Jan Schejbal argumentiert, das Widerstandsrecht sei “wertlos”, weil es de facto vor Gericht keinen Bestand hätte. Diese Perspektive halte ich für kritikwürdig. Sie blendet einen Aspekt des Grundgesetzes aus, den auch Schäuble stets außer acht läßt: Den “Geist” des Grundgesetzes.
Es mag richtig sein, daß man sich auf das Recht auf Widerstand dann nicht berufen kann, wenn es zur Anwendung kommt. Es ist aber dennoch Recht und Gesetz, und wer sich mit dem Grundgesetz auseinandersetzt, muß das berücksichtigen. Gerade das Recht auf Widerstand und gerade die fehlende Möglichkeit, es einzuklagen, ist ein deutlicher Hinweis darauf, daß das Grundgesetz weder Dispositionsmasse noch konkrete Handlungsanleitung ist. Es ist ein Leitfaden, zum Teil aus gutem Grund unveränderlich und zum Teil nur im Konsens und mit 2/3-Mehrheiten zu verändern.
Dies alles schert Schäuble einen Kehricht. Er betrachtet das Grundgesetz eben nicht als das, was es ist, den übergeordneten gesetzlichen Rahmen eines demokratischen Rechtsstaates, sonders als Handlungsanweisung zur Durchsetzung der staatlichen Ordnung per se. Es kratzt ihn dabei nicht, ob er ganz allein dasteht mit seiner Meinung oder wer aus welchen Gründen wie dazu steht. Ihm gilt eine demokratische Mehrheit, zumal der Konsens der Demokraten, nichts. Er wähnt sich im Recht und glaubt, das reiche aus, um am Grundgesetz herumzupfuschen.
Gerade das aber ist die Art des Angriffs auf die Verfassung, die das Recht auf Widerstand meint. Würde sich eine Regierung mit einer solchen Haltung durchsetzen, könnte sie sich nicht mehr auf das Grundgesetz berufen. Sie wäre vielleicht noch an der Macht, sie wäre aber nicht mehr legitimiert. Der Sinn des Grundgesetzes besteht darin, die Freiheit zu schützen, nicht den Staat. Wer das ändert will, will eine andere Staatsordnung. Das ist die unmittelbare Konsequenz aus § 20 GG.
Juli 14th, 2007 at 14:19
Nun ja, er weist aber auch auf den “Effekt” der Ermutigung, moralischen Unterstützung und Legitimation hin.
Faktisch wird das Recht auf Widerstand in einem autoritären/totalitärem System natürlich keine Würdigung finden, aber das ist eigentlich logisch und banal. Ein Freisler hätte sich bei seinen Todesurteilen mit Sicherheit nicht um einen deratigen Artikel geschert.
Aber darüber hinaus hat der Widerstandsartikel bereits einen Wert, bevor er in einem autoritären/totalitären System zur Anwendung kommt, denn vor den Widerstand, der in der Formulierung als militanter Widerstand bzw. Ultima Ratio setzt der Artikel die “Abhilfe” – wenn er sie auch nicht genauer definiert – d. h. er legitimiert alle Mittel des nicht-militanten Widerstands wie den zivilen Ungehorsam etc. bereits dann, wenn es jemand “unternimmt” die FDGO zu beseitigen, was auch imo heißt, dass die Bevölkerung zur Abhilfe aufgerufen ist, bevor es “zu spät ist”.
Er besitzt auch einen Wert im militanten Widerstand selbst, da er auf die Legalität von Widerstandsgruppen und -bewegungen verweist, was die Akteuere bei der Agitation und Rekrutierung neuer Mitglieder nutzen können.
Juli 14th, 2007 at 14:53
Ich glaube wir sind schon an der Stelle vorbei, an der sich noch eine Diskussion hierzu gelohnt hätte.
Widerstand wird heute unter dem Begriff Terror subsumiert. Dabei spielt die Form des Widerstands gar keine Rolle. Man denke an Heiligendamm.
Vor uns liegen nur zwei Abzweigungen. Alle Rechte in Europa einklagen und über das Europarecht das deutsche Recht wieder zu Recht machen. Oder der hoffentlich unbewaffnete Aufstand mit Generalstreik, der zumindest die Regierung und die Leithunde der Politik hinwegfegt.
Ich befürchte aber das es nur Flucht oder bewaffneten Aufstand geben wird, wenn wir nicht auf den Zeitpunkt dafür verpassen.
Juli 14th, 2007 at 15:39
@ Kai Raven:
“Nun ja, er weist aber auch auf den “Effekt” der Ermutigung, moralischen Unterstützung und Legitimation hin.”
