Seit einigen Tagen schon gärte in mir die Absicht, mich zu einem wohlgepflegten Irrtum zu äußern, der “konservativ” sagt und “rechtsradikal” meint. Spätestens seit der Verklärung von Sarrazins Aufguß des Rassismus aus dem frühen 20. Jahrhundert meckern heimliche Sympathisanten das angebliche Fehlen “konservativer” Werte an. Besungen werden in solchen Hauruck-Analysen stets die Unionshelden von (parteiintern) rechtsaußen, Dregger, Koch, Carstens et aleri. Daß der Filbinger nicht genannt wird, verdankt sich dem Unfall, daß er sich posthum (aus Sicht seiner Opfer) hat erwischen lassen bei der Mitwirkung an Todesurteilen. Da haben die Gutmenschen einfach ein Argument, das sticht.

Ansonsten eint die Genannten wenig, aus dem man etwas konstruieren könnte, das “konservativ” wäre oder werteorientiert. Daß die “Ausländer raus”-Mentalität, derer sie sich gern bedient haben, nicht neu ist, macht sie auch noch nicht konservativ. Dregger als Leugner der Verbrechen der Wehrmacht, der von Auschwitz nichts mehr hören wollte und Carstens als SA- und NSDAP-Mitglied wiederum stehen vielleicht für alte Zeiten, aber auch nicht wirklich für “Werte”. Der Antikommunismus der Alt-Unionisten taugt auch nicht mehr viel, dazu fehlen einfach die Kommunisten. Außerdem ist das schon Westerwelles Paranoia.

In seinem wenig erhellenden Ausfatz für die FR gelingt es Franz Walter, der auf den Zug aufgesprungen ist, daher auch nicht, allzuviele Werte zu benennen, um die es denn da gehen soll. Wenn gendefekte Araber uns völkisch verdummen oder kriminelle Ausländer abgeschoben werden sollen, wo sind da Werte? Was wird damit erhalten außer der Reinheit der Rasse?

Werte? Welche Werte?

Ein weiteres kommt hinzu, hier streift Walter immerhin eine Wurzel des schwächelnden Konservativismus: Der Niedergang vor allem der katholischen Kirche. Die hat zwar Werte zu bieten, in Form ihrer Katechismen oder Gebote. In Zeiten einer Öffentlichkeit, die auch vor vorgeblichen Autoritäten nicht halt macht, werden die aber auf das Maß der Realität gestutzt. Und da zeigt sich, daß alle die Eigenschaften, welche den Autoritäten nachgesagt wurden, frei erfunden waren. Die Pfaffen ließen es sich gefallen, als quasi heilig zu gelten. Seitdem man weiß, daß sie massenhaft Kinder vergewaltigen, funktioniert der Trick einfach nicht mehr.

Eine modernere Kirche, wie es die evangelische sein mag, hat schon das Problem, nicht starr genug an Werten festzuhalten – das ist halt der Fluch der Moderne. Und auch sie kann Autorität schlecht verkörpern, wenn die Chefin besoffen durch die Landschaft schrotet.

Einen ganz wunderbaren Hinweis gibt Franz Walter allerdings, der mitten hinein zeigt in des Pudels Kern: Er verweist auf die “autoritätsorientierten Geringqualifizierten“. Ob sie geringqualifiziert sein müssen, sei dahingestellt, jedenfalls steht ein wacher Geist der Autoriätsfixierung tendenziell mächtig im Weg. Es geht ums Führerprinzip. Das hat mit Werten überhaupt nur soviel zu tun, als daß es sich um Befehlsinstanzen handelt. Eine unumstößliche Norm oder ein diktatorischer Führer lassen keine Diskussion zu. Das ist es, was sich mancher wieder wünscht.

Die Werte gehen zuerst über Bord

Dabei gehen die Werte zuerst über Bord, allen voran die grundlegenden, auf denen eine demokratische Kultur nur beruhen kann. Die Koketterie mit der Abschaffung der Menschenrechte findet gemeinhin den konsensfähigen Kanal, irgendwen abzuschieben oder zu bestrafen, der es halt verdient hat oder nicht in die Gemeinschaft gehört. Auf der anderen Seite werden Führerfiguren gesucht, an deren Lippen man hängen kann und die qua Person immer recht haben. Helmut Schmidt ist zum Beispiel so einer. Der Mann, der sogar in der Kirche quarzt und darauf pfeift, was andere davon halten, kennt nur eine Meinung, nämlich seine. Mit Werten hat das freilich herzlich wenig zu tun. Aber einfach ist das. Du bist für ihn oder gegen uns.

Die Erkenntnis, daß Werte eben nicht von Gott gegeben sind, sondern ausgehandelt wurden, sich entwickelt haben und einer Atmosphäre der Zustimmung bedürfen, in der sie gelten, macht es eben schwer, “konservativ” zu sein, wenn auf der anderen Seite im Zweifelsfall der mit dem Geld bestimmt, was erlaubt ist und was nicht. Werte, das sind Euro, Cent und Dollar. Alles andere steht zur Disposition.

Zum Schluß noch einmal: Wer konservativ oder werteorientiert ist, wird sich in erster Linie Sorgen machen um Menschenrechte und Menschenwürde. Die sind vor allem da in Gefahr, wo jene wüten, die uns als “Konservative” verkauft werden. Weil es ihnen nicht um verhandelbare soziale Normen geht, sondern um die Struktur von Befehl und Gehorsam, Volk und Feind, Mitmachen und Aussondern. Sie beschwören nichts anderes als den Geist der Diktatur.