Dass Propaganda funktoniert, erlebe ich jedesmal, wenn ich auf das Thema “Erbschaftssteuer” zu sprechen komme. Die Zuschauer von Tagesschau und Anne Will haben beinahe alle dieselbe Antwort parat: “Aber wenn ein Betrieb Erbschaftssteuern bezahlen muss, dann geht der doch pleite!”.
Noch niemand hat bei einfachem Nachhaken dieses Argument aufrecht erhalten können. Es entspringt auch sehr offensichtlich nicht dem Denken dieser Menschen, sie haben es vielmehr aufgeschnappt.

dogma

Allein schon sofort auf “Betriebe” zu kommen, ist doch sehr merkwürdig. Wie viele Erben sind Besitzer eines Betriebes? Wie kommt man darauf? Wie viele Betriebe wiederum sind im Besitz von Privatleuten, also keine Aktiengesellschaften oder sonstige Gesellschaften mit mehreren Anteilseignern? Wie viele dieser Betriebe wiederum ließen es nicht zu, dass ein Teil ihres Wertes als Steuer gezahlt werden kann – als Teil eines Privatvermögens, wohlgemerkt? Und wenn es also dann noch Betriebe gibt, die übrigbleiben, wo ist dann das Problem, sie zu verkaufen? Als fände ein profitabler Betrieb keinen Käufer – was im übrigen ja hieße, er sei wertlos, womit wiederum keine Steuer anfiele. Dass man sich schließlich über einzelne (!) Sonderregelungen unterhalten kann, wird ebenfalls unterschlagen.

Die Ausnahme von der Ausnahme der Ausnahme wird herangekarrt, um die Regel zu widerlegen, dass nämlich eine hohe Erbschaftssteuer wirtschaftlich äußerst positive Wirkungen hätte. Und doch haben ‘Argumente’ aus solchen Sphären der Dummheit Hochkonjunktur.
Über eine Vermögenssteuer, die fast überall in der Welt erhoben wird, wird in Deutschland gelogen, das lohne sich nicht. Auch dieses ‘Argument’ kennt fast jeder auswendig.
Eine Finanzmarktsteuer lohne sich nur, wenn sie möglichst weltweit eingeführt werde, heißt es. Das Kapital wandere sonst ab.

Dieses Argument ist nur deshalb halbwegs rational, weil es immerhin einen Effekt beschreibt, den es tatsächlich gibt. Allerdings ist es wiederum Teil einer maßlosen und erbarmungswürdigen Verelendungstheorie, mit der kaum eine andere Verschwörungstheorie mithält.
Das hören wir ja ständig, dass der “globalisierte Wettbewerb” Deutschland bedroht. Damit werden noch Niedriglöhne von Friseurinnen begründet, weil die Haare sonst alle nach Rumänien auswandern. Mein Nachbar hat auch schon eine Glatze.

Vom Wettbewerb bedroht

Dass überhaupt der Wettberwerb, dem immer das Wort geredet wird, weil er alles zum Guten regelt, eine Bedrohung darstellt, müsste schon für reichlich Kopfkratzen und Haareraufen sorgen. Und dass ausgerechnet der abonnierte Exportweltmeister ständig von internationalen Wettbewerb bedroht ist, schickt auch die letzte Synapse noch in Urlaub. Man will uns für strunzdoof verkaufen.

Das Gegenteil ist richtig. Deutschlands wirtschaftliche Macht ist erdrückend. So erdrückend, dass die G20 es kaum wagen, nachhaltig gegen die brutalen Außenhandelsüberschüsse der Teutonen zu protestieren. Wenn diese Wirtschaftsmacht vorschlüge, Druck vom Kessel zu nehmen, die Welt würde aufatmen. Konkret wäre schon im Schulterschluss mit den Franzosen, die sicher nichts dagegen hätten, die Einführung einer Finanzmarktsteuer in der EU sicher machbar. Deren Gewicht wiederum würde auch andere überzeugen. Und wer dann partout nur noch in Südostasien handeln will, dem kann man ebenfalls Angebote machen, die er nicht ablehnen kann.

Dazu wäre es allerdings nötig, dass die Staaten sich ab und an räuspern würden, wo die Lobbyisten der Finanzwirtschaft ständig kläffen. Anstatt sich zu unterwerfen, müsste die eigene Macht in die Waagschale geworfen werden. Und genau deshalb ist das Programm der Neoliberalen darauf ausgerichtet, den Staat so weit wie möglich zu schwächen, zurückzudrängen und zu unterminieren. Nicht, weil mehr Staat “der Wirtschaft” schadet, sondern weil er den Gewinnen der privaten Eigentümer im Weg ist. Der Stabilität der Wirtschaft aber schadet genau diese Profitstrategie, und zwar immens.

Es gibt keine Alternative

Man kann die neoliberale Propaganda durch sämtliche Instanzen jagen, sie bricht in sich zusammen, sobald man näher hinschaut. Dass der Staat nicht gut wirtschaften könne, ist längst widerlegt. Sei es durch haarsträubende ‘PPP‘-Projekte, die Kommunen in die Pleite trieben, sei es durch das Versagen privater Banken, sei es das Versagen von Konzernmanagern, die sowohl private als auch öffentliche Betriebe ruiniert haben. Die Posaunen von Jericho haben dann zum vorläufig letzten Akt geblasen, als der Staat die privaten Banken vor dem Untergang retten musste. Nichts ist wahr an der Propaganda. Sie versteigt sich ja noch in die äußerst erfolgreich lancierte Parole “Sozial ist, was Arbeit schafft”. Auch wer ungern an die ‘zwölf Jahre’ erinnert wird, kann nicht leugnen, dass dieser Satz behauptet, Auschwitz sei sozial gewesen. Sehr sozial sogar.

Es sind nicht de Instanzen, es ist nicht die Verfassung, nicht der Staat als solcher und nicht die Gesellschaft, die falsch konstruiert sind. Es ist nicht einmal so, als gäbe es keine Macht, die dem neoliberalen Treiben ein Ende setzen könnte. Es besteht obendrein durch das Ausmaß der wieder verdrängten Krise dringender Handlungsbedarf. Dennoch finden Korrekturen nicht statt, und jede Alternative wird im Diskurs sofort untergepflügt, getreu dem ebenfalls neoliberalen Slogan “Es gibt keine Alternative”. Der status quo ist das Resultat von Ideologie und Propaganda.

Hier ist der Scheideweg. Wenn es nicht gelingt, der Wirklichkeit zum Durchbruch zu verhelfen und die tumbe Manipulation zurückzudrängen, geht die Demokratie mit der Wirtschaftsform unter, der sie stets den Vortritt vor den eigenen Anforderungen lässt. Noch ehe sie sich hat entwickeln können, taumelt sie in den Abgrund. Die Menschen werden sich merken, dass sie nichts taugt – und obendrein womöglich dem nächsten kapitalistischen Experiment verfallen, denn das ist ja alternativlos.