
Mohr, Mahlzahn, Joffe, Schirrmacher, Beise, Steingart, Matussek – man weiß nicht wo man anfangen und aufhören soll bei der Aufzählung hochbezahlter Flachverblender. Gerade gestern noch entblößte der sogenannte “Kulturjournalist” Matussek seine ganze intellektuelle Erbärmlichkeit, indem er feststellte, in den 50er und frühen 60er Jahren habe es in katholischen Internaten keinem Kindesmissbrauch gegeben. Sein Beleg: Er und Heiner Geißler waren Internatsschüler und wurden nicht damit konfrontiert. Diesen gröbsten annehmbaren Unfug stellte er in die Nähe von Mixas unfassbarer Lüge, “die 68er” seien schuld daran, dass Pfaffen Kinder vergewaltigt haben.
Jemand, der so argumentiert, tritt in der Tat die “elementaren Prinzipien intellektueller Redlichkeit” mit Füßen. Dazu muss man Matussek übrigens nie für einen Intellektuellen gehalten haben. Er mag nicht besonders klug sein, aber er weiß, dass er lügt. Was will ich mit so einem? Was ist das für ein kognitiv verkommenes Bürgertum, das sich von solchen Leuten die Welt erklären lässt?
Ich glaube, was mir die größten Sorgen bereitet derzeit, ist dass die Verblödung derart durch alle Schichten geht, dass auf keiner Seite mehr relevante Kräfte stehen, die irgend eine Idee haben, die auch nur wissen wollen, was sie tun. Wer ein ‘revolutionäres Subjekt’ sucht, macht sich ohnehin lächerlich, aber selbst die Reaktion ist auf den reinen Reflex zusammengeschrumpft. Was bleibt, ist das ‘System’, eine formlose anonyme Kraft, deren Zwänge Gesetz sind. Dass “alternativlos” offenbar zum Unwort des Jahres gewählt werden soll, kommt insofern um Jahre zu spät, wenn nicht um Jahrzehnte. Die Alternativen nämlich scheinen erfolgreich ausgemerzt worden zu sein.
Dezember 22nd, 2010 at 18:04
Hervorragender Beitrag! Und danke für den Lesetipp.
Dezember 22nd, 2010 at 18:24
“….. Ich glaube, was mir die größten Sorgen bereitet derzeit, ist dass die Verblödung derart durch alle Schichten geht, dass auf keiner Seite mehr relevante Kräfte stehen, die irgend eine Idee haben, die auch nur wissen wollen, was sie tun. ….”
Doch! Manchmal hört man noch ein bisschen das Gras wachsen. Hier ein Verzweifelungsschrei aus dem universitären Bereich:
https://jetzt.sueddeutsche.de/texte/anzeigen/516359
Dezember 22nd, 2010 at 18:28
Bevor jemand weiß, wofür er ist, liegt eine Zeit, in der er nur weiß, wogegen er ist.
Das ist alternativlos ;-)
Dezember 22nd, 2010 at 18:35
“Ich glaube, was mir die größten Sorgen bereitet derzeit, ist dass die Verblödung derart durch alle Schichten geht, dass auf keiner Seite mehr relevante Kräfte stehen, die irgend eine Idee haben, die auch nur wissen wollen, was sie tun.”
Dazu erlaube ich mir eine eigene Sichtweise. Alles, was der Beitrag kritisiert oder gar mit Ekel betrachtet, ist mit einer Draufsicht nicht zu erfassen. Man muss dazu schon selbst in die Hocke gehen. Dann sieht man die beschriebenen Gestalten unter einem Gebilde versammelt, das man überall als Zufluchtsort sucht und das man Rettungsschirm nennt. Sie wissen nur eines ganz sicher: nicht jeder findet hier seinen warmen Platz.
Dezember 22nd, 2010 at 18:48
[...] Dank an Feynsinn. [...]
Dezember 22nd, 2010 at 21:02
Ach, die Geister, die sie riefen….
