Ich schaue mir “Anne Will” nicht an. Schon das Vorgängermodell Christiansen war unerträglich, die rotierende Gästeliste, die von Vertretern des INSM dominiert wird, sorgt allein schon für die immer gleichen Botschaften, von Henkel genäselt oder von Baring gebrüllt. Obendrein wäre der Titel “Moderatorin” für Will genau so weit daneben wie für Christiansen, die beide ihre Gäste nie im Griff hatten.

3spiegel

Gestern Abend habe ich dennoch bewusst den Anfang der Sendung verfolgt, weil es mir wichtig war, die Hysterieproduktion aus den Politikersatzstoffen, die da regelmäßig gereicht werden, mitzuerleben. Wie weit wollte Will gehen?
Ich war überrascht. Selbst für das regelmäßige Stelldichein rhetorischer Hanswurste, deren Sendungsbewusstsein ihr intellektuelles Niveau stets in den Schlagschatten stellt, war die Veranstaltung gestern bemerkenswert plump. Ist die Auswahl der Gäste sonst eben einseitig, hatten wir es diesmal mit einer geschlossenen Einheitsfront zu tun. Wer Gleichschaltungs-TV zum Anfassen erleben wollte, war hier bestens bedient.

Eine israelische Paranoikerin, die nicht Bus fährt, sorgte für das Muster extremen Angstverhaltens, an dem wir uns ein Beispiel nehmen können. Ein langatmig schwätzender Innenminister, der sich selbst feiert, weil er seine Panikmache durch sinnfreies und überflüssiges ‘Abwiegeln ‘ im Vorfeld erst richtig zur Wirkung gebracht hat. Er hat nämlich etwas vor. Ein abgehalfterter amerikanischer Journalist, der seit Jahrzehnten keinen “Spiegel” mehr gelesen hat oder gar nicht lesen kann und ihn für quasi linksradikal hält. Der Chefredakteur des neoliberalen Kampagnenblattes selbst, der erst den Reichstagsbrand journalistisch vorbereitet hat und in der Sendung von Anschlägen auf “Kindergärten” schwadronierte.

Das deutsche Freilandexperiment

Niemand saß dort, der nicht an Legende und Horrorfilm mitgestrickt hat. Niemand, der ernsthaft fragte, wem das nützt oder schadet und niemand, der anderer Meinung war. Den Vogel abgeschossen hat ausgerechnet Gerhart Baum, einer der letzten Sozialliberalen. Was ist in den Mann gefahren? Ernsthaft bescheinigte er de Maizère “Besonnenheit”, dem Minister, der endlich die verfassungswidrigen Gesetze durchbringen will, mit denen sein Vorgänger gescheitert ist – wobei ihm übrigens Mascolo zustimmte, dieses Sturmgeschütz gegen die Demokratie. Der Mann, der seit Wochen Alarm schlägt und dann behauptet, er habe ja nur von “abstrakter Bedrohungslage” gesprochen. Das also ist “Besonnenheit”? Wie sieht es dann aus, wenn er nicht besonnen ist? Gibt er Interviews aus dem Bunker? Liest er aus der Offenbarung des Johannes vor? Zündet er sich auf den Stufen des Reichstags an?

Dieses deutsche Freilandexperiment ist deprimierend und lehrreich zugleich. Bislang darf man sagen, dass es mit vergleichbar friedlichen Mitteln daher schleicht. Der Reichstag hat noch nicht gebrannt, die Juden wurden noch nicht beschuldigt. Es gab gar keinen Anschlag. Ob die Deutschen auch ganz ohne ein 9/11 auskommen, wird sich zeigen. Gehetzt wird immerhin aus allen Rohren, dazu reicht es hier, den Teufel als Strichmännchen an die Wand zu malen. Wer mehr will, muss mehr wagen. Wenn aber schon jetzt die Opposition derart eifrig redaktionell unterdrückt wird, muss man auf alles gefasst sein. Die Meinungsfreiheit darf schließlich nicht dazu führen, dass Kindergärten brennen.

p.s.: Bislang gab es meines Wissens übrigens nur einen Anschlag auf einen Kindergarten, der allerdings menschenleer war. Es handelte sich um einen Akt deutsch-jüdischer Kultur. Der jüdische Kindergarten wurde von Rechtsradikalen beschädigt.