Nachrufe werden geschrieben. Das ist nicht einfach, wenn über Tote nur Gutes zu sagen ist, wie Reinhard Mohr meint. Er geht trotzdem zu weit, denn ein toter Nazi bleibt ein Nazi. Der Nachrufer mag ja betonen, daß Filbinger noch etwas anderes war und sich nach dem Krieg diese und jene Meriten verdient hat. Aber jemanden, der 1933 schon Nazi war und wenige Tage vor Kriegsende noch an einem Todesurteil “mitgewirkt”, es unterschrieben hat, einen “Mitläufer” zu nennen, wirft ein Problem auf: Wer soll denn dann noch ein echter Nazi gewesen sein?
Und dann dieses windelweiche Blabla: “Er hat, wie hier und da bezeugt wird, sogar versucht zu helfen und zu mildern.” Hier und da wird bezeugt, und das nennt der “Spiegel” Journalismus. “Versucht zu helfen” – hat wohl nicht so geklappt, irgendwie mußte er dann doch junge Männer an den Galgen bringen. “Zu mildern” – Ja, unter Filbinger war der Tod sicher sanft und mild.
Schwamm drüber. Ich wollte schon abschließend fordern, sie sollten Mohr keine Nachrufe mehr schreiben lassen, weil er das auch nicht kann. Aber wenn man sich den Laden so anguckt: Wer kann da überhaupt noch etwas?
April 3rd, 2007 at 00:32
“ein Teil des deutschen Dramas”
Hach, der Herr Mohr, ein Drama aber auch.
April 3rd, 2007 at 00:32
“ein Teil des deutschen Dramas”
Hach, der Herr Mohr, ein Drama aber auch.
April 3rd, 2007 at 12:55
Was die Spiegelkritik angeht: volle Zustimmung.
Bei Filbinger will mir der Nazi aber nicht so leicht über die Lippen kommen. Mangelnde Einsicht in persönliche Schuld: ja, zweifellos. Aber Nazi? Wenn man das sagt, waren wirklich alle Deutschen Nazis, bis auf die Widerstandskämpfer. Vielleicht war das ja so. Aber vielleicht war es auch etwas komplizierter.
Dass Filbinger ein Nazi war, ist, nach heutigem Kenntnisstand, eher unwahrscheinlich. Er war wohl nicht einmal, wie so viele, ein stromlinienförmiger Karrierist.
Von ihm sind jedenfalls keine Denkschriften an das Reichssicherheitshauptamt überliefert, die etwa den Satz, “Ich brauche keine Grundrechte, mein Grundrecht ist der Wille des Führers!”, enthalten und dem eigenen Fortkommen dienen sollten. Von Theodor Maunz, einem der profiliertesten Grundgesetzkommentatoren nach dem Kriege, dagegen schon.
Auch die Dissertation widmete Filbinger ausdrücklich nicht einem typisch nationalsozialistischen Thema, wie etwa der dmals gerade sehr in Mode gekommenen Forderung nach einem tätertyporientierten Strafrecht – was er ja hätte machen können.
Sein Thema war ausgesprochen antinazi: es handelte es sich um Zivilrecht, aber nicht um das der Kieler Schule, die ein neues nationalsozialistisches Volksrecht, welches das BGB ablösen sollte, im Sinn hatte. Bei Filbinger ging es um ganz altmodisches Gesellschaftsrecht.
An den Todesurteilen, an denen er mitwirkte, gibt es nichts zu beschönigen. Auch wenn nur ein einziges, das gegen den Matrosen Gröger, vollstreckt wurde – wobei Filbinger in diesem Verfahren gar nicht Richter, sondern Anklagevertreter und insoweit ohnehin weisungsbunden war.
Ein Widerstandskämpfer war Filbinger sicher nicht. Aber durch Verfahrensverzögerungen in anderen Fällen gelang es ihm immerhin, Todesurteile zu verhindern. Das sollte man auch in Rechnung stellen, wenn man dem Mann gerecht werden will.
Filbingers Wort, “Was damals Recht war, kann heute nicht Unrecht sein”, war gleichwohl unsinnige Selbstentlastung, selbst wenn man es, wie Filbinger, auf das Militärstrafrecht des Jahres 1872 bezieht.
Interssanterweise scheint in der Rede vom pauschalen Nicht-sein-können schon vieles von dem hervor, was heute in der gängigen Formel, “es kann nicht sein, dass…”, seinen geschwätzigen Ausdruck gefunden hat.