All überall spüre ich leise Bedenken bei denen, die die aktuelle Politik gut finden, Zweifel bei den Abwartenden und wachsenden Zorn bei denen, die wissen, dass dieser Weg der falsche ist.
Wird der Ton endlich rauer und entzieht sich damit dem Mechanismus der verlogenen politischen Rhetorik?
Glaub ich nicht. Der Deutsche an sich ist eine dumme, satte, aber dennoch gefräßige und träge Kreatur. Irgendwas stellt er – der Deutsche – dar, was “keinen Widerstand duldet” – im wahrsten Wortsinn.
Übel.
Dezember 22nd, 2010 at 21:21
Danke für den FR Link und deine Ergänzungen dazu!
Dezember 22nd, 2010 at 21:23
Solange die kleinen Empörungen nicht zu großen Störungen wachsen, bleibt der Wutbürger für die herrschende, aber auf keinen Fall teilende Klasse immer noch der nützliche Gutbürger. Denn wenn er eins gut kann, der schlandsche Michel, dann bürgen. Müsst ihr nur den Ackermann fragen.
Dezember 22nd, 2010 at 22:06
Doppelt danke für den Beitrag! Zugegebenermaßen sind deine Texte durchaus immer sehr treffend, aber der hier spricht mir mal echt aus der Seele. Du hast wirklich ein unvergleichbares Talent Dinge zu benennen… fast möchte man sagen, dass es in einem Blog ein wenig verschwendet ist.
Dezember 22nd, 2010 at 23:11
@Rainer:
Ich kann mich der dummen, satten Kreatur nicht anschließen. Zuviele Menschen habe ich da draußen gesehen, die weder dumm noch satt sind. Sie drehen sich lediglich um sich selber. Da ist keine Zeit für Reflektion. Es herrscht zwischen den Rädern des behördlichen und marktwirtschaftlichen (ich schreibe nicht Kapitalismus, sonst glaubt wieder einer Geifer vor meinem Mund) Mahlwerkes ein gewollter Überlebenskampf.
Was ich aber teile, nur nie so für mich formulieren konnte ist Deine Annahme eines Deutschen Wesens das keinen Widerstand duldet.
Die Erkenntnis würde allerdings Herrn Sarrazin wenig schmecken. Das wäre ja fast ein genetischer Makel.
Dezember 22nd, 2010 at 23:15
Die Frage ist nun: Wann hat das alles angefangen?
Mit dem Privat-Fernsehen?
Und alle anderen Medien haben die Niveau-Limbo mitgemacht (um nicht als Spießer dazustehn)??
Dezember 22nd, 2010 at 23:29
Es hat nicht angefangen. Die Annahme, dass unsere gesellschaftliche Auflösung einer Art intellektuellen “Zersetzung” des “Volkskörpers” entspränge, geht wahrscheinlich fehl. Ähnlich ihrer bösen Schwester, der “Leitkultur”, die so viele als gefährdet verorten (ohne einen Konsens über die Frage zu finden, was das Ding sei und wo man es finden wolle) und die Folgen in der Gesellschaft sehen.
Es war schlicht schon immer so. Nur dass wir es nicht gemerkt haben. Wir sind weder aufgeklärt, noch emanzipiert. Wenn wir (glauben) den Boden (zu) verlieren, werden wir das was wir schon immer waren.
Dezember 22nd, 2010 at 23:42
“Was ich aber teile, nur nie so für mich formulieren konnte ist Deine Annahme eines Deutschen Wesens, das keinen Widerstand duldet.”
“Die Frage ist nun: Wann hat das alles angefangen?”
ich habe die letzten beiden kommentare auszugsweise mal ein bißchen montiert – konnte einfach nicht widerstehen ;-)
was im ausgangsartikel treffend beschrieben wird, ist aus meiner perspektive nur ein kleiner teil einer entwicklung, die hierzulande über jahrhunderte bereits andauert, fehlgeschlagene revolutionen incl., wobei diese nur das tüpfelchen auf dem i darstellen.
ich habe vor längerer zeit mal versucht, etwas ursachenforschung zu betreiben – vom himmel fällt sowas keinesfalls.
teil 1
teil 2
(die anderen beiden teile hatten den schwerpunkt eher auf aktuellen und spezifischen entwicklungen des damaligen jahres und “nur” mittelbar mit dem obigen zu tun.)
