Hannelore Kraft hat ein großes Herz. Für Jürgen Rüttgers zum Beispiel, den sie offenbar partout nicht ablösen will. Ihre mitten im Wahlkampf ausgesprochene Idee, Langzeitarbeitslose “sinnvoll” zu beschäftigen, etwa indem man ihnen einen Besen in die Hand drückt und sie die Straße fegen läßt, ist ein Trauerspiel, von dessen Dimensionen sie weniger ahnt als die Sense, mit der sie durch die Hälse ihrer Nichtwähler fährt.

Sie wäre die Nachfolgerin von Peer Steinbrück und Wolfgang Clement. Sie tritt für die Partei an, der die “Hartz-Gesetze” zu veranken sind, von denen sich Arbeitlslose zu oft mit Fug und Recht drangsaliert und herabgewürdigt fühlen. Auch sie ist so abgehoben, daß ihr offenbar nicht einmal blaß schimmert, wie sehr sich Menschen von ihrem Vorschlag bedroht fühlen.

Fordern statt Fördern

Wenn sie sagt, rund ein Viertel der Langzeitarbeitslosen werde nie mehr einen regulären Job finden, mag sie im Kern recht haben. Was aber sind ihre Motive? Das Fördern scheint sie in der Tat aufzugeben. Wenn sie jetzt ihr Angebot an die Unvermittelbaren macht, muß jeder, der damit konfrontiert wird, dies aus schlechter Erfahrung gleichwohl als Forderung auffassen. Damit stellt sie sich in die Reihe derer, die für den Niedergang der Sozialdemokratie verantwortlich sind und erhärtet den Verdacht, Langzeitarbeitslose sollten beliebig ausgebeutet werden dürfen – und damit gleichzeitig Druck auf die Löhne in legalen Arbeitsverhältnissen ausüben.

Viel mehr kann man nicht falsch machen. Das analytische Urteil, daß Millionen gar keine Chance haben, ein “Erwerbsleben” zu führen, wäre richtig, setzte man es denn in den richtigen Zusammenhang. Selbst den Tatendrang der Abgehängten aktivieren zu wollen, könnte dann richtig werden. In einer längst überbordenden Atmosphäre von Angst, Erniedrigung und Ungerechtigkeit geraten all diese Aspekte aber zu einem weiteren Gewicht an den Ketten eines Heeres potentieller Sklaven.

Eine Klasse für sich

Arbeit ist ein sekundäres Grundbedürfnis des Menschen. Er will sich erleben als Wesen, das seine Lebenswelt gestaltet. Er will etwas schaffen, den Erfolg seiner Mühen sehen und sich damit identifizieren. Von diesem Bedürfnis lebt jede Zivilisation, und es ist sogar möglich, eine friedliche Gesellschaft zu organisieren, die jene duldet, welche sich an der Tatkraft derjenigen bereichern, die als Gegenleistung nicht mehr als die Befriedigung ihrer Grundbedürfnisse einfordern. In einer unerhört reichen Gesellschaft ist es unerlässlich, diesen Menschen die Angst zu nehmen vor Zwangsarbeit und Aussonderung. Selbst ein bescheidener Restverstand erkennt, daß die Flucht in Sucht, Depression und Apathie die logische Folge stetiger Diskriminierung und Hoffnungslosigkeit ist. Und daß jeder Ansatz, der Arbeit “anbietet” und Ängste schürt, kontraproduktiv ist.

Was Hannelore Kraft vorschlägt, kann nur funktionieren, wenn ein Bedingungsloses Grundeinkommen in ausreichender Höhe gegeben ist. Dann und nur dann kann man sich Gedanken darüber machen, wie man Tatendrang und Kreativität der Menschen so organisiert, daß die bislang Abgehängten wieder produktiv werden. Sie wären endlich nicht mehr eine Klasse für sich, sondern Teil einer Gesellschaft, die Gefallen findet an der Schaffenskraft aller und endlich akzeptiert, daß es gut ist, etwas zu tun, wenn etwas zu tun ist und nicht schlecht, seine Zeit mit Muße zu verbringen, wenn es getan ist.

Trauerarbeit

Es wäre dann vorbei mit dem faulen Pack, das sich riesige Plasmabildschirme und neueste Spielekonsolen leistet, sich täglich besäuft und sein Elend im Gepöbel seines falschen Stolzes auslebt. Sie wären bereit, anzupacken, mit der Einschränkung freilich, daß ihr Tun einen Sinn hat und sie nicht wahlweise zu Robotern degradiert würden oder als unwert zu gelten hätten. Sie wollen nicht viel haben, aber etwas sein dürfen und über ihr Tun und lassen selbst entscheiden.
Keiner von ihnen will sich nutzlos fühlen und sein Leben mit billiger Unterhaltung füllen, bis er spurlos ein verschwendetes Leben hinter sich läßt.

Die “Sozialdemokratie” sollte wieder lernen, um die unbekannten Toten dieses Lebens zu trauern. Dann wäre sie wieder imstande zu erkennen, daß “Wähler” nicht nur Zahlen in Statistiken sind, sondern lebendige Wesen mit Herz, Hirn und Willen. Davon Gebrauch machen zu dürfen, ist ihre Freiheit. Wer Menschen nur verwalten will, vergewaltigt sie. Die SPD hat diesen Zusammenhang bei aller sich aufdrängenden Nähe der Begrifflichkeiten noch immer nicht erkannt.