flatpixIch könnte allmählich zum Reaktionär werden. Allein die Naivität, mit der selbst sich für ‘gestanden’ haltende Profis im Netz willig privaten Datendiktatoren in die Hände spielen, ist ein äußerst trauriges Kapitel. Das mag auch damit zu tun haben, dass die zuletzt auftrumpfenden Freiheitskämpfer für das anarchische Internet ein grundlegendes Dilemma verpennen, in dem sie sich selbst befinden: Dass sie nämlich glauben, die Freiheit der Rede sei überhaupt denkbar in einem Medium, in dem jedes Wort, jedes Bild und jedes Gesicht abgeschöpft, zweitvermarktet und vorratsgespeichert werden kann.

Unbegreiflich sind mir die teils rüden und vereinzelt kriminellen Attacken gegen Leute, die ihr Haus verpixeln lassen. Man Stelle sich vor, es gäbe eine derartige Hetze gegen Menschen, die nicht wollen, dass Microsoft flächendeckend die Nutzung von Browsern erfasst und eine Weltkarte damit zusammenstellt. Aber Google ist ja gut, oder?
Wohlgemerkt: Nicht gegen die Totalerfassung der Fassaden wird mobilisiert, sondern gegen Menschen, die dem nicht zustimmen. Auch wer nichts gegen eine solche Erfassung hat, muss schon bemerkenswert intolerant sein, wenn er anderen nicht zubilligt, von ihren Rechten Gebrauch zu machen.

Bemerkenswert intolerant

Wie frei das Netz ist, zeigen neuere Entwicklungen bei Facebook und Twitter, milliardenfach genutzte Dienste, deren Eigentümern damit mehr Macht zukommt als vielen verfassten Staaten. Dass unbedarfte Nutzer längst über Facebook abgeschöpft werden, von Stalkern, Freunden, Feinden, Arbeitgebern und Behörden, mag man als unvermeidlich betrachten. Wo aber sind die kritischen Stimmen derer, die sich sonst ständig verfolgt und beobachtet fühlen? Wie kann man von Datenschutz faseln und gegen die Vorratsdatenspeicherung sein und gleichzeitig einen Facebook-Account haben?

Twitter wiederum wurde gern dargestellt als Tool der Revolution, datentechnische Opposition gegen Diktaturen. Wer so dachte, durfte sich alsbald mit der Erkenntnis befassen, dass auch die Adepten der Diktatur Twitter nutzen können. Inzwischen droht ein Ausverkauf von Daten, gegen den die Volkszählungen verpixelte Häuser sind. Sie gucken euch in die Wäsche, diese Privatiers. Und wenn es ihnen einfällt, lassen sie jeden teilhaben, der dafür zahlt. Aber das sind ja die Guten. Oder?

Nur im Netz seid ihr frei, woanders werdet ihr unterdrückt und überwacht. Eingeschränkt in der Meinungsäußerung, beim Einkaufen gefilmt, und eure Verbindungsdaten wollen sie auch speichern – ein halbes Jahr lang. Darüber diskutiert ihr im Netz und postet einen markigen Spruch bei Facebook.
Die sind so frei das zu erlauben, solange es eben nicht in Kritik ausartet oder irgend eine Form von Konkurrenz befördert. Humor haben die Betreiber da exakt null.

Eier für das Kapital

Man kann ja über die alten Säcke und ihre Vorbehalte gegen die ‘Netzkultur’ sagen, was man will, aber wir wussten auch in jungen Jahren schon, was ein Unternehmen ist, das dem Willen seiner Eigentümer unterworfen ist und dass deren Macht ebenso begrenzt gehört wie die der Behörden. Heute werfen Idioten Eier auf verpixelte Häuser, und schmerzbefreite Halbhirne labern von einer “Burka für mein Haus”.

Mit gleicher Münze müsste man von “Netznazis” sprechen, die ihren unreflektierten Hass auf alles Muslimische noch auf den Datenschutz ausweiten. Datenschutz ist Islamismus. Das hieße freilich, man nähme diesen erbarmungswürdigen Quatsch ernst.
In Fragen der Netzfreiheit und des Datenschutzes lauert das Dilemma an allen Ecken und Enden. Wehende Fahnen, Aktionismus gegen die miesen Spießer, welche die Gegner ja nur sein können und Freaks, die ihrem unreflektierten “Netizen”-Dasein reale Bürgerrechte opfern, braucht kein Mensch. Bezeichnenderweise hat die Piratenpartei zum Thema “Street View” übrigens noch keine Meinung – was mir allemal lieber ist als das nächste spinnerte Manifest.