Dezember 22nd, 2010 at 23:46
feiner artikel.
berührt mich mit einer mischung von “hab ich schon vor jahren gedacht” und “oh mann! jetzt haben sie mich unreflektierten schlechtmenschen mal auf frischer tat ertappt”.
nettes beispiel dafür wie blind man den eigenen meinungen gegenüber sein kann (vor allem dann, wenn sie auf einen selbst zutreffen).
obs am alter liegt (29) ?
Dezember 23rd, 2010 at 00:07
@mo:
Das hätte ich so auch nicht bestreiten wollen. Ich fand eine Interpretation von Frank Bajohr recht interessant, in der er das Problem in den Werteumbrüchen von Wilhelminismus in Weimarer Republik, in das Dritte Reich, in den Krieg, in eine “demokratische Republik”, ohne dass ernsthaft eine Selbstaufklärung innerhalb der Gesellschaft über Sinn und Unsinn der Werte, Mechanismen usw. stattgefunden hätte (es ist ewig her, dass ich das gelesen habe, ich krieg die sinngebende Formulierung gewiss nicht adäquat im Sinne des Urhebers hin), sieht.
Aber unter dem Strich? Ein Teil der Politiker, ausgenommen der ausgesprochenen Windeier, kann doch weder Geschichte, noch die vielen einzelnen Resümee nicht völlig ausblenden?
Wenn ich mich nicht sehr eindeutig von verschiedenen beruflichen Zusammenhängen in diesem Kontext getrennt hätte, ich könnte heute nicht mehr in den Spiegel sehen.
Dezember 23rd, 2010 at 05:07
Wer keinen Schotter hat, muss halt schottern gehen – ist alternativlos, welche Alternative gibt es denn sonst? Anstatt altmodisch zu fringsen wird heute containert. Die Supermärkte in den Städten sichern ihre Müllcontainer mit Natodraht. Gerade wenn die Gesellschaft zerbricht, gehen die Ungebrochenen aufrechter. ***** wie Sarrazin, Raffelhüschen, Schmidtschnauze, Herzog, Ackermann sind keine Nazis, denn bekanntlich wiederholt sich Geschichte nicht. Und wenn, höchstens als Re-design. Diese Farce haben wir doch grad. Ich verstehe flatters Aufregung um den SPD/NPD-Bürgermeester nicht in dem 500Seelenkaff. Das kreist doch jetzt schon länger immer und immer wieder um diesen einen Punkt in seinem blog. Ich zitiere mal Prof. Sloterdijk. (Ehrlich, das hat der echt geschrieben, 2006, im “Der ästhetische Imperativ”):
„Design ist – von einem kompetenzökologischen Ansatz her gesehen – nichts anderes als die gekonnte Abwicklung des Nichtgekonnten … Insofern kann man Design als Souveränitätssimulation verstehen: Design ist, wenn man trotzdem kann !“
So ist es.
Dezember 23rd, 2010 at 06:50
Ach ja – letzlich ist dieser bürgerliche geist doch auch nur ein gespenst. hier der wutbürger, da der moslem, dort der unterschichtler. alles gespenster.
was die regeln des anstands betrifft: da hatte erst gestern wieder jemand ganz anständig argumentiert, als ich eine neue kiste sarrazin-rassismus ins weihnachtliche bestsellerregal einräumte, dass der ja schon auch teilweise recht hätte u. ich sein buch viel. erstmal selbst lesen sollte, bevor ich hier was von “rassismus” vom stapel lasse. außerdem hätte sarrazin ja auch zugegeben, dass er sich hi u. da mistverständlich ausgedrückt hätte. dagegen bin ich diejenige, die immer gelich aufbrausend wird, ich bin offensichtlich eine wutbürgerin, während die gelassenheit dort zu hause ist, wo die solarzellen für ökostrom sorgen. an protestaktionen müssen diese leute auch nicht teilnehmen, wozu auch, schließl. kann jeder eigenverantwortlich sein bestets geben.
