Autoritätsorientiert, geringqualifiziert, sucht Führer
Posted by flatter under Best of , Politik[18] Comments
14. Sep 2010 20:27
Seit einigen Tagen schon gärte in mir die Absicht, mich zu einem wohlgepflegten Irrtum zu äußern, der “konservativ” sagt und “rechtsradikal” meint. Spätestens seit der Verklärung von Sarrazins Aufguß des Rassismus aus dem frühen 20. Jahrhundert meckern heimliche Sympathisanten das angebliche Fehlen “konservativer” Werte an. Besungen werden in solchen Hauruck-Analysen stets die Unionshelden von (parteiintern) rechtsaußen, Dregger, Koch, Carstens et aleri. Daß der Filbinger nicht genannt wird, verdankt sich dem Unfall, daß er sich posthum (aus Sicht seiner Opfer) hat erwischen lassen bei der Mitwirkung an Todesurteilen. Da haben die Gutmenschen einfach ein Argument, das sticht.
Ansonsten eint die Genannten wenig, aus dem man etwas konstruieren könnte, das “konservativ” wäre oder werteorientiert. Daß die “Ausländer raus”-Mentalität, derer sie sich gern bedient haben, nicht neu ist, macht sie auch noch nicht konservativ. Dregger als Leugner der Verbrechen der Wehrmacht, der von Auschwitz nichts mehr hören wollte und Carstens als SA- und NSDAP-Mitglied wiederum stehen vielleicht für alte Zeiten, aber auch nicht wirklich für “Werte”. Der Antikommunismus der Alt-Unionisten taugt auch nicht mehr viel, dazu fehlen einfach die Kommunisten. Außerdem ist das schon Westerwelles Paranoia.
In seinem wenig erhellenden Ausfatz für die FR gelingt es Franz Walter, der auf den Zug aufgesprungen ist, daher auch nicht, allzuviele Werte zu benennen, um die es denn da gehen soll. Wenn gendefekte Araber uns völkisch verdummen oder kriminelle Ausländer abgeschoben werden sollen, wo sind da Werte? Was wird damit erhalten außer der Reinheit der Rasse?
Werte? Welche Werte?
Ein weiteres kommt hinzu, hier streift Walter immerhin eine Wurzel des schwächelnden Konservativismus: Der Niedergang vor allem der katholischen Kirche. Die hat zwar Werte zu bieten, in Form ihrer Katechismen oder Gebote. In Zeiten einer Öffentlichkeit, die auch vor vorgeblichen Autoritäten nicht halt macht, werden die aber auf das Maß der Realität gestutzt. Und da zeigt sich, daß alle die Eigenschaften, welche den Autoritäten nachgesagt wurden, frei erfunden waren. Die Pfaffen ließen es sich gefallen, als quasi heilig zu gelten. Seitdem man weiß, daß sie massenhaft Kinder vergewaltigen, funktioniert der Trick einfach nicht mehr.
Eine modernere Kirche, wie es die evangelische sein mag, hat schon das Problem, nicht starr genug an Werten festzuhalten – das ist halt der Fluch der Moderne. Und auch sie kann Autorität schlecht verkörpern, wenn die Chefin besoffen durch die Landschaft schrotet.
Einen ganz wunderbaren Hinweis gibt Franz Walter allerdings, der mitten hinein zeigt in des Pudels Kern: Er verweist auf die “autoritätsorientierten Geringqualifizierten“. Ob sie geringqualifiziert sein müssen, sei dahingestellt, jedenfalls steht ein wacher Geist der Autoriätsfixierung tendenziell mächtig im Weg. Es geht ums Führerprinzip. Das hat mit Werten überhaupt nur soviel zu tun, als daß es sich um Befehlsinstanzen handelt. Eine unumstößliche Norm oder ein diktatorischer Führer lassen keine Diskussion zu. Das ist es, was sich mancher wieder wünscht.
