Heiner Geißler hat seinen Schlichterspruch kundgetan. Ein kurzer Rückblick auf den heutigen letzten Tag:

geisslerWas sich in den zähen Verhandlungsrunden nur angedeutet hatte, wurde in den Schlussplädoyers noch einmal verdichtet. Die Gegner von Stuttgart 21 hatten die um Längen besseren Argumente auf ihrer Seite. Billiger, effizienter, ökologischer, mit einer angemessenen Rücksicht auf historisch gewachsene Strukturen, ist der Kopfbahnhof das Mittel Wahl, ein Konzept, das in Paris und New York ja auch funktioniert. Muss man sich jetzt Sorgen um New York machen, weil dort nie wieder ein größeres Projekt genehmigt werden wird? “Stillstand statt Fortschritt” ist das einzige Argument der Befürworter. Es ist machbar, es ist neu, also muss es gemacht werden? Das traurigste Bild gab Tanja Gönner ab, deren phrasenhafter Vortrag Verlauf und Ergebnisse der Schlichtung völlig ignorierte.

Was Mappus und der CDU die Schuhe ausgezogen haben wird, sind die konservativen Ansätze ihrer Gegner. Es geht nicht nur um den Erhalt alter Bäume und Gebäude, sondern ebenso um den sprichwörtlich historischen Kern der Stadt, den ‘Stuttgart’, Stutengarten, heute Schlossgarten. Solche symbolträchtigen Hintergründe mögen für ein Bauprojekt irrelevant sein, hier aber sticht das Argument, dass eine Stadt zuerst die Gesamtheit ihrer Bürger ist und nicht die ihrer Infrastruktur. Begrüßenswert übrigens: bei den Plädoyers seiner Gegner hörte Bahnvorstand Kefer endlich einmal auf zu grinsen.

Gefällt uns zwar nicht, aber wir bezahlen das dann mal

Was vor der Schlichtung noch ein zugespitzter Vorwurf war, hat sich am Ende zu einem nachhaltigen Eindruck verdichtet: Die Betreiber von Stuttgart 21 verhökern Jahrhundertealte Traditionen, die Ökologie, das Stadtbild und vor allem die Interessen ihrer Bürger. Es soll sich vieles ändern, und nichts davon kann den Stuttgartern und ihren Besuchern gefallen. Obendrein sollen sie auch noch selbst dafür einen gewaltigen Preis in Euro und Cent zahlen.

Wem nützt es? Diese Frage wurde ausgeklammert, was zu erwarten war, aber dennoch zu bedauern ist. Wie kommt man auf ein solches Projekt? Ein großes Manko der Schlacht um den Bahnhof ist nämlich, dass man nicht erfährt, warum so etwas wie Stuttgart 21 überhaupt geplant wird. Gerade wenn die Parkschützer und Bewahrer des Kopfbahnhofs Recht haben, kann man sich das nicht erklären. So lange nicht klar wird, wer in welcher Höhe an S21 profitiert oder profitieren sollte, ist mit der Schlichtung höchstens die Hälfte der Aufklärungsarbeit getan. Sehr zu loben ist in diesem Zusammenhang übrigens die Berichterstattung von Phoenix, die in diese Kerbe schlägt. Mal sehen, was davon noch in den Mainstream-Medien ankommt.

Wem nützt es?

Geißlers Hauptargument liegt darin, dass eine Alternative zum beschlossenen Projekt S21 nicht mehr in einem vertretbaren Zeitrahmen realisierbar ist. Eine erstaunliche Übereinstimmung zwischen den Kontrahenten besteht in der Vereinbarung, die frei werdenden Grundstücke “der Spekulation zu entziehen“. Damit fällt zwar vermutlich ein Grund für das Projekt weg, der Zug ist dennoch nicht mehr aufzuhalten.

grubmapIst er nicht? Die Bahn und die Finanziers werden sich überlegen müssen, ob sie das wirklich wollen, dem sie da zugestimmt haben. Denn man wird sich vielleicht scheel aus der Verantwortung stehlen und künftige Mehrkosten der Schichtung in die Schuhe schieben, sie werden aber absehbar astronomisch. Die schon “optimistischen”, also frech herabgerechneten Kosten werden durch weitere nötige Investitionen explodieren. Zusätzliche Gleise an allen Anschlussstrecken, zwei zusätzliche im Bahnhof, zusätzliche Maßnahmen für Sicherheit und Barrierefreiheit, Kosten zur Erhaltung der Bäume und so fort werden ergänzt durch wegfallende Einnahmen bei den Grundstücksverkäufen.

Astronomische Kosten

Eine weitere Hürde stellt der anstehende “Stresstest” dar, mit dem festgestellt werden soll, ob ein “30-prozentiger Leistungszuwachs” wirklich möglich ist. Wer am Ende darüber befindet, ob der Beleg erbracht sein wird oder nicht, ist eine Sollbruchstelle. Die sofort aufbrandenden Proteste nach dem Schlichterspruch zeigen bereits, dass die Schlichtung keinen Frieden bringt. Neben der Hoffnung auf die anstehenden Landtagswahlen bleibt den Befürwortern des besseren Konzeptes ‘K21′ auch eine realistische: Dass den Betreibern von Stuttgart 21 schon sehr bald die Kosten völlig über den Kopf wachsen werden.

Der politischen Schaden, den die CDU hinnimmt – gerade in bezug auf eine konservative Wählerschaft, hat offenbar keinen Einfluss auf die Entscheidung. Und auch die Landtagswahlen lassen nichts wirklich Gutes erwarten. Oder glaubt jemand, die vor sich hin eiernde SPD würde einem Stopp von S21 auch nur zustimmen? Eine Rotgrüne Regierung würde also weiter bauen lassen, vermutlich sogar eine Grünrote. Wenn aber diejenigen, die bislang fleißig Volksnähe simuliert haben, dann dem Sachzwang folgend die Seiten wechseln, wird das Spiel sicher nicht fairer werden. Der Irrsinn hat mit dem Schlichterspruch jedenfalls noch lange kein Ende gefunden.