Dezember 23rd, 2010 at 07:51
Zu dem Ignoranten Matussek fällt mir folgendes ein.
Uta Ranke-Heinemann:
Viel schwerwiegender sind da die Praktiken von Joseph Ratzinger, der vor seiner Ernennung zum obersten Führer Justizbehinderung im großen Stil betrieb. Nach seiner Beförderung zum Kardinal übernahm er die Leitung der so genannten “Kongregation der Glaubenslehre” (früher bekannt als Inquisition). 2001 übertrug Johannes Paul II dieser Abteilung die Untersuchung der Fälle von Vergewaltigung und Folter von Kindern durch katholische Geistliche.
Im Mai desselben Jahres schrieb Ratzinger einen vertraulichen Rundbrief an alle Bischöfe, in dem er sie an die außerordentliche Schwere eines bestimmten Vergehens erinnerte. Unter diesem Vergehen verstand er allerdings die Meldung von Vergewaltigung und Folter an die Behörden. Die Untersuchung der Vorwürfe, so Hochwürden Ratzinger, sei allein Aufgabe kircheninterner Instanzen.
Die Weitergabe von Informationen an Justizbehörden oder Presse sei strengstens untersagt. Eine Untersuchung laufe “unter strengster Geheimhaltung … mit absoluter Verschwiegenheit … und jeder … ist zur Geheimhaltung verpflichtet … denn es handelt sich um eine Geheimsache des Heiligen Offiziums … deren Verrat mit Exkommunikation bestraft wird.
Maischberger über Matussek:
Der “Spiegel”-Autor hält den deutschen Papst für den Mann des Jahres. Nach anfänglichen Missverständnissen habe sich Benedikt XVI. “sehr glaubwürdig und strikt” mit den Missbrauchsfällen in der katholischen Kirche auseinandergesetzt. “Seine Reise in das papstkritische England ist danach zu einem überraschenden Triumphzug geworden”, sagt der bekennende Katholik. Das aktuelle Gesprächsbuch mit dem Papst sei ein “großartiges Werk” geworden.
Dezember 23rd, 2010 at 10:11
Du darfst, lieber Feynsinn, aber auch nicht übersehen, dass immer mehr Menschen sich inzwischen lieber Blogs wie Deinem zuwenden, dass hingegen die etablierten Massenmedien Leser und Abonnenten in einem Maße verlieren, das den Verlußt von Werbekunden inzwischen sogar noch übersteigt. Die Gegenöffentlichkeit wächst, auch wenn sie derzeit noch etwas irritiert auf die Leaks der letzten Wochen reagiert. Es scheint doch so, als ob sich seit S 21 und den letzten Wendlandprotesten ein neues Denken in den Köpfen der Menschen formiert. Das sollte doch auch Anlass zur Hoffnung sein.
Dezember 23rd, 2010 at 10:20
[der Absatz]“…deckt sich mit meinen aktuelle Beoabachtungen aus dem Polit- und Talkshowgeschäft…”
Ach, wenn es nur das wäre, das wäre ja harmlos. Der Absatz deckt sich mit den Beobachtungen, die ich seit einigen Jahren in der Realität machen muss! Das ist das Schlimme…
Dezember 23rd, 2010 at 11:18
Ich geh da größtenteils d’accord mit Herrn Liebreiz(12).
“Man fragt sich, wo sie denn sind, die Intellektuellen, die noch mehr zu tun imstande sind als Phrasen und Parolen in affektiert genäselte Vorträge zu verpacken.”