Die Werte gehen zuerst über Bord
Dabei gehen die Werte zuerst über Bord, allen voran die grundlegenden, auf denen eine demokratische Kultur nur beruhen kann. Die Koketterie mit der Abschaffung der Menschenrechte findet gemeinhin den konsensfähigen Kanal, irgendwen abzuschieben oder zu bestrafen, der es halt verdient hat oder nicht in die Gemeinschaft gehört. Auf der anderen Seite werden Führerfiguren gesucht, an deren Lippen man hängen kann und die qua Person immer recht haben. Helmut Schmidt ist zum Beispiel so einer. Der Mann, der sogar in der Kirche quarzt und darauf pfeift, was andere davon halten, kennt nur eine Meinung, nämlich seine. Mit Werten hat das freilich herzlich wenig zu tun. Aber einfach ist das. Du bist für ihn oder gegen uns.
Die Erkenntnis, daß Werte eben nicht von Gott gegeben sind, sondern ausgehandelt wurden, sich entwickelt haben und einer Atmosphäre der Zustimmung bedürfen, in der sie gelten, macht es eben schwer, “konservativ” zu sein, wenn auf der anderen Seite im Zweifelsfall der mit dem Geld bestimmt, was erlaubt ist und was nicht. Werte, das sind Euro, Cent und Dollar. Alles andere steht zur Disposition.
Zum Schluß noch einmal: Wer konservativ oder werteorientiert ist, wird sich in erster Linie Sorgen machen um Menschenrechte und Menschenwürde. Die sind vor allem da in Gefahr, wo jene wüten, die uns als “Konservative” verkauft werden. Weil es ihnen nicht um verhandelbare soziale Normen geht, sondern um die Struktur von Befehl und Gehorsam, Volk und Feind, Mitmachen und Aussondern. Sie beschwören nichts anderes als den Geist der Diktatur.
September 14th, 2010 at 20:50
Der Beitrag erweckt bei mir den Eindruck – Werte – das Sie diese Meldung gelesen haben:
https://www.faz.net/s/Rub31A20177863E45B189A541403543256D/Doc~E4F593E7F801C4287BB0523539E6AA3EA~ATpl~Ecommon~Scontent.html
Wulff diktierte der Bundesbank die Bedingungen
Die Einflussnahme des Bundespräsidenten auf die Bundesbank ging in der Affäre um Thilo Sarrazin weiter als bekannt. Die Verhandlungen über die Bedingungen für den Rücktritt von Sarrazin wurden offenbar allein von Vertretern des Bundespräsidenten geführt, heißt es im Umfeld der Bundesbank.
September 14th, 2010 at 21:01
Nö, das hat damit absolut nichts zu tun.
September 14th, 2010 at 21:14
Das müsste eigentl. jeden Tag in der Tagesschau vorgelesen werden. Freiwillig. Geht wohl nicht?!
September 14th, 2010 at 22:40
Öhmmm. Icke bin z.B. konservativ. Ich mag Demokratie. Ich mag Meinungsfreiheit. Ich mag soziales Miteinander. Ich mag Vielfalt. Ich mag Menschenrechte. Ich mag eigentlich überhaupt Menschen. Das …. würde ich gerne konservieren.
Bei den “C”onservativen war das mal son Ding mit dem Christentum. Aber ok. Die christliche Händlerseele war eben schneller ;-) Eigentlich bei allen. Nu isses die Progression der Konservierung von Profitinteressen. Das ist wie die verzweifelte Suche der CDU nach der Moderne, die sie selber schon rechts überholt hat, ohne zu merken dass sie den Mastdarm schon auf der Nase liegen hat.
September 14th, 2010 at 23:05
Also, das Konservativ-Sein, welches wohl dieser Tage gemeint ist, kommt in dem vor, was Adorno das “sese conservare” nannte, die Selbsterhaltung. Steinbach, Sarrazin und allen, die mindestens so rechts sind wie die beiden, geht es um Selbsterhaltung, um die Erhaltung ihrer Pfründe und ihres verquasten Denkens, das kein Denken nicht ist.
