Vielleicht liegt ein Grundmißverständnis von ‘Gutmenschen’ darin, daß ihnen ein Wesenszug fehlt, der andererseits weit verbreitet ist. Der Begriff “Gutmenschen”, eine gern gebrauchte Vokabel in rechtsradikalen Kreisen, belegt schon alle diejenigen, die sich nicht der Hatz gegen einzelne Bevölkerungsgruppen anschließen mögen. Verklammert wird er stets mit Stereotypen von naiven, verweichlichten und völlig weltfremden Figuren, die selbst Kinderschänder liebhaben, wenn man denen nur ansieht, daß sie einer ‘Fremdrasse’ angehören.

Es mag dementgegen aber durchaus eine Form des Gutmenschentums geben, dem vor allem Linke (wenn auch wahrlich nicht alle) anheim gefallen sein dürften, ein Phänomen, das gewisse Vorstellungen und Denkprozesse erschwert: Es ist die völlige Unfähigkeit, die Lust an der Verfolgung von Menschen nachzuvollziehen. Der elementare Sadismus, der nach Strafe giert und ‘Täter’ braucht, um ‘schuldige’ Opfer quälen zu dürfen.

Keine Diskussion um die Folgen kriminellen oder sonstwie schadhaften Verhaltens, ohne daß schärfere Strafen verlangt werden. Kein Kapitalverbrechen, ohne das jemand nach der Todesstrafe schreit. Dabei spielen Argumente gar keine Rolle, die ohnehin seit Jahrzehnten dieselben sind. Die “Diskussion” erfüllt per se schon den Hauptzweck, umso besser, je unsachlicher und aggressiver sie geführt wird. Es werden wenigstens verbal die schlimmsten Vergehen zelebriert, wiederholt und en Detail besungen, denen dann noch einmal mit der Grausamkeit der Strafe begegnet werden muß.

Was sich da Bahn bricht, hat Freud in “Das Unbehagen in der Kultur” treffend umschrieben. Ein Aufsatz, den ich immer wieder empfehlen kann. An dieser Stelle geht es mir aber nicht um eine Analyse des Phänomens, sondern um ein Empfinden, das dem beikommt. Was ist das für ein Gefühl, sich lustvoll vorzustellen, wie die Rache am Delinquenten vollzogen wird? Was ist das für ein Vergnügen, Menschen zu ächten und sie der Verfolgung anheim zu stellen? Wenn ich sehe, wie sich immer wieder Leute eifernd dafür engagieren, daß man anderen an den Kragen geht, fehlt mir jeder Zugang zu dieser Haltung.

Ich muß dennoch zur Kenntnis nehmen, daß dem eben so ist. Und komme zu dem Schluß, daß alles Argumentieren im Umkreis dieser Spielform der Aggression vergeblich bleiben muß. Einer Aggression, der sich jeder spontan anschließen kann, der ähnliche Neigungen hegt. Alles, was es braucht, ist die halbwegs funktionierende Definition einer Gruppe von Menschen und eine Schuld, die man ihnen zuweist. Damit geht alles, von verbal geäußerter Verachtung bis zum Genozid. Da hilft dann auch kein Lamentieren mehr, da gibt es nur noch ein unbeugsames “Nein!”, ein kultiviertes Tabu. Wer daran rüttelt, will zurück zur Barbarei.