Im Internet. Intelligente bzw reflektierte Menschen mit einer humanistisch basierten Weltsicht passen nicht auf die Bühne des öffentlichen “Brot und Spiele”, höchstens getarnt als Clown\Satire in einer Anstalt. Aber selbst das ist nur Konsum, keine Partizipation.
“Man fragt sich, wie eine Riege von untalentierten Schönschreibern die Redaktionen stürmen konnten und wieso derlei Dilettanten auch noch herumgereicht werden.”
Die Redaktionen stürmen? Schon 1965 schrieb Paul Sethe: “Pressefreiheit ist die Freiheit von 200 reichen Leuten, ihre Meinung zu verbreiten.” Der Eindruck, hier hätte sich was geändert, entstammt möglicherweise aus dem “Früher war es besser”-Effekt.
“Was ist das für ein kognitiv verkommenes Bürgertum, das sich von solchen Leuten die Welt erklären lässt?”
Jemanden wegen Umständen zu beleidigen, über die er wenig bis keine Macht hat, finde ich irritierend. Wie soll der gemeine Leser des ehemaligen Nachrichtenmagazins denn diese Leute demaskieren? Meist ist der Medienkonsum der Internetausdrucker ein geschlossenes System, z.B. die Kombination ZDF und Fokus. Zweifel oder Reflektion in Medien sowie beim Konsument sind da nicht zu erwarten.
Dezember 23rd, 2010 at 11:31
Was man an dem prima Artikel vielleicht noch ergänzen könnte, ist die völlige Inkompetenz des Kleinbürgers.
Er kennt sich nicht einmal richtig mit den materiellen Dingen aus, den Schrottprodukten, die für ihn so wichtig sind. Die werden nämlich nur fürs “Prestige” benutzt und nicht “an sich”.
Die Inkompetenz kommt daher, dass er alle Ideen der Welt nur auf den Nutzen für sich abklopft. Die große Moralkeule z.B. wird nur dann geschwungen, wenn er selber dadurch voran kommt (also in der Regel gibt es Moral immer nur, um Andere zurechtzuweisen). Die Beschäftigung mit den Ideen “an sich” findet nicht statt. Daher weiß der Kleinbürger auch nichts über die Ideen (z.B. das Wesen der Moral). Ähnliches gilt für die “Aufklärung oder “Menschenrechte”.
Grüße vom
k.ta
Dezember 23rd, 2010 at 12:03
[...] Dazu passt: https://archiv.feynsinn.org/?p=6338 [...]
Dezember 23rd, 2010 at 12:27
@Shock(21):
Deine Einwände sind ja berechtigt, aber m.E. gehst du nun wieder zu weit, indem du dem Spiegel-Leser der Gegenwart einen Merkbefreischein aussstellst. Die Argumente von Matussek und Co. sind so erbärmlich, wer sich das reinzieht, muss seiner Verblödung durchaus noch zustimmen. Das ist nicht der Schlag von Leuten, die in den 80ern noch den Spiegel gekauft haben. Einiges war früher durchaus besser.
@Josch(19):Klar, Hoffnung ist immer. Ich schwanke auch gern zwischen Depression und Hoffnung. Kömen alle Leser, die die Printe verliert, in die Blogs, wäre ich sogar optmistisch. Davon sind wir aber um Lichtjahre entfernt.
Dezember 23rd, 2010 at 13:34
Gleichzeitig gibt es ein ziemlich großes Aufstandspotential, angeblich größer gar als ’68. Erleben wir am Ende doch so etwas wie die ‘Wiedergeburt der (auch nur totgeglaubten) Klassengesellschaft’? Im Unterschied zu damals aber weder utopisch noch intellektuell irgendwie unterfüttert. Da ist nichts, oder bestenfalls(!) eine ehrliche Ratlosigkeit. Als ich kürzlich nach dem Killy grub, fiel mir noch ein anderes Buch aus jener Zeit in die Hände mit Titel ‘Verfall der Philosophie’. Konnte man sich seinerzeit über den Befund noch streiten, ist er heute evident. Auch da ist nichts, da ist rein gar nichts mehr. Alternativlos totgetrampelt von ‘Sachzwängen’, die sich vor allem im Unverstand ungehindert ausbreiten können. Die Wahl des ‘Unwortes’ stimmt mich dennoch wieder etwas optimistischer. Vielleicht beginnt der Verstand ja doch allmählich wieder zu arbeiten…
Dezember 23rd, 2010 at 13:48
-> flatter(24): “Lichtjahre” stehen für eine Entfernung in der si-Einheit Meter, nicht für einen Zeitabschnitt.
