Von allen Dampfplauderern und Dünnsuppenköchen ist Hermann Gröhe ein ganz besonders abgebrühter. Was der Mann an hohlen Floskeln raushaut, kann beim unbedarften Zuhörer ein schweres Trauma auslösen. Und selbstverständlich hat auch er die Kampagnenhupe der Stromwirtschaft im Anschlag, um jeden, der den Unterschied zwischen erneuerbaren Energien und erneuerbaren Großlügen kennt, zu übertönen. Wer gegen die Projekte der Monopolisten oder sonstige blödsinnige Riesenprojekte ist, soll als Depp dastehen, da sind sich die Industrie und ihre politischen Handlanger einig.
Ganz Große Lyrik ist allerdings der Begriff “Stimmungsdemokratie”. Ausgerechnet ein Martkschreier der Zunft, die eine stumpfinnige Meinungsumfrage nach der anderen kauft oder verdreht, um ihre “Erfolge” anzupreisen, findet es plötzlich irrelevant, was das Volk denkt. Das läßt tief blicken. Wenn die Menschen sich nicht zur Bestätigung vorgeformter Aussagen drängen lassen, sondern sich engagieren und ihrer Meinung aufs Deutlichste Ausdruck verleihen, dann sind das “Stimmungen”, denen nachzugeben “gefährlich” sei.
Klarer kann man seine Verachtung gegenüber der Demokratie und dem obersten Souverän kaum äußern. Das Volk hat nicht das Recht auf eine Meinung, schon gar nicht, wenn sie von den Plänen seiner abgehobenen ‘Stellvertreter’ abweicht. Das Volk besteht nämlich aus Wählern, und eine Wahl ist die Zustimmung zu allem, was die Gewählten fortan zu tun gedenken. Ablehnung und Kritik sind nicht vorgesehen. Und wenn die vereinigte Schlipsträgerkaste es dann fertigbringt so zu dilettieren, daß es selbst den Michel auf die Straße treibt, dann ist Ignoranz die oberste Direktive: Der Bürger hat das Maul zu halten.
“Wenn die SPD wieder mehr mit Gewerkschaftern reden würde, statt mit Grünen und Linken um Attac-Fans zu buhlen, wüsste auch sie, dass moderne Industriepolitik ein Gebot der Stunde ist – geleitet von den Interessen unserer Bevölkerung.”
Das ist Gröhes Schlußwort.
So ist das also: Hie Grüne, Linke und Attac-Fans, dort vernünftige Industriepolitik, die gleichbedeutend ist mit den “Interessen der Bevölkerung”. Die “Bevölkerung”, so lernen wir also, das sind die Vorstände und Aufsichtsräte. Alle anderen sind jene Fanatiker, die noch immer nicht verinnerlicht haben, daß “sozial ist, was Arbeit schafft”.
Fürwahr: Dieses Weltbild ist so reaktionär, daß es sich von der Stimmung im Volk auch dann nicht abhängig macht, wenn Hunderttausende auf die Straße gehen. Woher kennen wir das bloß? Die “Stimmung” ist exakt dann relevant, wenn der Bürger wiederkäut, was ihm zuvor gefüttert wurde. Denn eines lernt der organisierte deutsche Demokrat schon in der Parteijugend: Vox populi vox Rindvieh.
September 20th, 2010 at 06:44
Hm, lass’ ‘mal kurz nachdenken – die Aufgaben des Volkes:
- wählen gehen
- konsumieren
- Fernsehn guggen
War da noch ‘was?
September 20th, 2010 at 07:52
-> Vogel
- verteidigen gehen und
- arbeiten natürlich
September 20th, 2010 at 08:34
“Am 3.März dieses Jahres hat die deutsche Kanzlerin Angela Merkel in ihrer Rede zur Vorstellung des «Allensbacher Jahrbuchs der Demoskopie» deutlich gemacht, wo sie steht, wenn es um die Frage der Demokratie in Deutschland geht. Sie wandte sich, einen ehemaligen Bundespräsidenten zitierend, dagegen, «in das Volk hineinzuhorchen», sprach davon, dass bei einer Orientierung der Politik am Volkswillen «die politische Aufgabe der Führung und Konzeption zu kurz kommt», und setzte dann fort: «Aber genau deshalb bin ich auch zutiefst davon überzeugt, dass es richtig ist, dass wir eine repräsentative Demokratie und keine plebiszitäre Demokratie haben und dass uns die repräsentative Demokratie für bestimmte Zeitabschnitte die Möglichkeit gibt, Entscheidungen zu fällen, dann innerhalb dieser Zeitabschnitte auch für diese Entscheidungen zu werben und damit Meinungen zu verändern. Wir können im Rückblick auf die Geschichte der Bundesrepublik sagen, dass all die grossen Entscheidungen keine demoskopische Mehrheit hatten, als sie gefällt wurden. Die Einführung der Sozialen Marktwirtschaft, die Wiederbewaffnung, die Ostverträge, der Nato-Doppelbeschluss, das Festhalten an der Einheit, die Einführung des Euro und auch die zunehmende Übernahme von Verantwortung durch die Bundeswehr in der Welt – fast alle diese Entscheidungen sind gegen die Mehrheit der Deutschen erfolgt. Erst im nachhinein hat sich in vielen Fällen die Haltung der Deutschen verändert. Ich finde es auch vernünftig, dass sich die Bevölkerung das Ergebnis einer Massnahme erst einmal anschaut und dann ein Urteil darüber bildet. Ich glaube, das ist Ausdruck des Primats der Politik. Und an dem sollte auch festgehalten werden.»” Zitiert nach Quelle
Wenn man also mal wieder ‘Primat der Politik’ hört, weiss man jetzt wenigstens, wem gegenüber… und erinnern uns an die letzten Volksentscheide. Irgendwie funktioniert das alles nicht so richtig…
September 20th, 2010 at 09:35
@ 1 :
Fressen (Schwarz)
F*cken (Rot)
Fernsehen (Gold)
??
