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Zwei Anlässe treiben mich zu einigen Gedanken darüber, wie sich das Phänomen “Faschisnmus” und seine Vorstufen in die aktuelle Situation übertragen lassen: Einerseits die Diskussion bei shifting reality, andererseits der Ausfall der CDU/CSU, namentlich von Bosbach und Beckstein, die “Listen” von “Konvertiten” anfertigen lassen wollen.
Bei letzterem kommt mir derart die Galle hoch, daß ich die Analogie zum Faschismus nicht mehr unterdrücken kann, so sehr ich sie auch oft ablehne. Wo dereinst Rassengesetze zur Judenverfolgung erlassen wurden, werden heute religiöse Überzeugungen zum Gegenstand der Verfolgung von Minderheiten durch den Staat gemacht. Die Naivität der Verfolger ist dieselbe wie die der damaligen Helfershelfer der NSDAP. Inhaltlich sind solche Ideen ausschließlich zum Terror des Staates gegen seine Bürger geeignet. Aber wie damals wird der Sud verbrämt, als sei er für einen guten Zweck. Es sind ja “höchstens zehn bis zwölf Fälle” im Jahr, lügen die Verfechter der Onlinedurchsuchung. Es gehe um “Terrorabwehr”, heucheln die Feinde islamischer Menschen. Auch in den 30er Jahren waren nicht alle, die den brennenden Judenhaß der führenden Nazis duldeten, Antisemiten. Und kaum jemand von ihnen stellte sich vor, es würden Massenvernichtungslager folgen. Damals wie heute aber wurde ein Potential geschaffen, mit dem alles möglich ist. Das Strafrecht wird zum Feindrecht verändert und die Maßnahmen verschärft. Sogar der “Todesschuß” ist in der Diskussion, wenn es um “Gefährder” geht. Folter ist längst wieder diskutabel. Die Rechte von Vedächtigen werden eingeschränkt. Es werden Masseninternierungslager in Form von Käfigen aus dem Boden gestampft, wenn es darum geht, eine “politische” Großveranstaltung zu schützen. Es werden Gesinnungen zum Gegenstand präventiver Verfolgung gemacht.
Dabei ist die Gesinnung der Verfolger so aggressiv, daß sie weit über jedes Ziel hinausschießt. Es kommt nicht einmal mehr auf Machbarkeit an. Die Struktur ist so simpel wie brutal: Die richtige Gesinnung hat alle Rechte, die falsche Gesinnung hat keine mehr. So wird längst davon gesprochen, “der Bürger” sei ja gar nicht in Gefahr. Die Ideologie, die nach Dazugehörigkeit trennt, erklärt schlicht die Verfolgten zu Unpersonen. Sie sind keine Bürger und haben daher keine Rechte. Der Verdacht gegen sie ist bereits ihre Schuld, das ist offizielle Politik der Verfolger. Denn wer unbescholten ist, nichts zu verbergen hat, Bürger ist, wird ja nicht verfolgt. Wer verfolgt ist, muß Dreck am stecken haben.
Im Mittelpunkt der Diskriminierung steht der “Islamismus”. Niemand bezweifelt, daß der islamische Terrorismus in Form von “Selbstmordattentaten” eine für uns besonders befremdliche und schreckliche Form des Verbrechens ist. Das allein aber genügt, um eine ganze Religion, respektive ihre Anhäger zu verdächtigen und zu verfolgen. Nichst anderes als ihre Religionsangehörigkeit ist ihre “Schuld”, und sie werden dafür zu Kriminellen erklärt.
Auf den Straßen in einigen Teilen der BRD treibt sich derweil ein Mob herum, der alles Fremde jagt und allgelegentlich tötet. Dies wird in keiner Weise von Seiten des Staates als “Terror” wahrgenommen oder behandelt. Täter werden oft nicht gefaßt, obwohl sie bekannt sind. Die Infrastruktur des rechten Mobs bleibt nicht nur unangetastet, im Gegenteil: Die NPD als größte Organisation hinter dem rechten Terror ist von V-Leuten durchsetzt und wird so vor einem Verbot geschützt. Zur Aufklärung von Straftaten tragen die Herren vom Geheimdienst übrigens so gut wie nichts bei.