Im Ernst: Seit geraumer Zeit versuche ich immer und überall die Aufmerksamkeit derjenigen, die mir gegenüber ihre Wut äußern, auf Blogs oder wenigstens auf die NDS zu lenken. Auch der Normalo, der nicht die Zeit hat, viele Stunde für Recherche aufzuwenden, weiß schon lange instinktiv, daß er beschissen und immer häufiger auch verhöhnt wird. Hier auf denen ‘rumzuhacken bringt nichts. Wir brauchen konkrete Ideen, die man denen präsentieren kann, die auch eher pessimistisch in die Zukunft blicken und erst Recht alles festzuhalten versuchen, was sie besitzen.
Meiner Ansicht nach ahnen viele, daß ein Schlüssel in einem Mehr an Eigenverantwortung stecken wird.Und ich meine damit natürlich nicht Dinge wie die Riesterrente oder mehr Privatisierung in der Gesundheitsvorsorge.
Möglicherweise treten viele an dieser Stelle auf die Gedankenbremse und wenden sich dem scheinbar Vertrauten zu, auch wenn es immer mehr mieft.
Wenn man nämlich seinen Arsch vom Misthaufen erhebt, dann wird es schnell kalt am Hintern und man setzt sich lieber wieder hin. Da muß ich mir auch an die eigene Nase fassen.
Weil Du gerade das Wort Depression erwähntest. Aus einigen neuerlichen Gesprächen hier ist mir klar geworden, daß der Leidensdruck einiger der Poster – auch solcher, deren Kommentare von dir bis auf Weiteres wegen ihrer Gesprächskultur keinen Raum mehr erhalten – inzwischen sehr hoch sein muß.
Die täglichen Lügen im Radio und Fernsehen, die nichtreflektierte Darstellung von Sachverhalten seitens der Zeitungen können einen wirklich über das Maß ärgern.
Schlimm vor allem ist jedoch, wenn im Gespräch mit dem Nachbarn oder meist auch innerhalb der eigenen Familie alles über den Tag aufgeschnappte einfach nachgeplappert wird und man mit seiner Kritik alleine dasteht.
Lösung? Keine Ahnung. Vielleicht zunächst Gleichgesinnte im real-life suchen.
Ein herzliches Dankeschön von mir für deine Hinweise, die Anmerkungen und deine Querverbindungen, die Du uns hier anbietest!
Vielleicht kann auch mal ein grafisch Begabter Aufkleber entwerfen. Gegen Verdummung, gegen den Krieg und für die Wiederbeatmung demokratisch-humanistischen Gedankenguts.
Liebe Grüße von mir an alle Selbstdenker und Selbstdenkerinnen.
Dezember 23rd, 2010 at 14:26
@flatter(24):
Das muss ich dir dann mal glauben, denn zu diesen Zeiten habe ich mir noch dekadent vorlesen lassen und hatte auch wenig Kontrolle über die Inhalte.
@R@iner(26):
Sehr interessante Gedanken. Vielleicht ist ein großer Teil des Zynismus und Verlogenheit einfach nur Selbstschutz. Die Ohnmacht in anbetracht allen Leids der Welt, nah und fern, drückt etwas auf die Stimmung. Wieviel einfacher ist es da auf ein “selbst Schuld” auszuweichen?
Möglicherweise treten viele an dieser Stelle auf die Gedankenbremse und wenden sich dem scheinbar Vertrauten zu, auch wenn es immer mehr mieft. Wenn man nämlich seinen Arsch vom Misthaufen erhebt, dann wird es schnell kalt am Hintern und man setzt sich lieber wieder hin. Da muß ich mir auch an die eigene Nase fassen.
