Anläßlich eines Mangels an Zeit und Inspiration im folgenden ein Fundstück aus meiner Rumpelkammer, datiert auf irgendwann 2002:

Versicherungsvertreter! Versicherungsvertreter sind in Ansätzen gute Niederrheiner: Sie haben meist von nichts eine Ahnung und auf alles eine Antwort. Fragt der Niederrheiner seine Lieblingsfragen: “Wie isset?” und “Weiße, wer toot is?”, ist der Versicherungshansel bei seinem Stichwort: Kapitallebensversicherung. Beide haben auch ein gespaltenes Verhältnis zum Tod. Sie gönnen zwar niemandem ein frühes Ableben – der Versicherungsvertreter zumindest nicht, bevor die Beiträge vollständig bezahlt sind – sind aber dennoch sehr fasziniert von dem Thema. Der Typ, der mir neulich eine Lebensversicherung andrehen wollte, malte mir derart farbenfroh die diversen Möglichkeiten aus, indiskret, unangenehm und plötzlich aus dem Leben zu scheiden, daß ich ihn sofort fragte, ob er Niederrheiner sei.

Als er dann noch in melodramatischer Weise das mögliche Schicksal meiner Töchter schilderte, standen uns beiden die Tränen in den Augen, und ich habe mich geärgert, das nicht mitgeschnitten zu haben, um es als Drehbuch zu verkaufen. Nur die Passage, wo meine große, über und über gepierct mit Kanülen, auf den Strich geht, hat er ausgelassen. Ich sah zwar den Willen in seinen Augen, mir auch diese schreckliche Wahrheit zuzumuten, aber auf seinem Rhetorikseminar hat er gelernt, einen gewissen Level nicht zu überschreiten.

Und er hat gut aufgepaßt. Mein Versicherungsmännlein war Stifthalter. Stifthalter sind diejenigen unter den Rhetorikkursopfern, die eigentlich zu verklemmt sind, ihre Hände zu bewegen. Sie haben keine Gestik, stehen entweder mit verschränkten Armen oder wie Soldaten vor ihren Gesprächspartnern und studieren das Schuhwerk ihres gegenübers. Im Rhetorikkurs lernen sie dann, die Nasenwurzel anzupeilen, und um Ihnen die Angst zu nehmen, zwingt der Rhetorikkursleiter sie dazu, sich vorzustellen, auf der Nasenwurzel säße ein Vögelchen oder eine nackte Frau oder sonstwas Reizendes.
Achten Sie einmal darauf! Ich traue niemandem, bei dem ich nicht weiß, in welches Auge er mir gerade schaut. Von einem Freak, der mir nackte Frauen auf die Nasenwurzel setzt, lasse ich mir jedenfalls nichts verkaufen.

Sobald also die Frau oder das Vögelchen es sich bequem gemacht hat, ziehen sie, wie sie es gelernt haben, den Kuli aus der Tasche, um damit ungelenk Löcher in ihren Odolatem zu stechen. Dabei, und das machen sie wiederum sehr geschickt, umkreisen sie ihre Krawattennadel oder eine bestimmte Stelle im Muster ihrer Krawatte. Folgen Sie niemals mit den Augen dieser Bewegung! Entweder die Hypnose funktioniert und Sie unterschreiben alles, einschließlich des Termins Ihres Todestages, oder die Sache funktioniert nicht, und in Ihre Netzhaut brennt sich ein Anblick ein, der das nackte Entsetzen auslöst.

Über Krawattennadeln will ich mich gar nicht auslassen, wer so etwas trägt, richtet sich selbst. Was aber einstmals nackt zur Welt gekommene Geschöpfe, zur Krawatte gezwungen, sich um den Hals Knoten, verrät genau die Todessehnsucht, die sich in den Kapitallebensversicherungen wieder Bahn bricht.
“Geld oder Leben”, so lautet ihr Motto, und sie haben sich insgeheim fürs Geld entschieden. So kriechen sie als gebügelte Monster von Klinke zu Klinke und infizieren ihre Opfer mit ihrer Schicksalsfrage.

Womit sie nicht rechnen, wofür sie auch nicht trainiert werden, ist der Fall, daß ihr potentielles Opfer das alles weiß. Ich habe mir neulich dies Wissen schamlos zunutze gemacht und quasi experimentell überprüft, ob diese meine Mußtmaßungen über Herrn Kaiser und seine Schergen zuträfen. Zunächst ließ ich ihn in meine Wohnung und ließ ihn seinen Standardvortrag halten. Während er also dozierte und fröhlich den Kugelschreiber schwang, fixierte ich seinen Blick, der nicht, wie man es von anständigen Menschen erwartet, zwischen meinen Augen hin- und herwanderte, sondern starr meine Nasenwurzel anvisierte. Alles lief also nach Plan.

