Die Farce geht weiter. Das holprige Stück, das “Rotgrün” für einen Geniestreich hält, wirkt auch ohne den erhofften Erfolg. Die Gräben sind tiefer, Inhalt ist weniger gefragt denn je. Gauck hat die Republik noch ein wenig mehr gespalten. An Versöhnung oder Integration war ihm ohnehin nie gelegen, daher eignete er sich hervorragend für das taktische Spielchen der Mitte-rechts-Sozialdemokraten, die einen besseren Schwarzgelben aufzubieten hatten als Schwarzgelb selbst.

ures

Wenn jetzt die Grünen nachgerade geifern, die Linke sei “unverantwortlich” und der SPD-Chefselbstdarsteller Gabriel ernsthaft die Stalinismuskeule schwingt, möchte man glatt den armen Wulff zum Rücktritt ermutigen. Nicht bloß, daß er als Person keine Rolle spielt, aber zufällig Amtsinhaber wurde, sondern vor allem, weil man ihm gerade aus allen Rohren deutlich macht, welche Würde die hiesige Politeska seinem Amt zubilligt.

Der sympathische Stasi-Jäger Gauck als Präsident aller Deutschen, darauf muß erst mal einer kommen! In bezug auf das Ost-West-Verhältnis wäre wohl nur Birgit Breuel ein noch deutlicheres Signal gewesen, die Treuhand-Chefin und Ausverkäuferin der DDR-Restindustrie. “Ihr könnt uns mal”, ruft das Establishment den ehemaligen DDR-Bürgern und den Linken zu – eine tendenzielle Gleichsetzung, die dem politischen Kalkül entspricht. DDR-Nostalgiker und Links, das ist demnach eine Mischpoke. Unnötig zu betonen, daß sie alle bei der Stasi waren oder zumindest “Mauer und Stacheldraht” rechtfertigen. Was die neoliberalen Rückzugsgefechte der politischen Opposition permanent vor die Füße eimern, man kann es nicht mehr hören.

Und natürlich wird dann wieder Diether Dehm vor ein Mikrophon gezerrt, der Intimfeind Gaucks, von dem die versammelte Presse lügt, er sei ein “überführter Stasi-Spitzel”. Gerade sein Fall zeigt, wie komplex das System “Stasi” war und beileibe nicht jeder, der angeblich gequatscht hat, das auch so wollte. Dehm hat einmal ganz richtig erkannt: “Ich war wohl ziemlich naiv und hätte mein Maul öfter halten müssen”. Genau, gestern wäre wieder eine Gelegenheit gewesen. Auch wenn Gauck die DDR mit dem dritten Reich auf eine Stufe stellt, auch wenn er ausgerechnet die Stasi-Akten als unanzweifelbar dargestellt hat, ist das kein Grund, sich noch unter dieses Niveau zu begeben. Die Presse hat nach dem dummen Spruch “Was würden Sie denn machen, sie hätten die Wahl zwischen Stalin und Hitler?” ihr Fressen gefunden. Linke alle doof und extremistisch.

Hätte ich für die Linke in der Bundesversammlung gesessen, ich hätte ganz selbstverständlich auch nicht Gauck gewählt. Gauck ist ein glühender Antikommunist mit neoliberalem Einschlag. Nehmen wir kurz an, er wäre ein guter Präsident für die anderen gewesen – aber für die Linke?
Von der zu erwarten, sich aus einer Wahltaktik, die selbst im “Erfolgsfall” zu exakt nichts führt, selbst zu demütigen, zeugt von der politischen Klasse der politischen Klasse.
Selbst wer nicht “links” ist, hätte mit Wulff die bessere Wahl getroffen. Der Kandidat der offiziell Rechten hat wenigstens theoretisch das Zeug dazu, allen Deutschen zuzuwinken.

Daß Rotgrün sich unter aller Würde blamiert und einen abstoßenden Opportunismus offenbart hat, geht leider unter in einer Scheindebatte über strategische Optionen und den Zustand einer Koalition, die gestern gar nicht anwesend war. Wenn sich Merkels Abenteuerspielplatz bald endgültig zerlegt, werden sich Künast und Gabriel das noch ernsthaft auf die eigenen Fahnen schreiben. Ihren mangelnden Verstand wissen sie nämlich stets durch grandiose Eitelkeit zu kompensieren.