Ist richtig, aber er kommt ja dennoch zu dem Schluß der “Wertlosigkeit”; mein Glas ist in dem Fall eben halb voll.
@ Jochen Hoff:
Ich betrachte die Sache nach wie vor anders und bleibe beim “Florett”.
Dieser Außenminister hat keine Mehrheit. Diese Regierung hat keine (ausreichende), und diese Positionen haben keine. Ein Meinungsbildungsprozeß hat in den Medien und z.T. sogar in den politischen Gremien noch gar nicht stattgefunden, deshalb haben noch die recht, die am lautesten brüllen.
Wir stehen am Scheideweg, das ist richtig. Überwachungswahn und staatliche Korruption (siehe Sachsen) haben ein unerträgliches Maß angenommen. Anstatt sich aber selbst zum “Terroristen” zu stempeln und von bewaffnetem Aufstand zu reden, weise ich lieber darauf hin, daß es heute keine Systemfeinde und Umstürzler sind, die aufbegehren, sondern ausgewiesene Befürworter der Verfassung.
Juli 14th, 2007 at 20:25
An den Punkt, wo sich militanter Widerstand bereits selbst legitimiert, sind wir bei weiten noch nicht gekommen. Schäubles ständige Versuche, wesentliche Inhalte des Grundgesetzes zu revidieren sind unterträglich:
Aber bislang weitgehend erfolglos. Im Übrigen zeigt sich dieser Mann zunehmend angeschlagen. Heute ließ er, nach seinem überaus peinlichen SPIEGEL-Interview, verlauten, er hätte “keine gesetzgeberischen Maßnahmen” gefordert…
Was eine klare Lüge ist. Oder er weiß tein garnichts vom regen Schriftverkehr seines Ministeriums mit dem Justizministerium. Eigentlich müsste Schäuble wissen, dass Referenten des Justizministeriums bereits Gesetzesvorlagen für jeden einzelnen der Schäublerischen Vorschlage ausgearbeitet haben – und dass diese Gesetzesvorlagen von Zypries wieder kassiert wurden.
Nun: Ich halte wenig von Frau Zypries – und als Verfassungswächterin wird dieses Mitglied des konservativen Seeheimer Kreises ganz sicherlich versagen.
Aber noch ist es nicht soweit. Es fehlt dieser laut und wider das Grundgesetz (bzw. seinen Regelungen) herumkrakeelenden politischen Elite unseres Landes der Mut. Sie zögern.
Genau hier kann man – ganz im Rahmen unserer Rechtsordnung – bestens ansetzen. Also weiter gegen Schäuble und seine Grundgesetzfeindseligkeit Stimmung machen. Aktionen. Protest.
Ich denke tatsächlich: Das genügt. Wir sollten nicht vergessen, dass Politiker durchaus auch Angst vor dem Bürger haben. Und ebendiese Angst vor politisch aktiven, sich einmischenden Bürgern:
Diese Angst sollten wir unseren obersten Verfassungsfeinden ordentlich einjagen!
Das ist aber noch kein Widerstand im Sinne des Grundgesetzes – sondern “lediglich” die Ausübung z.B. von Meinungsfreiheit und Organisationsfreiheit.
Schäuble wird sich noch wundern – am Ende sogar über den Gegenwind aus seiner eigenen Partei. Wenn einer wie Beckstein sich gegen Schäuble positioniert: Dann wird es langsam eng. Und es wird für den Weikersheim-Unterstützer Schäuble noch viel enger.
Das sage ich voraus. Auch, wenn wir nicht locker lassen.
Juli 17th, 2007 at 22:21
Naja, bei diesem “Recht” geht es wohl eher dazu, Taten, die sich gegen ein Unrechtssystem richten, nachträglich (also, nach dem dieses Unrechtssystem erfolgreich beseitigt wurde) zu legitimieren. Widerstandskämpfer gegen Nazi-Deutschland haben eigentlich nicht rechtmäßig gehandelt (Vgl. Filbinger “Was einmal Recht war”), das wollte man wohl mit diesem Artikel regeln.
Juli 26th, 2007 at 12:12
vom Recht auf Protest sollten wir in der Tat Gebrauch machen !
Am 22. September findet in Berlin eine Demo gegen den Überwachungswahn statt. Treffpunkt für die neue Demo (ist schon die vierte) ist am 22.9. um 14:30 Uhr am Pariser Platz vor dem Brandenburger Tor unweit vom Reichstag.
https://www.freiheitstattangst.de/