Diese Entwicklung der Staatspolitik, obendrein weitgehend getragen von den beiden größten Parteien, bietet erschreckend viele Analogien zum Nationalsozialismus. Aber kann man deshalb von einem “faschistischen” Staat sprechen oder einem, der “faschistisch” zu werden droht? Wäre der von Orwell in “1984″ beschriebene Staat ein “faschistischer”? Die technischen Überwachungsmaßnahmen, die dort eine tragende Säule der Diktatur sind, wären ein weiteres Analogon zur aktuellen Entwicklung.
Schließlich der Staatsbürger: Ist ein prügelnder Glatzkopf, der, anstatt sprechen zu lernen, Menschen jagt, ein “Faschist”? Oder ist ein Faschist eher jemand, der einer staatlichen Ideologie das Wort redet, die autoritär jedem einzelnen aufoktroyiert werden soll? Ist die Selbstbezeichnung “nationaler Widerstand” nur Karikatur oder schon ein deutlicher Hinweis darauf, daß Faschismus heute unmöglich ist? Die Struktur des heutigen Kapitalismus’, der Vielfalt zumindest als Vielfalt der Interessen unterschiedlicher Kapitaleigner verwirklicht hat, dürfte realtiv sicher sein vor einer verschwörerischen Clique, die die Gewalt über Staat und Gesellschaft an sich reißt. Zeitgemäße Verschwörungstheorien, die dem widersprechen, gehen davon aus, daß es gerade schwerreiche Großkapitalisten sein werden, die die Völker versklaven. Dem widerspricht aber ebenfalls die Dynamik eines globalen Marktes, der auf Interessensvielfalt und Initiative angewiesen ist. Der Markt ist von Gier getrieben, und ein autoritärer Staat oder eine autoritäre Weltgesellschaft könnte diese Gier nicht mehr befriedigen.
Wie man es auch dreht und wendet, aus meiner Sicht kommt kein “Faschismus” zusammen. Es macht also Sinn, weiterhin über die Dörfer zu gehen und die Dinge präzise zu benennen. Dann ist Fremdenfeindlichkeit schlicht Fremdenfeindlichkeit, Gewalt Gewalt und die Beschneidung der Grundrechte ein massiver Anschlag auf den Rechtsstaat. Und ich möchte dafür werben: Der Rechtsstaat und die Bemühung um eine demokratische Gesellschaft sind über Jahrhunderte gewachsene Werte, die nicht hoch genug gewürdigt werden können. Wer diese Werte untergräbt, sie anderen abspricht oder Menschen behandelt, als seien sie rechtloses Schlachtvieh, ist das Allerletzte, das diese Gesellschaft tolerieren darf. Dazu ist die Vokabel “faschistisch” nicht notwendig. Im Gegenteil: Es fällt den Ideologen des Nihilismus, des Schachers, der Diktatur und der Fremdenfeindlichkeit viel zu leicht, den Vorwurf zurückzuweisen. Sie sind Feinde des Rechtsstaates. Nennen wir sie so, dann weiß jeder, worum es geht. Denn die Feinde des Rechtsstaates sind nicht weniger furchtbar als die echten Faschisten.

[update]: Bosbach erklärt heute, er habe das “Gegenteil” gesagt. Das Gegenteil der Forderung einer Konvertitendatei klingt dann so:
Wir wissen von einigen, nicht von allen, vielleicht noch nicht einmal von der Mehrzahl, dass sie danach bewusst Kontakt suchen zur radikalen, auch gewaltbereiten Islamistenszene und sich dort radikalisieren lassen. Da würden wir gerne wissen, wer das ist, denn wenn sie sich als Gefährder erweisen sollten, dann muss der Staat auch die Möglichkeit haben, dieser Gefährdung zu begegnen.” Der Staat soll also mal wieder bescheid wissen und muss die Möglichkeit zum Eingriff haben. Schäuble weiß schon, was gemeint ist, der BR wußte es offenbar auch, und Beckstein war ja ganz begeistert von dem Vorschlag, den Bosbach angeblich gar nicht gemacht hat. Sie machen das sehr geschickt: Erst jemanden vorschicken, dann dementieren, zeitgleich mit dem Koalitionspartner verhandeln und schließlich die nächste Beschneidung der Grundrechte durchsetzen. Das sieht so schön nach demokratischem Meinungsbildungsprozeß aus.