Hmm, ich habe mir schon oft Gedanken darüber gemacht. Es stellt sich die Frage, warum man sich den Hintern für Leute abfrieren soll, die selbst komplett im Haufen sind und keinerlei anstalten machen, selbst da raus zu kommen. Warum sollten beispielsweise die Nichtraucher gegen weitere einschränkende Rauchergesetze demonstrieren, wenn es nicht mal die Raucher selbst interessiert.
Beantwortet habe ich die Fragen allerdings noch nicht.
Dezember 23rd, 2010 at 14:29
@Rainer: Das ist mir durchaus bekannt (Lichtjahre). Es heißt aber auch “davon sind wir meilenweit entfernt”, und auch die Meile ist keine Zeiteinheit.
Dezember 23rd, 2010 at 14:39
-> flatter(28): Ich gehe davon aus, daß Du es weißt. Deshalb bog ich schleunigst mit ‘Im Ernst’ ab zu meinem eigentlichen Sermon.
Nachtrag: Wir Inschinöre sind einfach Klugscheißer. Ich will nicht wissen wieviele Leserbriefe der adac über die Jahrzehnte schon erhalten hat bezüglich derer Schreibe von wegen Stundenkilometer, was ja inkorrekterweise auf eine vorzunehmende Multiplikation hinweisen könnte.
Abgesehen davon ist das auch etwas herrlich deutsches. Das ist die Romantik, in die sich jeder versetzt sieht, der schon einmal von einem Rentner wegen Falschparkens denunziert wurde, der den sommerlichen Nachmittag mit auf Kissen gelagerten Ellenbögen nebst Aschenbecher und Feldstecher am Fenster zu verbringen pflegt.
Dezember 23rd, 2010 at 14:43
Interessanter Link von Gerhard Schrödibär (https://jetzt.sueddeutsche.de/texte/anzeigen/516359). Ähnliche Praktiken haben mich in meinem eigenen Studium (nicht Kommunikationswissenschaften, und einige Jahre her) schon auf die Palme getrieben. Inhaltlich alles richtig wiedergegeben, aber nicht die Worte des Lehrbuchautoren benutzt, deswegen nur 3- (Grund: Die Korrektoren hatten so wenig Zeit, dass sie einfach nur Wörter unterstrichen haben).
Was mich aber schockiert hat, war der erste Blick auf die Kommentare unter dem Text, den ich eigentlich sich für sehr diskussionswürdig halte: Vorurteile über Kommunikationswissenschafts-Studenten, “langweilig”, “Jammerei”. Dabei ist das ein Widerspruch in sich: Diese Studentin will offenbar etwas ändern mit ihrer Kritik. Vielleicht würde sich dadurch auch die Qualität des Studiums verbessern. Deswegen finde ich beide Vorwürfe (“Kommunikationswissenschaften=dumm” und “sie jammert ja nur”) gleichermaßen daneben.
Ist das wirklich die Diskussionskultur in unserem Land? Dann wundert mich nicht mehr viel. Aber wahrscheinlich erschreckt mich das nur so stark, weil ich Online-Kommentare in Mainstream-Medien normalerweise komplett ignoriere.
Dezember 23rd, 2010 at 16:17
@Rainer
Gute Idee. Welche interessanten Blogs ausser NDS und feynsinn.org kennt Ihr noch ?
Leider “raste” ich öfters aus, wenn ich im Verwandten- oder Bekanntenkreis Wiederholungen der öffentlichen Verlautbarungen höre. Was ich mir aber angewöhnt habe, ist immer das Wort “Propaganda” zu verwenden. Aber vielleicht führt das eher zu Abwehrreaktionen oder fangen manche dann doch an, insgeheim nachzudenken ?
