Auf vielfachen Wunsch und weil ich auch nicht den Eindruck erwecken möchte, es interessierte mich nicht, will ich dann doch noch einige Worte verlieren zu dem Rumble am Stuttgarter Prestigeobjekt. Zunächst einmal ist ja völlig folgerichtig, dafür zu sorgen, daß ein Bauvorhaben durchgesetzt wird, gegen das man schon jahrelang hätte opponieren können, an Ort und Stelle und in den zuständigen Gremien. Ein auch von mir hoch geschätzter Schriftsteller hat das bereits Ende der 70er Jahre auf den Punkt gebracht: Wenn die Sprengung der Erde schon 15000 Jahre lang geplant worden ist, kann es nicht angehen, daß am Tag des Vollzugs so getan wird, als sei das sei das ein Unrecht.

Die Dimensionen, von denen wir heute sprechen, sind eine Aufregung umso weniger wert. Es gab in der Geschichte der Bundesrepublik viele Protestaktionen und Demonstrationen, die einen durchaus vergleichbaren Verlauf genommen haben. Vor allem Nuklearanlagen, von Wyhl über Wackersdorf bis Kalkar wären da zu nennen, aber auch Proteste gegen weniger gefährliche Vorhaben. Tatsächlich gibt es einige gewichtige Unterschiede. Nicht ganz so wichtig wie es derzeit gemacht wird, ist dabei die Tatsache, daß es sogar in den meisten Medien zurecht der Lächerlichkeit preisgegeben wird, es handele sich bloß wieder nur um Chaoten und linke Spinner, die da auf die Straße gehen – wie generell bei früheren Demonstrationen.

Immer diese linken Spinner

hoelleEs stimmt nicht, daß die immer als “linke Spinner” geltenden Demonstranten weniger Recht gehabt hätten. Es stimmt überhaupt nicht, daß die Anlässe, aus denen sie auf die Straße gegangen sind, weniger legitim gewesen wären – im Gegenteil. Es stimmt ebensowenig, daß nicht schon immer auch ‘normale Bürger’ – dies aus Sicht eines konservativen Menschenbildes – massenhaft dabei gewesen wären. Daß dies so wahrgenommen wurde, verdankt sich einer politisch-medialen ‘Elite’, der eine solche Darstellung stets zupaß kam.

Der Hauptunterschied besteht aber darin, daß der Verdruß, der sich am Symbol “Stuttgart 21″ Bahn bricht, andere Dimensionen erreicht hat. Ich teile dabei keineswegs die Ansicht der Optimisten, es formiere sich da eine nachhaltige außerparlamentarische Opposition.
Die Geldverschwendung, die Vetternwirtschaft, das Täuschen und Tricksen, die Prestigesucht, die Sturheit und schließlich die schulterzuckende Brutalität gegen die Stampede des Stimmviehs sind allesamt Busines as usual. Das Unverständnis der Exekutive hingegen ist noch nie so groß gewesen: “Was wollen die plötzlich von uns?”

Gegen die Privatisierungsorgien der vergangenen Jahrzehnte, geplant oder vollstreckt, gab es keinen spürbaren Widerstand. Gegen die fatale Bankensubvention, verkauft als “Rettungsschirm” ebenso. Man könnte eine meterlange Liste politischer Entscheidungen anfügen, die bei weitem Schlimmeres angerichtet haben. Ein Volk, das dies alles frißt, kann keinen Aufstand gegen einen blöden Bahnhof proben. Das können nur Verschwörer sein. Linke Verschwörer, versteht sich, denn die sind nun mal die Bösen in diesem Land.

Zu oft, zu dreist, zu offensichtlich

Die Standardreaktion auf eine Standardreaktion greift aber ins Leere. Zu plötzlich, zu breit und zu heftig angesichts des Problems sind die Proteste. Zu wenige Kapuzenträger und Steinewerfer. Und dann reihen sich auch noch weichgespülte Grüne und neoliberale “Sozialdemokraten” ein. Sogar ganz und gar konservative Schwaben jenseits eines politischen Kalküls tun kund, was sie umtreibt: Sie haben die Schnauze gestrichen voll.

Ich möchte hier auf die Motive und die Seelenlage gewisser Parteigänger nicht eingehen, die sich etwas davon versprechen, volksnah aufzutreten. Ihre Taktik ist nicht entscheidend für den Protest und wird sich noch als das falsche Spiel erweisen, das sie eben ist.
Die Wut der Widerständler ist das Symptom, das dem Ganzen die Würze gibt. ‘Stuttgart 21′ ist prototypisch für die Segnungen einer ideologischen Praxis, die von Lobbyisten und Profiteuren beherrscht wird und die dem Volk erst mit Worten übers Maul fährt, um dann den Knüppel hinterher zu schieben.

Zu oft, zu dreist, zu offensichtlich und inzwischen in einem wahren Stakkato wurden Entscheidungen getroffen, die kaum mehr einen Zweifel daran lassen, daß sie Schaden mehren und wenigen nützen. So wenig Demokratie bei so viel Profit läßt sich nicht mehr als ‘alternativlos’ und rechtmäßig verkaufen. Zumindest dann nicht, wenn obendrein versäumt wird, die Massen gehörig zu spalten. Und das ist die äußerst ambivalente Essenz des begrüßenswerten Aufbegehrens: Es kann nur stattfinden, weil es einmal nicht gelungen ist, Arm gegen Ärmer, Ängstlich gegen Panisch und Dumm gegen Klug aufzuhetzen. Nur wenn das einreißt, hat solcher Protest Zukunft. Daraus lernen werden vermutlich zuerst die auf der Innenseite der Zäune.