Für so manchen, der jetzt noch einmal nachtritt, besteht also wenig Grund zu moralischer Überlegenheit.
Zum Schluss noch eine Zahl, die sehr deutlich die zeitgeschichtliche Epoche charakterisiert, von der wir hier sprechen:
Während der zwölf Jahre nationalsozialistischer Herrschaft wurden durch deutsche Straf- und Mitlitärstrafgerichte wieviele Todesurteile verhängt?
(Das wäre doch mal eine schöne Millionenfrage für Günter Jauch und die anderen Quizidioten.)
… (denk…)
… (schätz…)
… (rat…)
Antwort:
knapp fünfzigtausend.
Fünfzigtausend!
Fünf-zig-tau-send!
Das macht im Schnitt zehn. Pro Tag.
Während der Weimarer Republik war es etwa eines. Pro Woche.
Das war für sich genommen auch schon sehr viel, aber es ist nichts, buchstäblich nichts, gegen zehn pro Tag.
Zehn Todesurteile pro Tag im Durchschnitt der zwölf Jahre währenden Hitler-Herrschaft, fünfzigtausend insgesamt. Der Jurist Uwe Wesel, dessen Buch, “Die Geschichte des Rechts”, ich diese Zahlen entnommen habe, nennt diesen Anstieg, selbst betroffen und wie benommen von der unglaublichen Zahl, eine “Katastrophe”.
Das war es auch: eine Katastrophe des Rechts, die totale Niederlage jeder auch nur halbwegs an humanen Maßstäben orientierten Rechtsprechung.
Zum Vergleich: die kaiserlichen Kriegsgerichte hatten im Ersten Weltkrieg gerade mal 150 Todesurteile gegen Deserteure verhängt, 48 davon waren vollstreckt worden.
Die amerikanische Militärjustiz verhängte während des gesamten Zweiten Weltkrieges 146 Todesurteile, davon ein einziges wegen Fahnenflucht.
Großbritannien verhängte gar keines.
Deutschland – man kann die Zahl nicht oft genug wiederholen – fünfzigtausend!
Im Länderspiel Nazi-Deutschland gegen den Rest der Welt steht es also fünfzigtausend zu hundertachtundvierzig zu null! Das soll uns erst mal einer nachmachen!
Wobei cirka siebzehntausend auf die allgemeine Strafgerichtsbarkeit und etwa zweiunddreißigtausend auf die Militärstrafgerichtsbarkeit entfielen. Wovon wiederum knapp zweiundzwanzigtausend wegen Fahnenflucht ergingen.
Die meisten dieser Urteile wurden auch vollstreckt.
Wohlgemerkt: es handelt sich hier nur um die Todesurteile, die im justizförmmigen Verfahren ausgesprochen wurden. Von den unzähligen Tötungen in Gestapo-Haft, in Arbeits- und Konzentrationslagern bis hin zum millionenfachen Mord an den Juden in Vernichtungslagern ist hier nicht die Rede.
All das mildert nichts ab an dem, was Filbinger an Schuld und Verstrickung auf sich geladen hat. Aber es verdeutlicht die ungeheuerliche Gewalt des nationalsozialischen Staates, der “brachial” (ein Lieblingswort Hitlers) mit allen aufräumte oder jedenfalls jederzeit und bis zuletzt aufräumen konnte, die sich ihm in den Weg stellten. In dieser Höllenmaschinerie war Filbinger mal Rädchen, mal Sand im Getriebe. Agitator war er nicht!
PS.: Paul Watzlawick ist übrigens auch gestorben. Und das halte ich immer noch für die wichtigere Meldung.
April 3rd, 2007 at 12:55
Was die Spiegelkritik angeht: volle Zustimmung.
Bei Filbinger will mir der Nazi aber nicht so leicht über die Lippen kommen. Mangelnde Einsicht in persönliche Schuld: ja, zweifellos. Aber Nazi? Wenn man das sagt, waren wirklich alle Deutschen Nazis, bis auf die Widerstandskämpfer. Vielleicht war das ja so. Aber vielleicht war es auch etwas komplizierter.
Dass Filbinger ein Nazi war, ist, nach heutigem Kenntnisstand, eher unwahrscheinlich. Er war wohl nicht einmal, wie so viele, ein stromlinienförmiger Karrierist.
