s21Mindestens zwei Drittel der Deutschen lehnen den Krieg in Afghanistan ab, und zwar seit Jahren. CDU, FDP, SPD und Grüne sind dafür. Die Mehrheit der Deutschen ist für eine Vermögenssteuer, für eine Erhöhung der Erbschaftssteuer, für eine Finanzmarktsteuer. CDU und FDP sind dagegen, SPD und Grüne eventuell zum Teil dafür – in der Opposition. In der Regierung aber haben sie den deutschen Finanzmarkt erst zu dem gemacht, was er heute ist.

In allen diesen Punkten vertritt allein die Linke die Position der Mehrheit. Sie steht im übrigen für einen schnellen Atomausstieg, für eine Besserstellung von Alleinerziehenden und Geringverdienern, eine verfassungsgemäße Regelung des ALG II, den flächendeckenden Mindestlohn und viele weitere absolut mehrheitsfähige Standpunkte, im Großen und Ganzen eine Politik, wie sie die SPD zu ihren erfolgreichsten Zeiten gemacht hat. Außerdem ist sie die Partei mit dem nachdrücklichsten Entwurf zur Korruptionsbekämpfung.

Mehr als mehrheitsfähig

sr21Dies verhalf ihr zwar bislang zu sehr achtbaren Wahlergebnissen. Sie bleibt aber weit hinter ihrem Potential zurück. Im Bund wird das häufig erklärt mit einer angeblich unrealistsichen Einstellung zur Außenpolitik. Selbst wer diese zweifelhafte Ansicht teilt, kann aber mit der Anwort nicht zufrieden sein. Es ist wohl auch recht offensichtlich, daß die Lage mit einem politisch-medialen Zeitgeist zusammenhängt, der sich erst ganz allmählich – wenn überhaupt – vom Neoliberalismus löst.

Dies allein ist aber noch immer keine hinreichende Erklärung für die Präsenz bzw. das Ignorieren linker Positionen in den Medien. In bezug auf Stuttgart21 etwa gewinnt man den Eindruck, Cem Özdemir hätte höchstpersönlich die Proteste initiiert, geplant und angeführt. Die Grünen seien überdies quasi identisch mit den Gegnern des Projekts. Auch Jens Berger stellt richtigerweise fest, daß die Linken “zwar zu den entschiedensten Gegnern von S21” gehören, aber “bislang noch keinen Profit aus dem gestiegenen Interesse für den S21-Widerstand ziehen” können. Dann folgt auch er allerdings wieder der Demarkationslinie Özdemir./.Mappus.

sg21Das muß sehr viel deutlicher gemacht werden. Zum einen sind die Erklärungen der Linken zu Stuttgart21 weder wirr noch zerstritten, sondern fundiert, klar und authentisch. Zum anderen sind der Unmut über die Selbstbedienungsmentalität der Eliten und das Aufbegehren gegen die Arroganz der Kartelle originär linke Domänen. Dennoch stehen sie im Schatten derer, denen man inzwischen vieles zutrauen darf, nur keine Grundsatztreue. Dies gilt zuallererst für die Grünen. Von denen möchte ich gern wissen, ob sie in Baden-Württemberg wieder bis zum Fremdschämen “Unrechtsstaat” mit der Linken spielen wollen oder sich wenigstens dieses eine Mal mit denen verbünden, deren Politik sie derzeit verkünden.

Verändern geht anders

Die Linke muß sich sehr ernste Gedanken machen, wie sie das in der Öffentlichkeit deutlich macht, wofür sie ganz unzweifelhaft steht. Bei allem Charme der Basisdemokratie muß sie hier erwachsen, d.h. professionell werden.

Noch etwas völlig anderes wird deutlich angesichts der ungerechten Verteilung der Ernte von Stuttgart21: Der Protest hat nicht zuletzt deshalb soviel Zulauf, weil die Menschen dort eine anstehende Veränderung ablehnen. Sie kämpfen dafür, daß die alte Fassade erhalten bleibt. Jetzt kommt es darauf an, diesen Leuten klar zu machen, daß dazu gewaltige Umwälzungen notwendig sind. Man kann nicht den Bahnhof behalten und den Rest der Gemütlichkeit auch. Es muß sich etwas ändern. Und das geht nur mit denen, die wirklich etwas anderes wollen.