Der Mensch bewegt sich fallend vorwärts. Würde man versuchen, diesen Bewegungsablauf bewußt zu steuern, man würde nicht nur ständig aufs Gesicht klatschen, sondern vermutlich auch wahnsinnig werden. Daher empfiehlt es sich, am Grundsatz nichts zu ändern und mit dem vorhandenen Talent zu arbeiten. Es geht schneller und langsamer, im Laufschritt oder hüpfend. Klug ist, wer seinen Schritt der Gelegenheit anpaßt und dafür sorgt, daß es geht, wenn es muß.

Fallend vorwärts

So ähnlich verhält es sich mit der Politik. Wer Einfluß auf die Richtung nehmen will, muß die Bewegung aufnehmen, in der sie sich befindet. Es ist – grundsätzlich systemunabhängig, in einer Demokratie aber ganz besonders – eine Bewegung von Versprechen zu Versprechen. “Demokratie” selbst ist das Zielversprechen, dessen Einhaltung beinahe unmöglich ist. Wie sähe das überhaupt aus, eine “Volksherrschaft”, womöglich eine unter “Gleichen” und “Freien”? Allein letztere scheinen schon widersprüchliche Kriterien zu sein.

In der Tat, da ist die bürgerliche Gesellschaft durchaus ernst zu nehmen, ist das Spiel eines, das zwischen Gleichheit und Freiheit austariert wird – zumindest auf der Ebene des Versprechens. Während auf der juristischen Basis “Gleichheit” vor dem Gesetz behauptet wird, einklagbar ist und Freiheit(en) zugesichert werden (dies durchaus diskussionswürdig), besteht auf der wirtschaftlichen Ebene ein heftiger Widerstreit zwischen dem, was als “frei” oder “gleich” zu gelten hat. Soziale Marktwirtschaft hat einmal das Versprechen ausgegeben, ein hohes Maß an gesellschaftlicher Gleichheit herstellen zu können. Der Neoliberalismus strebt unter derselben Flagge ein Maximum möglicher Ungleichheit an und erklärt (Ergebnis-)Gleichheit zur Untugend.

Freiheit vs. Gleicheit

Dies kann eine ‘private’ wirtschaftsmächtige Gruppe so tun, es verstößt aber gegen das Gleichheitsprinzip der verfaßten Demokratie und verfestigt ungerechte Verteilungsmuster. Das Versprechen wird gebrochen, und dies läßt sich bei aller Umdeutung der Begriffe nicht dauerhaft verhehlen.
Die Macht der Medien, welche sich im Eigentum der Wirtschaftsmächtigen oder unter der Kontrolle politischer Interessensgruppen (Parteien) befinden, können durch Propaganda und Manipulation großen Einfluß auf die Wahrnehmung des Prozesses in der Öffentlichkeit nehmen. Da werden gebrochene Versprechen als erfüllte dargestellt oder die Nichteinhaltung zum Sachzwang umgedeutet. Was bleibt, ist das gebrochene Versprechen.

Dieses System kann sich verselbständigen und sogar dazu führen, daß Kommunikation, die dem Begriff gerecht wird, kaum mehr stattfindet. Das Vertrauen in diejenigen, die für die Erfüllung der Versprechen und die Strategien zu Erreichung der Ziele verantwortlich sind, kann gegen Null tendieren. Dies dürfte weitgehend die Situation sein, in der sich diese Gesellschaft befindet.

Anspruch und Wirklichkeit

Was also tun? Das ganze System ist korrupt, verlogen, Spielball der Mächtigen etc.. Besonders kluge Kritiker weisen darauf hin, daß die “Demokratie” im Ursprung eine Sklavengesellschaft war.
“Dann haben wir ja Glück gehabt”, kann ich denen nur antworten. Aber lassen wir die Kirche im Dorf: Die attische “Demokratie” war keine bürgerliche, und es hat sich seitdem das eine oder andere getan in der Entwicklung der Zivilisation. Und wenn wir schon die Geschichte bemühen, steht die Frage im Raum: Wo sind denn die Alternativen?

Der gescheiterte Sozialismus/Kommunismus etwa ist in der Art, wie er sich historisch formiert hat, definitv keine. Was spricht überhaupt für ihn? Allein das Versprechen jener Gleichheit oder Ausgeglichenheit, das im Westen die seltsame Karriere hin zum Schimpfbegriff gemacht hat. Das aber, liebe Freunde fröhlicher Dialektik, ist auch nur ein Versprechen. Es käme darauf an, es zu erfüllen. Kaum etwas wäre allerdings blöder als der Versuch einer sozialistischen Revolution, weil die bürgerliche Gesellschaft ihr Versprechen nicht eingelöst hat.

Immer dasselbe: Macht

Das Substrat ist immer dasselbe, es sind Menschen, es sind Organisationsformen, es ist Macht. Letztere muß, wenn eine Gesellschaft nicht an ihrer Konstitution zerbrechen will, verteilt und ausbalanciert sein. Die Kunst, eine Gesellschaft zu gestalten, steht und fällt mit der Balance zwischen den Macht- und Interessensgruppen. Wo diese fehlt, wird ‘Stabilität’ durch Unterdrückung hergestellt.

Grundsätzlich ist menschliches Zusammenleben ohne Unterdrückung, Unfreiheit und Ungerechtigkeit nicht zu bewerkstelligen. Dennoch sind alle ernstzunehmenden Gesellschaftsentwürfe von der gegenteiligen Utopie beseelt. Wo nicht einmal um die Ideale gerungen wird, die solche Utopien ausmachen, darf man mit Recht von rückständigen, wenn nicht diktatorischen Verhältnissen sprechen. Die Machtkartelle gleich welcher Ideologien behaupten dabei stets, das Paradies sei bereits Realität oder äußere Zwänge ließen keine Veränderungen zu. Gern wird beides gleichzeitig zur Rechtfertigung des Status quo herangezogen. Wie der in diesen Zeiten hierzulande aussieht, werde ich im Folgerartikel beschreiben.