Von ihm sind jedenfalls keine Denkschriften an das Reichssicherheitshauptamt überliefert, die etwa den Satz, “Ich brauche keine Grundrechte, mein Grundrecht ist der Wille des Führers!”, enthalten und dem eigenen Fortkommen dienen sollten. Von Theodor Maunz, einem der profiliertesten Grundgesetzkommentatoren nach dem Kriege, dagegen schon.
Auch die Dissertation widmete Filbinger ausdrücklich nicht einem typisch nationalsozialistischen Thema, wie etwa der dmals gerade sehr in Mode gekommenen Forderung nach einem tätertyporientierten Strafrecht – was er ja hätte machen können.
Sein Thema war ausgesprochen antinazi: es handelte es sich um Zivilrecht, aber nicht um das der Kieler Schule, die ein neues nationalsozialistisches Volksrecht, welches das BGB ablösen sollte, im Sinn hatte. Bei Filbinger ging es um ganz altmodisches Gesellschaftsrecht.
An den Todesurteilen, an denen er mitwirkte, gibt es nichts zu beschönigen. Auch wenn nur ein einziges, das gegen den Matrosen Gröger, vollstreckt wurde – wobei Filbinger in diesem Verfahren gar nicht Richter, sondern Anklagevertreter und insoweit ohnehin weisungsbunden war.
Ein Widerstandskämpfer war Filbinger sicher nicht. Aber durch Verfahrensverzögerungen in anderen Fällen gelang es ihm immerhin, Todesurteile zu verhindern. Das sollte man auch in Rechnung stellen, wenn man dem Mann gerecht werden will.
Filbingers Wort, “Was damals Recht war, kann heute nicht Unrecht sein”, war gleichwohl unsinnige Selbstentlastung, selbst wenn man es, wie Filbinger, auf das Militärstrafrecht des Jahres 1872 bezieht.
Interssanterweise scheint in der Rede vom pauschalen Nicht-sein-können schon vieles von dem hervor, was heute in der gängigen Formel, “es kann nicht sein, dass…”, seinen geschwätzigen Ausdruck gefunden hat.
Für so manchen, der jetzt noch einmal nachtritt, besteht also wenig Grund zu moralischer Überlegenheit.
Zum Schluss noch eine Zahl, die sehr deutlich die zeitgeschichtliche Epoche charakterisiert, von der wir hier sprechen:
Während der zwölf Jahre nationalsozialistischer Herrschaft wurden durch deutsche Straf- und Mitlitärstrafgerichte wieviele Todesurteile verhängt?
(Das wäre doch mal eine schöne Millionenfrage für Günter Jauch und die anderen Quizidioten.)
… (denk…)
… (schätz…)
… (rat…)
Antwort:
knapp fünfzigtausend.
Fünfzigtausend!
Fünf-zig-tau-send!
Das macht im Schnitt zehn. Pro Tag.
Während der Weimarer Republik war es etwa eines. Pro Woche.
Das war für sich genommen auch schon sehr viel, aber es ist nichts, buchstäblich nichts, gegen zehn pro Tag.
Zehn Todesurteile pro Tag im Durchschnitt der zwölf Jahre währenden Hitler-Herrschaft, fünfzigtausend insgesamt. Der Jurist Uwe Wesel, dessen Buch, “Die Geschichte des Rechts”, ich diese Zahlen entnommen habe, nennt diesen Anstieg, selbst betroffen und wie benommen von der unglaublichen Zahl, eine “Katastrophe”.
Das war es auch: eine Katastrophe des Rechts, die totale Niederlage jeder auch nur halbwegs an humanen Maßstäben orientierten Rechtsprechung.
Zum Vergleich: die kaiserlichen Kriegsgerichte hatten im Ersten Weltkrieg gerade mal 150 Todesurteile gegen Deserteure verhängt, 48 davon waren vollstreckt worden.
Die amerikanische Militärjustiz verhängte während des gesamten Zweiten Weltkrieges 146 Todesurteile, davon ein einziges wegen Fahnenflucht.
Großbritannien verhängte gar keines.
Deutschland – man kann die Zahl nicht oft genug wiederholen – fünfzigtausend!
Im Länderspiel Nazi-Deutschland gegen den Rest der Welt steht es also fünfzigtausend zu hundertachtundvierzig zu null! Das soll uns erst mal einer nachmachen!
Wobei cirka siebzehntausend auf die allgemeine Strafgerichtsbarkeit und etwa zweiunddreißigtausend auf die Militärstrafgerichtsbarkeit entfielen. Wovon wiederum knapp zweiundzwanzigtausend wegen Fahnenflucht ergingen.