September 20th, 2010 at 09:59
Die Partei, die Partei, die hat immer Recht.
September 20th, 2010 at 11:27
@Klacks – durchaus. Auch Merkels oben angeführtes Demokratieverständnis könnte man ja als das einer ‘Avantgarde-Partei’ auffassen.
September 20th, 2010 at 12:02
Machiavelli – Sunzi – Lektüre für Unterdrücker.
Henry David Thoreau – Lektüre für Widerstnd.
Aber, wer liest schon solche “alten Bücher”. TV verblödet doch so schön. Da merkt man nicht wie man von oben besch… wird, da glaubt man den “Doku-Soaps”, das die Unterschicht das Übel ist.
September 20th, 2010 at 15:55
@peinhart: Aber wenigstens hat man bei all diesen Entscheidungen keine “Energiereisen” gemacht, bei denen man sich von speichelleckenden Konzernlenkern den Regenschirm halten läßt, um sich nachher mit ihnen ein geheimvertragliches Stelldichein zu leisten.
Korruption muss wieder deutlich diskreter werden!
September 20th, 2010 at 16:22
@Unbequemer
Danke.
Thoreau kannte ich noch nicht.
September 20th, 2010 at 16:56
[...] mal wieder an. Ich hab mich eine Weile nicht mit Blogs beschäftigt, aber wer ab hier zu lesen beginnt, holla die Waldfee…der Mann ist grad richtig auf [...]
September 20th, 2010 at 21:00
@ Alvar Hanso
Nun, Walden, das war das erste Buch was ich von Thoreau gelesen habe, 1972 war das. Daraufhin kaufte ich mir 1973 – Über die Pflicht zum Ungehorsam gegen den Staat.
Später habe ich erfahren, das Gandhi und auch Martin Luther King duch die Werke Thoreaus beeinflusst wurden.
Mich hat er auch beeinflusst. Positiv.
Von Strindberg – Lesebuch für die niederen Stände – wären vielleicht eine interessante Lektüre für Sie.
September 21st, 2010 at 06:25
[...] [...]
September 21st, 2010 at 08:34
[...] soll ich mir einen Wolf tippen, wenn nebenan schon alles gesagt wurde? Danke [...]
September 21st, 2010 at 12:20
Naja die CDU muss es ja wissen, alles was anders denkt als dies Schwätzer sind natürlich Feinde der Demokratie, ich frage nur ob Hermann Gröhe sich überhaupt vorstellen kann wie das Volk denkt!
September 21st, 2010 at 14:16
Da fällt mir noch ein nettes Video von 2006 ein, in dem Frau Merkel unverhohlen ihr Demokratieverständnis darlegte: https://www.youtube.com/watch?v=wcVRlzP6SQA
Zitat: “Das sind aber Dinge, über die darf man nicht diskutieren, die muß man einfach machen” (Beifall einiger lobotomisierter Zombies). Warum nur kümmert sich der Verfassungsschutz nicht um solche Leute?
Interessant finde ich auch, daß sie am Anfang der Sequenz die Kopfbewegungen von Ziehpapa Helmut imitiert.
Nachtrag: Nur mal so zum Vergleich. Aus Hitlers Rede zur Eröffnung der ‘Großen Deutschen Kunstausstellung’ im Haus der Kunst, München 1937, entnehmen wir: “Es gibt aber nun einmal kein stolzeres Dokument für das höchste Lebensrecht eines Volkes als dessen unsterbliche kulturelle Leistungen. Ich war daher auch immer entschlossen – wenn das Schicksal uns einmal die Macht geben würde -, über diese Dinge mit niemandem zu diskutieren, sondern auch hier Entscheidungen zu treffen.
Denn das Verständnis für so große Aufgaben ist nicht allen gegeben. Mit kleinen, spießerhaften Geistern aber über Probleme zu verhandeln, die sie einfach nicht verstehen, weil sie weit über ihren Horizont hinausragen, ist zwecklos.” (https://www.kunstzitate.de/bildendekunst/manifeste/nationalsozialismus/hitler_haus_der_kunst_37.htm)
Und jetzt alle so Yeah!
September 21st, 2010 at 14:53
[...] https://archiv.feynsinn.org/?p=4890 [...]
September 21st, 2010 at 15:06
@unbequemer #7
Du hast so recht, aber so isses: “Willst Du etwas Neues lernen? Schlag in alten Büchern nach!” das will keiner hören.
September 21st, 2010 at 15:19
-> unbequemer
Danke für deine Lesetipps. Das Buch über den Ungehorsam steht bei mir schon auf dem Einkaufszettel.
Oktober 2nd, 2010 at 20:42
Nur zu empfehlen wenn man wissen möchte warum das Volk so tickt wie es die Politiker/Führer gerne hätten.
Gustave Le Bon
Psychologie der Massen
…überall bestellbar für um die 5€