Ich hatte mir wohlweißlich einen Notizblock zurechtgelegt, aber keinen Stift, so daß ich mir unter einem Vorwand seinen Kuli leihen mußte. Er war fortan dazu verdammt, seine Hände auf meinen Tisch zu pressen, als seien sie dort angeleimt. Sein Blick wanderte jetzt endlich, und zwar zwischen seinem Kuli und meiner Nasenwurzel. Mir fiel sofort ein Zitat von Büchner ein: “Woyzeck, er sieht gehetzt aus!” Aber Herr Kaiser war noch nicht geschlagen. Ich konnte nicht ewig Notizen simulieren, und in der Hundertstelsekunde, in der die Mine das Papier verließ, bat er mich schwitzend und zitternd, aber höflich, ihm doch bitte seinen Stift zurückzugeben.

Einen Augenblick ließ ich ihn noch schmoren, dann durfte er den Strohhalm ergreifen, der sein Schicksal noch einmal wendete. Aber nicht für lange! Allmählich kehrte die Farbe in sein Gesicht zurück, und ich ließ ihm diese Verschnaufpause wie die Katze der Maus. Dann nützte ich einen Augenblick, in dem er in seine Unterlage schaute, dazu, mir ein haarfeines Fadenkreuz auf die Nasenwurzel zu stempeln. Noch ehe er wieder hochblickte, stellte ich ihm die Masterfrage:

“Sagen Sie, wenn ich dann also meine Beiträge so weit geleistet habe, wann werde ich dann hingerichtet? Ich würde mich übrigens gern erschießen lassen, das hat so etwas von militärischer Würde. Oder kann man sich nach Ablauf der vertraglich vereinbarten Frist auch selbst töten? Ich habe hier eine alte Dienstpistole, das wäre mir natürlich noch lieber”. Das war offenbar so übertrieben, daß er es als Scherz erkannte und kurz auflachte. Für den Verlauf meines Experimentes war das optimal, und noch war er schließlich nicht derjenige, der zuletzt lachte.

Es blieb ihm auch schnell stecken. Als er sich nämlich wieder an meiner Nasenwurzel festkrallen wollte und versuchte, das Fadenkreuz zu fokussieren, verschluckte er sich. Als höflicher Gastgeber bot ich ihm ein Glas Wasser an, das ich schon vorbereitet hatte, klaute ihm aber mit einem lässigen “Ich darf doch noch mal?” wieder seinen Kuli. Ich machte mir eine kurze Notiz, steckte den Kuli in die Hemdentasche und stand auf, als er sein entsetztes Fischmaul öffnete, um etwas zu stammeln, das ich natürlich üüberhaupt nicht verstehen konnte.

Ich schlurfte zur Anrichte, öffnete die Schublade und holte Opas Pistole hervor, mit der er sich dereinst, aber das ist eine andere Geschichte. Polternd ließ ich sie auf den Tisch fallen und fragte gleichzeitig, ob meine Kinder als Begünstigte gegebenenfalls dem Henker assistieren dürften, sie hätten auch schon Erfahrung mit jungen Katzen. Das Kreuz auf meiner Nasenwurzel hatte ich derweil mit einem roten Edding nachgezogen.

Herr Kaiser japste ob dieses Anblicks etwas von “meinen Sie nicht ernst”, was ich mit der freundlichen, aber bestimmten Aufforderung korrigierte “Nana, wir wollen doch nicht unhöflich werden”. Er solle mir doch jetzt bitte meine Fragen beantworten. Als er dann ansetzte, die letzte Bastion seiner Versicherungsvertreterrhetorik hervorwürgend, nämlich den Namen des Kunden, also meinen, versetzte ich ihm den Todesstoß…

- Ist Ihnen das eigentlich schon aufgefallen? Das ist das Erste, was man den Hanseln eintrichtert: Pausenlos den Namen des Kunden herunterzuleiern, am besten mit Lametta: “Hören Sie, Herr Dr. Flatter, sehen Sie, Herr Dr. Flatter, da haben Sie recht, Herr Dr. Flatter”. Es ist grauenhaft.
“Müller”, antwortete ich also, “ich heiße Müller!” Hansel lächelte, als hätte ich einen Witz gemacht. “Ja, sehen Sie doch in die Unterlagen”, sagte ich verständnislos und reichte ihm die von mir manipulierten Verträge, “da steht es doch: Meier!”

Er glotzte in die Papiere, und ich setzte mir schnell mit geübter Hand die Katzenaugen-Kontaktlinsen ein. Er sah mich an. Das Entsetzen in seinem Blick wich gnädigem Wahnsinn.
Der Rest ist schnell erzählt, ich habe ihm einige Waschmaschinen, den Polo von meinem Cousin und eine Pauschalreise angedreht und ihn vor die Tür gesetzt. Das Schlimmste an diesen Typen ist ja, daß sie solche Weicheier sind. Ich hasse schwache Gegner.