September 15th, 2010 at 03:08
klaus baum meint:
September 14th, 2010 at 23:05 “geht es um Selbsterhaltung, um die Erhaltung ihrer Pfründe “..
Also handelt es sich bei diesen Leute um ganz ordinäte MEHRPRODUKTVERZEHRER(MARX), die solche bis zu ihrem endgültigen Abgang auch bleiben wollen, oder anders gesagt: Parasiten einer Ausbeuterordung!
Und von solchen Gestalten soll man sich “Diskurse” aufzwingen lassen, gar die Richtung des Denkens?
Nur ein MINIMUM an Geschichtsbewusstsein, Geschichtverständnis, und alle diese parasitären Schwatzblasen lösen sich in Luft auf!
September 15th, 2010 at 06:02
@Bakunin #6
[i]Nur ein MINIMUM an Geschichtsbewusstsein, Geschichtverständnis, und alle diese parasitären Schwatzblasen lösen sich in Luft auf![/i]
Warum werden dann Merkel, Koch, Gabriel usw. gewählt?
Läuft gegen Rezzo Schlauch schon ein Ausschluss-Antrag im Vorstand der Grünen oder wird der als ‘Schläfer’ geführt?
September 15th, 2010 at 09:25
“Ob sie geringqualifiziert sein müssen, sei dahingestellt, jedenfalls steht ein wacher Geist der Autoriätsfixierung tendenziell mächtig im Weg.”
Aber auch nur tendenziell. Es ist mE die abstiegsbedrohte Mittelschicht, die hier besonders ‘gefährdet’ ist, weniger die berühmten ‘Geringqualifizierten’. Das kann man mE auch an der verheerenden Reaktion der SPD-Basis festmachen, die von dieser Klientel weitgehend verlassen worden sein dürfte, während mittlere Angestellte und vor allem Beamte geblieben sind. Siehe auch diesen Beitrag zur Diskussion. Ansonsten volle Zustimmung – der einzige ‘Wert’ den diese angeblich Konservativen kennen, ist die ‘Verwertung’. Deshalb stehen sie ja auch seit Strauss ‘an der Spitze des Fortschritts’…
September 15th, 2010 at 09:53
Und wenn sie doch noch vermeintliche ‘Werte’ entdecken, dann solche, die wiederum zur Ausgrenzung dienlich wären – von Menschen wohlgemerkt, nicht anderen Werten:
“In den letzten 20 Jahren debattierten wir über Lesbenglück, schwule Paare mit Kind, Versorgungsrechte in einer Patchwork-Familie. Die konservative Familie haben wir vergessen. Alles war besser als konservativ. Was für ein Fehler.”
Franz-Josef Wagner am Dienstag in der Bild-Zeitung
September 15th, 2010 at 09:54
Ach, der Wagner. Den ignorier nich nicht mal.
September 15th, 2010 at 10:50
Andreas Kreuz meint:
September 15th, 2010 at 06:02
@Bakunin #6
[i]Nur ein MINIMUM an Geschichtsbewusstsein, Geschichtverständnis, und alle diese parasitären Schwatzblasen lösen sich in Luft auf![/i]
“Warum werden dann Merkel, Koch, Gabriel usw. gewählt?”
Man sollte da zunächst weniger nach dem WARUM fragen als vielmehr nach dem WER!
Und wer wählt diese Gestalten immer und immer wieder seit 60 Jahren so unerbittlich?
