Es findet derzeit ein ideologischer Rollback statt in diesem Land, den niemand einer großen Koalition zugetraut hätte. Waren die “Volksparteien” nicht beinahe zahnlos und der Kompromiß zwischen Sozialdemokratie und Christdemokraten ein laues Lüftchen, das sanft durch die Mitte der Gesellschaft weht?
Schlecht beobachtet. Die kulturelle Diarrhoe, die unter Merkels Kanzlerschaft zum Himmel stinkt, war zu erwarten, wenngleich einige Hinweise nicht so deutlich waren wie die Wirklichkeit, die aus der Konstellation hervorgeht. Die brechenden Säulen der Demokratie sind vor allem:
-Ein Politikverständnis, dem das Primat der Wirtschaft zugrundeliegt
-Eine Sozialdemokratie in rasantem Niedergang
-Ein losgelassener aggressiver Konservativismus, der aus der “Mitte” heraus rechtes Gedankengut zu etablieren versucht, anstatt sich um eine stabile Demokratie zu bemühen und
-Ein Journalismus, der sich der Herrschaft andient, anstatt sie kritisch zu begleiten
Ersteres muß an dieser Stelle nicht erneut ausgeführt werden. 25 Jahre nach dem Lambsdorff-Papier, im Zeichen von Hartz IV und Fondskapitalismus, haben die Regierungsparteien kapituliert. Sie sind nicht willens oder in der Lage, notwendige Grenzsetzungen vorzunehmen. Wirtschaft sei “globalisiert”. Man könne dem mit nationalen Gesetzen nicht beikommen.
Daß die Konservativen und Liberalen, die immer schon gut mit einem zurückgelassenen Bodensatz leben konnten, diese Haltung an den Tag legen, ist nicht anders zu erwarten. Aber die SPD? Mit Hartz IV ist es ihr gelungen, in puncto Wirtschaftstreue und Rücksichtslosigkeit zu den anderen aufzuschließen. Wäre da nur nicht dieser Name! “Sozialdemokratie”? Ohne soziale und demokratische Inhalte wird sie schwer zu verkaufen sein.
Aus der Position der Schwäche heraus, in die sie sich dadurch gebracht hat (und aus einer personellen Besetzung, die auch nicht gerade ermutigend ist), wackelt die SPD dem Tun des Koalitionspartners hinterher, sagt manchmal “vielleicht nein”, dann “vielleicht doch”, um schließlich alles abzunicken. Immer getreu dem Motto: “Es könnte schlimmer kommen, und es kam schlimmer”. Solchermaßen stärker als mit einer absoluten Mehrheit, regieren die Konservativen Freiheit und Demokratie zu Tode. Wer sollte sie auch aufhalten?
Weder die SPD noch eine Öffentlichkeit, die auf funktionierende Medien angewiesen wäre. Die aber freuen sich über spannende Nachrichten aus Schäubles Gruselkabinett und über die gute Pflege durch diese Regierung. Sie gehören ja quasi dazu. Ein Gespräch mit einem Minister oder Staatssekretär ist eine Ehre, die die Majestät dem Journalisten gewährt. Und mit ein bißchen Glück gibt’s zum Dank sogar ein paar ganzseitige Anzeigen. Am schlimmsten aber trifft den Rechtsstaat der Niedergang des “Spiegel”, der inzwischen das Gegenteil seiner selbst ist: Hofpostille und Boulevardblatt.
Allein die Nachrichten von diesem Wochendende sind erschütternd. Wir sind auf den Stand der 50er Jahre zurückgeworfen, und was davor kam, ist auch schon wieder hoffähig:
Pofalla will Kruzifixe in alle(n) Schulen. Inzwischen ist es offensichtlich, daß die Ideologen der CDU sich einen Dreck um die Verfassung scheren. Ihre Antwort auf Fundamentalismus ist Fundamentalismus. Ihre Antwort auf Verfassungsfeinde ist die Abschaffung bürgerlicher Rechte und Freiheiten. Das Vorbild ist ersichtlich die Bush-Administration, der GAU der Demokratie, der weltweit für Entsetzen gesorgt hat.
Von diesem Trend fühlen sich ehemalige Journalisten beflügelt. Eva Herman findet gar den Nationalsozialismus gut. Ohne Hitler, aber mit Mutterorden. Unfaßbar.

merkelspiegel

der Grundstoff für Höllenmaschinen

Der “Spiegel” begleitet diese Freakshow aktuell mit einem journalistischen Müll, den Augstein seinen Schreibern ins Maul gestopft hätte, um sie hernach auf die Straße zu setzen. Nur zwei Beispiele aus dem aktuellen Terrorismus-Tamtam: Zwar können Jürgen Dahlkamp und Marcel Rosenbach nicht recherchieren (warum auch, sie schreiben ja für den Spiegel), aber dafür dick auftragen. So heißt es:
Mit Stärke und weiteren Ingredienzien vermischt, hätte der Inhalt für rund 550 Tonnen Sprengstoff gereicht. Die Attentäter von London und Madrid hatten dieses Gemisch bei ihren Anschlägen auf Bahnen und Busse benutzt.“.
Diesen Bullshit kippen die Herren ihren vermeintlich doofen Lesern vor die Tür, die sich noch bedanken werden für solche Wertschätzung. “Stärke und weitere Ingredienzien” soll uns sicher sagen, daß man sie beim Bäcker kaufen kann. Nähme ich das wörtlich, müßte ich mich fragen: Woher kriegen die Jungs über 500 Tonnen Stärke? Alles Quatsch natürlich. Es war nie die Rede von 550 Tonnen Sprengstoff, sondern von Sprengstoff mit einer Sprengkraft, die 550 Tonnen TNT entspricht. Muß man ja nicht wissen. Spiegel-Leser jedenfalls nicht. [edit]: Ich habe SpOn da schlampig korrigiert. Zwar ist “550 Tonnen” immer noch Blödsinn, aber SpOn hat das inzwischen auf “550 Kilogramm” herunter korrigiert. Den ursprünglichen Text hatte ich aus dem SpOn-Artikel kopiert.[endedit]
Dennoch wären es mehrere Tonnen Sprengstoff gewesen, der sich kaum synthetisieren läßt, ohne schon beim Köcheln oder beim Transport hochzugehen. Hier haben eifrige Amateure “Terroristen” gespielt. Wie kommen Menschen auf solche Ideen? Ja, wie, wenn die Zeitungen täglich voll davon sind?
Und was schließt der Spiegel daraus? Die Fässer aus der Drogerie
enthielten Wasserstoffperoxidlösung – den Grundstoff für Höllenmaschinen, die Deutschland und die Welt in Angst und Schrecken versetzen sollten“. Grusel und Hokuspokus, den sonst gern arabische Angeber in ihre Drohbriefe schreiben. Oder eben Qualitätsjournalismus.
Es stimmt: Recht und Freiheit waren lange nicht so bedroht wie heute. Nach den Tätern muß man allerdings nicht lange fahnden.