Das aktuelle revolutionäre Subjekt, Prekariat oder auch schlicht die Unterschicht beschreibt Franz Walter in SpOn. Er stellt fest, daß im Pool der Abgehängten die Bereitschaft zur Gewalt steigt:
“Schon jetzt findet es ein Viertel der modernen Unterschichtangehörigen – im krassen Unterschied zu den eingehegten traditionellen Arbeiterschichten der altbundesdeutschen Industriegesellschaft – keineswegs verwerflich, Gewalt beim Verfolgen der eigenen Interessen einzusetzen.”
Die Warnung vor “Krawall” ist berechtigt, zumal auch in Deutschland bereits derartige Tendenzen deutlich sichtbar werden. Nicht nur in vereinzelten Pogromen, auch und gerade die vor allem von Jugendlichen gepflegten Revierbehauptungskämpfe in den Großstädten bringen ähnliche Verhaltensstrategien ans Zwielicht wie in den Banlieues, wenngleich bislang noch weniger nachhatig und öffentlichkeitswirksam. Was auffällt, ist, daß diese Menschen nicht nur zum Extremismus gedrängt werden, da ihnen von den etablierten Parteien (mit ausnahme der “Linken”) keine Angebote mehr gemacht werden, sondern, daß auch umgekehrt die politische Linke, so sie sich dieses Klientels annimmt, genau deshalb als “extremistisch” gebrandmarkt wird.
Es sieht auch sehr schwierig aus, und hier leistet die Soziologie gerade den Simpeln traurige Schützenhilfe, die sie hernach kritisert. Und das geht so:
“Zur Underclass zählen sie diejenigen mit einem Nettoeinkommen unter 600 Euro, einer geringstufigen Schulbildung und der soziokulturellen Entkopplung von den Möglichkeiten der Mehrheitsgesellschaft.” (Franz Walter)
So sehr ich seine Artikel schätze, hier rutscht er auf der Prophezeiung aus, die er selbst aus der Schublade zieht. Diese Definition der “Underclass” ist nämlich Resultat einer ideologisch instrumentalisierten Statistik. Die “klassichen” Unterschichten hatten eine physikalische Realität. Sie fand man in Stadtteilen, sie repräsentierten sich in Parteien, man fand sie auf den Volks-und Hauptschulen, von wo aus sie sich aber immer noch aufmachen konnten, um die Welt zu erobern.
Heute geht das schon aus Gründen der Betrachtung nicht mehr. Wer aus einer Familie von asozialen Säufern kommt und trotzdem das Gymnasium schafft (das kann das System ja nicht immer verhindern), fällt aus der Statistik heraus. Wer gut verdient, weil er eine gewinnbringende Idee hat, für die kein höherer Schulabschluß nötig ist, ist ebenfalls aus dem Rennen. Wer unterschichtsuntypische Interessen hat und sich womöglich freiwillig bildet, gehört auch nicht mehr dazu. Als Definitionsmenge bleiben also nur die hochqualifiziert Faulen, die unbeirrbar Asozialen und die chancenlosen Habenichtse übrig. Diese nur in der Statistik existierende “Schicht” wiederum wird seit Schröder zum Adressaten gemacht für den Haß und die Angst der Aufgestiegenen vor denen, die sie zurücklassen mußten. Sie sind das Objekt der Verachtung jener, die es nicht nötig haben, sich um Fürsorge zu kümmern, weil sie sonst ihren Fetisch “Eigennutz” nicht mehr rechtfertigen können. So weit, so schlecht.
Aber selbst dort, wo sich “Unterschicht” ob fehlender Integration in die Gesellschaft des eigenen Landes (dessen “Volk” sie sind) und ob fehlender Infrastruktur wieder physikalisch bildet, macht sich niemand auf und versucht, diese Leute abzuholen. Sie werden vielmehr marginalisiert, ignoriert und vielleicht, als Gipfel der Aufmerksamkeit, überwacht.
Muß man Angst davor haben, daß diese Menschen gewalttätig werden? Als Blutsdeutscher nicht wirklich. Muß man überhaupt Angst vor ihnen haben? Ja. Denn sie könnten schon bei der nächsten Wahl das tun, was man ihnen am wenigsten zutraut: Wählen. Then panic!