Zahlenmäßig betrachtet vor allem unsere “Mittelschichten” und alle, die meinen, irgendwie auch dazuzugehören, darunter leider noch immer eine Menge jener vor allem gewerkschaftlich organisierten Lohnknechte, die noch unbefristet Normaltariflöhner mit unbefristeten Arbeitsplätzen sind, deren Stimmen bei Krisen und drohenden Entlassungen sogar mit Kurzarbeitergeld gekauft werdem, und die deshalb noch immer froh und vor allem ganz stolz darauf sind, keine “Hartz4ler”, keine “Sozialschmarotzer”, keine “nur” Leiharbeiter zu sein. Und natürlich – wie könnte es auch anders sein? – stramm und geschlossen bis auf wenige Ausnahmen die gesamte deutschen “mitbestimmende” und so vom Kapital “inkorporierte” d.h. gekaufte Gewerkschaftsbürokratie!
Also zusammengefasst: Alle Menschen, von ganz OBEN bis hinunter in die Lohnarbeiterschaft und deren verbürokratisierte Vertreterschaft, die noch von dieser Ausbeuterordnung mehr oder weniger profitieren, wählen, ganz nach rein persönlichen(!) Geschmack Merkel, Seehofer, Gabriel, Westerwelle oder C. Roth – zur Zeit noch etwa 52% aller Wahlberechtigten.
Ist deine Frage damit ausreichend beantwortet?
Das SEIN bestimmt eben noch immer das Bewusstsein!!!
September 15th, 2010 at 10:53
flatter meint:
September 15th, 2010 at 09:54
“Ach, der Wagner. Den ignorier nich nicht mal.”
Ist das der, der manchmal als der “Gossen-Goethe” von BILD bezeichnet wird?
September 15th, 2010 at 11:05
“Den ignorier ich nicht mal.”
Das hätte eigentlich auch mit Sarrazin passieren müssen, aber – tja.
September 15th, 2010 at 11:11
Andreas Kreuz meint:
“Läuft gegen Rezzo Schlauch schon ein Ausschluss-Antrag im Vorstand der Grünen oder wird der als ‘Schläfer’ geführt?”
Wieso das? Weil er als “Grüner” so unansehlich fett und feist augdunsen ist, das ihn eine rein “ökologisch” betreibene Landwirtschaft schon gar nicht mehr sättigen könnte?
Oder rülpst er schon aufgrund seiner Verfettung zuviel von diesem schädlichen Gas aus(ähnlich den Kühen), so das auf Parteitagen der “Grünen” die übrigen Delegierten schon Atemnot bekommen?
Irgend ein Haken muss es jedenfalls geben mit diesem fetten grünen Durchlauf-Schlauch!
September 15th, 2010 at 21:10
Guter Artikel; habe ehrlich gesagt nie darüber nachgedacht, wenn mal wieder über die “Werte”, “Leitkultur” und dergleichen geschwafelt wurde und wird, was das eigentlich sein soll…
So mancher “politisch Inkorrekte” würde sich nämlich ziemlich umgucken wieder in den 50er Jahren leben zu müssen; ohne YouPorn, Samstags in die Schule gehen etc.
September 15th, 2010 at 21:42
Vielen Dank, flatter, mir iss einiges klargeworden. Man meint rechtsradikal und sagt konservativ – warum kommt man da nich selber drauf?
September 15th, 2010 at 21:45
@ Benjamin #15
kannste Dich da auch noch dran erinnern? Samstags, 4 Std., bis 11:30 h unn dann direkt vonne Schule zur Fabrik, Vater abholen (so war’s bei mir). Scheiß Zeit! Unn heute? Was iss eigentlich besser?
September 16th, 2010 at 14:04
Der Verweis auf die “autoritätsorientierten Geringqualifizierten” (gemeint sind vor allem Rentner) ist vor dem Hintergrund der Integrationsdebatte auch interessant: in der Integrations-Debatte sind die Geringqualifizierten ja schließlich alles radikale türkische Moslems und potentielle Terroristen. Ich glaube kaum, dass das das Klientel für eine konservative Strömung a la Alfred Dregger ist. Oder sind die jetzt gar nicht gemeint, weil konservative Parteien nur was für “Deutsche” (Rentner) sind?