Wenn wir sie alle haben, was dann?
Posted by flatter under PolitikKommentare deaktiviert
17. Mrz 2007 0:08
Sie haben sie nicht alle, aber sie kriegen sie! Eine weitere Idee zur aktiven Abschaffung des Datenschutzes ist die europaweite Datenbank für Fingerabdrücke, eine bunte Sammlung von Daten, die “in einer einzigen, gigantischen europaweiten Datei die Fingerabdrücke aller Personen speichern [soll], die Gewaltverbrechen oder terroristischer Aktivitäten verdächtig oder überführt sind”. Sortieren: Nicht die Datei ist europaweit, sondern die Daten werden europaweit erhoben und abgerufen, und es wird auch keine Datei werden, sondern eine Datenbank. Letzteres ist nicht nur ein technisches Detail, sondern höchst relevant, da man gleich noch DNA und sonstige Daten reinpacken kann, ohne großen Mehraufwand. Wer würde dann übrigens darauf wetten, daß es bei “europaweit” bleibt, zumal bei einer derartigen Verbreitung der Mißbrauch vorprogrammiert ist. Unter solchen Bedingungen ist Datenschutz schlicht unmöglich. Das Beste an der Sache kommt aber im SpOn- Artikel zu kurz: Die Zusammenfassung der Daten von Tätern und Verdächtigen. Böse Zungen mögen sagen: “Zwischen Verdacht und Täterschaft liegt immer nur ein überzeugendes Verhör”. Aber tatsächlich steckt mehr dahinter: Zunächst wird es einige Unschuldige treffen, die ein bißchen schikaniert werden, vielleicht ihren Job verlieren oder sonstige Unannehmlichkeiten zum Wohle der Sicherheit hinnehmen müssen. Auf lange Sicht aber wird sich herausstellen, daß so viele Menschen verdächtig sind, daß man sie gar nicht mehr verfolgen kann. Die Strafverfolgung wird dem entsprechend ineffizient, es werden daher noch mehr Daten erhoben, die zu noch ineffizienterer Strafverfolgung führt etc.. Die Wahrscheinlichkeit, verhaftet zu werden, wenn eh erst mal alle in der Datei stehen, ist recht gering. Und den “Terroristen” geht’s dabei am besten. Die kriegt nämlich keiner, und ihr Ziel ist erreicht: Einen Rechtsstaat europäischer Prägung wird es dann nicht mehr geben.
März 17th, 2007 at 17:32
Tröstlich nur – die Masse der gesammelten Informationen wird die Verarbeitungskapazität immer übersteigen. Diese Komplettheitsfanatiker fahren irgendwann allesamt vor die Wand des Information-Overkills …
März 18th, 2007 at 13:37
Nein, nicht wirklich tröstlich. Denn es kommt gar nicht darauf an, dass alle Informationen tatsächlich ausgewertet werden. Allein der Umstand, dass jede Information potentiell dem jederzeitigen staatlichen Zugriff unterliegt und die Tatsache, dass genau dies im allgemeinen Bewußtsein präsent ist, genügt schon völlig, um eine antifreiheitliche Duckmäusergesellschaft Realität werden zu lassen, die uniform und obrigkeitsfixiert die größten Errungenschaften der westlichen Zivilisation um einer vermeintlichen Sicherheit willen aufgibt.
Dass diese Tendenz schon jetzt zu besichtigen ist, davon zeugt zum Beispiel das rege Bedürfnis der Internetnutzer nach handfesten Informationen über den richtigen Umgang mit Strafverfolgungsbehörden, sollte die eigene Wohnung zum Objekt einer polizeilichen Durchsuchung werden.
Es ist kein Zufall, dass der (instruktive) Vortrag (https://video.google.de/videoplay?docid=-1550832407257277331) des Strafverteidigers U. Vetter auf dem letztjährigen C3-Kongress eines der am häufigsten abgerufenen YouTube-Videos überhaupt ist, obwohl die Gefahr, Adressat einer solchen Maßnahme zu werden, in Wahrheit ziemlich gering ist – jedenfalls für den nicht-gewerblichen “Raub”-Kopisten. Und der stellt zusammen mit den Nicht-Kopisten wohl immer noch die ganz überwiegende Mehrheit der Internetnutzer.
Die zum Erfolg gekommene Kriminalisierung der User könnte kaum sinnfälliger zum Ausdruck kommen als in deren weitverbreitetem Informationshunger, wie man sich im Falle staatlicher “Entdeckung” zu verhalten habe. Ein Hunger, der in keinem realen Verhältnis zur unwahrscheinlichen Möglichkeit steht, tatsächlich einmal von einer solchen Maßnahme betroffen zu sein.
Dem Staat reicht es somit, eine Kulisse ständiger Überwachung und ubiquitärer Zugriffsmöglichkeit am Laufen zu halten. Die Bürger kontrollieren sich dann gegenseitig und fragen sich bei allem, was sie tun, ob sie nicht gegen ein staatliches Verbot verstoßen.
Mit der Idee eines freiheitlichen Rechtsstaates hat das dann aber in der Tat nur noch wenig zu tun.
März 18th, 2007 at 17:04
So weit sind wir ja noch nicht ganz. Tatsächlich muß man sehen, daß die Erhebung von Daten in keiner Relation zur Möglichkeit der Auswertung steht. Damit ist zumindest die Totalüberwachung, wie sie die Schäubles gern hätten, ein Phantasma. Tröstlich vielleicht auch, daß ihnen nichts effizienteres einfällt.
Die Kollateralschäden sind in der Tat der Kern der Sache: Bislang ist die Wirkung auf den Bürger dreigespalten:
- Die meisten machen sich keine Gedanken darüber. Diese sind noch für Duckmäusertum zu phlegmatisch.
- Andere wappnen sich, haben sich quasi schon ihrem Schicksal ergeben und setzten darauf, gut vorberitet zu sein oder nicht erwischt zu werden.
- Schließlich die offene Opposition, die sich den Mund fusselig redet und die Finger wund tippt. Auf die kommt es noch immer an, denn ich bin nicht davon überzeugt, daß dieser Irrsinn ungebremst weitergehen muß. Hoffnung ist immer, auch wenn StudiVZ und andere Phänomene deutlich machen, wie weit den Leuten Datenschutz heute noch am A…. vorbei geht.