Dezember 23rd, 2010 at 16:37
-> Hochmut k.v.d.F.: Die meisten leben lieber mit und von ihren Vorurteilen. Das kannst Du natürlich in einer Kaffeerunde am weihnachtlich verdeckten Tisch nicht ändern. Wie Du weißt, benötigt man Zeit, um Informationen für sich zu verdauen, umso mehr, je höher der Anteil an darin enthaltenem Neuem ist.
Alle in der Werbungserzeugung tätigen (u.a. Kommunikationswissenschaftler *breitmaulfroschgrins*) und bildende Künstler kennen das Prinzip der ‘Häßlichkeit des Neuen’.
Ich denke, daß ein kooperativer Umgang wichtig ist, weil Du sonst nur der aufständische Besserwisser bist, den man leider nicht mehr ‘nach drüben’ komplementieren kann. Du kannst nur wirklich helfen, wenn jemand seinen Horizont erweitern möchte und seine Bereitschaft signalisiert, Dinge bis zum Ende denken zu wollen.
Ich weiß ja nicht, inwieweit die Schule das heute noch im Lehrprogramm hat, These und Antithese in der gleichen Birne vereinen zu können, ohne daß es gleich zu einer atomaren Kettenreaktion kommt. Dann ist da noch die Frage nach der Schulform und natürlich dem elterlichen Anteil an der Erziehung zu einem reifen Menschen. Manchmal ist es besser, die Fresse zu halten, auch wenn man etwas zu sagen hätte.
Du kannst natürlich auch mit deinem Blut aufschreiben, was dir wichtig ist und dich dann publikumswirksam an Tante Erna vobeizwängen und vom Balkon stürzen. “Saddam Hussein ließ mit eigenen Blutspenden den Koran von einem Kalligraphen abschreiben; die neue Führung des Irak rätselt nun, was sie damit anfangen soll”: https://www.heise.de/tp/blogs/6/148977
Alter Schwede. Das erinnert mich an die Platte von Ougenweide mit den Geschichten von Till Eulenspiegel.
P.S.: Die schlichte Nichtexistenz von Antikriegsaufklebern finde ich nach über 10 Jahren wirklich bedenklich.
Dezember 23rd, 2010 at 17:43
Ja, hallo,
in einem kleinem Land wie Österreich (A) gibts innere Verdienstgrenzen, aber im Grunde Ähnliches wie diese schamlosen ganzdeutschen “hochbezahlten Flachverblender”, die Sie kennzeichnen, in Ihren Grossmedien.
Diese Typen wurden weiland Schmock und von Bert Brecht “Intellektvermieter” genannt.
Nur, und das ist die Frage alle Fragen: Wie diesen nachhaltigen intellektuellen “Verzwergungsprozeß” (Richard Albrecht) erst aufhalten oder dann auch rückgängig machen?
Servus, Helmut
Dezember 23rd, 2010 at 18:32
@Helmut
So lange sich jemand für seinen Lebensunterhalt an jemand anderen verdingen muß, wird er auch von diesem käuflich sein (müssen).
Innerhalb dessen ist das nicht rückgängig zu machen.
Erst wenn die Äußerung von Wissen und Meinung nicht mehr in unmittelbarer Abhängigkeit der Existenz oder wenigstens der ‘Lebensqualität’ steht, kann sich daran etwas ändern.
In einer Gesellschaft(-sform),die auf Verwertung ausgerichtet ist, ist es unmöglich dauerhaft wenigstens einige Teile davon auszunehmen.
Servus – Wat.
Dezember 24th, 2010 at 22:25
@ Wat.
Infodank, ayyayyayy, wat Sie nicht allns “zu erzählen” ham, Wat. Fast so ville wie der Homunculus im Faust II …
Dezember 24th, 2010 at 23:22
*schmunzel*
Zum/vom Goethe fehlt mir so einiges^^
Aber (echtes!) “kleines Menschlein”, das kriege ich hin… ;-)
Dezember 25th, 2010 at 01:01
Sehr schöner und Leider auch sehr zutreffender Artikel.