Die meisten dieser Urteile wurden auch vollstreckt.
Wohlgemerkt: es handelt sich hier nur um die Todesurteile, die im justizförmmigen Verfahren ausgesprochen wurden. Von den unzähligen Tötungen in Gestapo-Haft, in Arbeits- und Konzentrationslagern bis hin zum millionenfachen Mord an den Juden in Vernichtungslagern ist hier nicht die Rede.
All das mildert nichts ab an dem, was Filbinger an Schuld und Verstrickung auf sich geladen hat. Aber es verdeutlicht die ungeheuerliche Gewalt des nationalsozialischen Staates, der “brachial” (ein Lieblingswort Hitlers) mit allen aufräumte oder jedenfalls jederzeit und bis zuletzt aufräumen konnte, die sich ihm in den Weg stellten. In dieser Höllenmaschinerie war Filbinger mal Rädchen, mal Sand im Getriebe. Agitator war er nicht!
PS.: Paul Watzlawick ist übrigens auch gestorben. Und das halte ich immer noch für die wichtigere Meldung.
April 3rd, 2007 at 17:31
Zwischen Filbinger und “Widerstandskämpfern” ist viel Platz. In der Tat erlaube ich mir die Sichtweise, daß jemand, der aktiv mitgewirkt hat, der seine Karriere wichtiger nahm als das Leben anderer, dazugehört. Niemand mußte NSDAP-Mitglied werden. Sicher bedurfte es eines gewissen Mutes, sich dagegen zu entscheiden, aber wo sind wir denn? Ist denn wirklich schon vergessen, daß dieser Mut allein dazu geeignet ist, Diktaturen zu verhindern? Und zwar nicht erst, wenn der Blockwart klingelt, sondern bei den ersten Anzeichen einer Fehlentwicklung?
Filbinger hat nie aufgehört zu funktionieren. Man mag ihn reinwaschen oder eine andere Sicht der Dinge haben, meinetwegen war er ein Nazi aus Feigheit. Aber einen solchen nenne ich durchaus auch “Nazi”.
Das alles hätte mich vermutlich aber nicht bewogen, mich dazu zu äußern, hätte Mohr nicht diesen peinlichen Nachruf verfaßt. Derart gewollt könnte man auch noch die braunsten Eiferer reinwaschen, die, wie man hört, hier und da geholfen und gemildert haben.
April 3rd, 2007 at 17:31
Zwischen Filbinger und “Widerstandskämpfern” ist viel Platz. In der Tat erlaube ich mir die Sichtweise, daß jemand, der aktiv mitgewirkt hat, der seine Karriere wichtiger nahm als das Leben anderer, dazugehört. Niemand mußte NSDAP-Mitglied werden. Sicher bedurfte es eines gewissen Mutes, sich dagegen zu entscheiden, aber wo sind wir denn? Ist denn wirklich schon vergessen, daß dieser Mut allein dazu geeignet ist, Diktaturen zu verhindern? Und zwar nicht erst, wenn der Blockwart klingelt, sondern bei den ersten Anzeichen einer Fehlentwicklung?
Filbinger hat nie aufgehört zu funktionieren. Man mag ihn reinwaschen oder eine andere Sicht der Dinge haben, meinetwegen war er ein Nazi aus Feigheit. Aber einen solchen nenne ich durchaus auch “Nazi”.
Das alles hätte mich vermutlich aber nicht bewogen, mich dazu zu äußern, hätte Mohr nicht diesen peinlichen Nachruf verfaßt. Derart gewollt könnte man auch noch die braunsten Eiferer reinwaschen, die, wie man hört, hier und da geholfen und gemildert haben.
April 3rd, 2007 at 21:31
Hallo Feynsinn,
mangels anderer Möglichkeit zur Kontaktaufnahme: schreib mir doch noch mal ne Mail (stefan_sasse@gmx.de) :) Ich bin mir grad mit der Kommunikation überhaupt nicht mehr sicher…ist grade konfus…
Liebe Grüße
Oeffinger Freidenker
April 3rd, 2007 at 21:31
Hallo Feynsinn,
mangels anderer Möglichkeit zur Kontaktaufnahme: schreib mir doch noch mal ne Mail (stefan_sasse@gmx.de) :) Ich bin mir grad mit der Kommunikation überhaupt nicht mehr sicher…ist grade konfus…
Liebe Grüße
Oeffinger Freidenker