Die ersten Prognosen sind wenig überraschend, ich hätte das Ergebnis mit einer Abweichung von nicht mehr als einem Prozent bei jeder einzelnen Partei vorausgesagt. Die Demoskopen sahen zwar auf breiter Front die CDU vorn, es sieht jetzt aber so aus, als lägen beide gleichauf.

Daß die Grünen stark gewinnen würden, war ebenfalls klar. Nicht nur, daß sie niemandem wehtun, für so etwas schönes wie “Umwelt” stehen und nicht negativ aufgefallen sind. Sie sind auch prädestiniert zur Regierungsbildung, egal mit wem. Die einzige Alternative zu einer Regierung mit Grün ist die große Koalition. Die sehe ich zwar noch kommen, aber für die Wahl war klar: Wer Grün wählt, wählt die Sieger. q.e.d.

Die großen Parteien haben gegenüber der letzten Wahl beide verloren, besonders deutlich Rüttgers’ Club, der regulär abgestraft wurde. Im Vergleich zur Bundestagswahl haben beide allerdings zulegen können, was an der auf Normalmaß gestutzten FDP liegt. Da hatten sich reichlich zu viele Stimmen angesammelt, die jetzt eben großzügig verteilt wurden.

Bemerkenswert ist allerdings das Abschneiden der SPD, das man ehrlicherweise nur als desaströs bezeichnen kann. Hannelore Kraft hat es fertiggebracht, das historische Debakel von Peer Steinbrück noch einmal zu unterbieten. Bedenkt man die offenbar geringe Wahlbeteiligung, geben immer weniger Menschen den “Sozialdemokraten” ihre Stimme. Für die Sozen im ehemaligen “Stammland” eigentlich ein Anlaß zu demütiger Umkehr. Die NRW-SPD hingegen wird diesen “Sieg” feiern, als wäre es wirklich einer.

[update 23:51h:]
Es zeichnet sich ab, daß eine rot-grüne Regierung nicht zustande kommt. Noch ist Raum für Spekulationen: Was, wenn die CDU ein paar Stimmen mehr einheimst als die SPD? Wäre das ein hinreichender Grund für eine große Koaltion mit einem schwarzen Ministerpräsidenten? Würde sich Hannelore Kraft ermutigt fühlen, eine Kooperation mit der Linken quasi erzwungenermaßen einzugehen?

Ich habe derweil ein wenig recherchiert und gerechnet. Der “Erfolg der SPD” reiht sich nahtlos ein in die der jüngeren Vergangenheit. Sie hat etwa 350 000 Wähler weniger “überzeugen” können als bei der Riesenschlappe vor fünf Jahren. In den letzten 20 Jahren hat sie – bei einer konstanten Zahl von Wahlberechtigten – 2 Millionen Wähler verloren, ein Verlust von 43% der einstigen Wähler. Die Wahl 1995 fällt ein wenig aus dem Raster. Die SPD kam bei der historisch niedrigsten Wahlbeteilgung von 56,7% auf 46% der Stimmen. Es zeichnete sich damals ab, daß der Übervater Rau am Ende der Legislaturperiode nicht mehr im Amt sein würde.

So kam es dann auch. Zunächst übernahm der neoliberale Arbeiterfeind Clement das Zepter, dann übergab er es an die Allzweckwaffe nämlicher Ideologie, Peer Steinbrück. In der Zwischenzeit kam es zu den Hartz-Gesetzen und dem Siegeszug des Neoliberalismus durch eine “sozialdemokratisch” geführte Bundesregierung.
Von 4,7 Millionen auf noch 2,7 Millionen Wähler in 20 Jahren – wer dieses Zeugnis nicht lesen will, darf heute feiern. Es darf als sicher gelten, daß allein schon wegen dieses grandiosen Niedergangs die Politik der SPD nie dahin gekommen wäre, wo sie heute ist, hätte man es damals nur schwarz auf weiß gehabt. Im Rückblick führt das freilich zu keinerlei Einsicht.

Die Führungsriegen der Parteien halten ihr Volk für noch blöder, als es durch die Dauerbeschallung mit den alternativlosen Parolen gemacht wurde. Daß ihr die Wähler vor die Füße spucken, interpretieren sie als wetterbedingten Speichelfluß.
Der Erfolg der nur noch regierungsgeilen Grünen versetzt die Politprofis in die Lage, die Linke zu verteufeln, wie sie es einst mit den “Ökopaxen” taten. Der Kardinalfehler dabei ist der, die charmant desolate rote Truppe als “extremistisch” abzustempeln. Es wird nämlich nicht lange dabei bleiben, daß die einen ihr Kreuzchen dem Establishment schenken und die anderen zuhause bleiben. Wir werden noch erleben, was Extremismus wirklich bedeutet.