Schöner Leben mit der Agentur
Posted by flatter under HintergrundKommentare deaktiviert
01. Mrz 2010 12:05
Ein Kommentator erhoffte sich Berichte über meine Erfahrung mit der großen Agentur. Wohlan!
Ich hatte schon einmal mit dem Agentenamt zu tun, vor einigen Jahren. Bis zum “Jobcenter” habe ich es nicht geschafft, da ich vor Ablauf der 12 Monate, in denen ALG I gezahlt wird, wieder eine Stelle hatte. Ich erinnere mich noch gut, daß ich anfangs dachte, ich würde lieber auf die Versicherungsleistung verzichten, als mir dauerhaft die Behandlung als Exemplar gefallen zu lassen, das offenbar pflichtgemäß unfreundlich zu behandeln war.
Es blieb allerdings bei zwei Besuchen dieser Art. Als ich die entscheidende Frage bejahte, änderte sich schlagartig die Situation. Daß ich nicht nur zu den besseren Arbeitslosen gehörte, die eingezalht hatten, sondern auch einen “akademischen Abschluß” habe, öfffnete mir die Tür zu den beinahe leeren Fluren und den Büros, in denen Termine ausnahmslos auf die Minute eingehalten wurden.
Heute habe ich mir den Spaß gegönnt, die Hotline anzurufen, um zu sichern, daß ich keine Frist versäume in bezug auf meine Meldung. Die Dame am anderen Ende klang von vornherein nicht frühlingshaft gestimmt, als ich ihr aber abverlangte, meinen Anruf als Fristwahrung anzuerkennen oder mir Alternativen zu nennen, wurde sie zunehmend grantig.
Dreimal machte ich sie darauf aufmerksam, daß ich während der Öffnungszeiten der Agentur etwas Wichtigeres zu tun habe, mämlich meine restlichen Beiträge zu erwirtschaften. Sie war strikt der Meinung, ich müsse “ohne Termin”, wie sie betonte, in der Agentur vorsprechen und sei “verpflichtet”, mich binnen drei Tagen dort persönlich zu melden. Als sei ich nicht fertig eingerichtet im Oberstübchen, wiederholte sie dabei stetig “Personalausweis und Rentenversicherungsnummer mitbringen”. Ich schloß das Gespräch damit ab, daß ich Ihr erklärte, ich sei von ihrer Hilfe begeistert.
Was rede ich mit Robotern, wenn ich gleich selbst die Maschine bedienen kann? Ich hatte gehofft, daß man werktätige Menschen zuvorkommender behandelt. Im Gegenteil verschweigen diese Hotline-Genies nicht nur, daß es durchaus die Möglichkeit geben sollte, duch eine telefonische Meldung die Frist einzuhalten, sondern sogar die Möglich besteht, sich online arbeitssuchend zu melden. Ein Termin wird daraufhin (so wird dort jedenfalls angekündigt) telefonisch vereinbart.
Das weiß Frau Ixypsilon von der Hotline nicht. Ich werde bei meinem ersten Termin einmal danach fragen, ob sie das nicht wissen soll oder einfach nur Preßspahn unter der Fontanelle sammelt.
März 1st, 2010 at 13:09
Da hast du ja eine sehr informationsreiche und warmherzige Auskunft von der werten Frau Ixypsilon bekommen.
März 1st, 2010 at 13:36
Meine Frau hat sich im Januar 7 Tage vor ihrem Arbeitsende online Jobsuchend gemeldet. Innerhalb einer halben Stunde bekam sie einen Rückruf, einen persönlichen Termin (ja, bis auf die Minute) und jede Menge Infomaterial per Post.
Es geht also auch anders. Ab und zu.
März 1st, 2010 at 14:20
Als ich das letzte in Kontakt mit diesem Paralleluniversum stand (damals noch Arbeitsamt), hatte ich das Verguegen, behoerdenintern umgetauft zu werden (Vornamen). Es dauerte geschlagene 3 Monate, das zu revidieren.
In deinem Fall, koennen wir auf auf das ein oder ander Anekdoetchen hier hoffen? (Waere sogar fuer ein Bezahl-Premiumabo zu haben.)
März 1st, 2010 at 14:58
Ich hatte das Vergnügen, in Ffm.-Höchst die Serviceleistunen dieser Anstalt in Anspruch nehmen zu dürfen. Nach ziehen der obligatorischen Wartenummer und geschlagenen 3 Stunden Wartezeit wurde ich in ein Büro gebeten und bekam dort … eine Wartenummer. Die gute Frau konnte meinen unkontrollierten Lachkrampf nicht verstehen …
Ich wünsche viel Humor!
März 1st, 2010 at 15:42
Ich habe diesen Idiotenladen 3 Monate ausgehalten, danach habe ich mich nicht mehr arbeitslos gemeldet, weil man die Abläufe in diesem Irrenhaus als halbwegs intelligenter Mensch nicht ertragen kann und es einen krank macht was dort abläuft. Man glaubt es nicht, wenn man es nicht selbst erlebt hat welche Idiotie das ist.
Das ist m.M. nach volle Absicht, die Leute so weit zu gängeln und gaga zu machen, dass sie von sich aus gar nicht mehr erscheinen.
Mal sehen wann das Geld alle ist, wenn ich bis dorthin nix gefunden habe, muss ich wieder in die Anstalt äh Agentur.
März 1st, 2010 at 18:45
Du mußt der Frau das bitte nachsehen.
Letztens las ich, das viele “Hotlines” und “Callcenter” sowieso unter einem Dach versammelt seien, insofern muß sie nicht nur künftige Arbeitslose abfertigen, sondern darüberhinaus noch Staubsauger und Kaffeefahrten verkaufen sowie den Leuten mitteilen, daß sich ihr Gewinnspielabo gerade verlängert hat.
Das kann schon mal zu Hirndiarrhoe führen…
März 1st, 2010 at 23:08
Na dann viel Spass, ich drücke Dir die Daumen, dass Du innerhalb der 12 Monate was geeignetes findest – sonst kannst Du eine nur mit sehr viel Humor zu ertragende Steigerung erleben – Unterlagen in der Hauspost verschollen, Akte beim letzten Umzug im alten Büro liegen lassen (bei den steten Umorganisationen nicht wirklich verwunderlich) ab und an Mitarbeiter, die es als Ihre Lebensaufgabe sehen, dieses arbeitsfaule Gesindel mal richtig zu fordern. Letzteres soll besser geworden sein, nachdem viele Leute aus HIV als Sachbearbeiter eingestellt wurden, eine der wenigen guten Folgen der Finanzkrise. Hatte 3 Monate das Vergnügen, die Zahlungen kamen dann pünktlich zum Arbeitsbeginn bei der neuen Stelle und erforderten noch ein bisserl Rennerei, weil auch schon für den ersten Arbeitsmonat Geld überwiesen worden war – vollkommen überfordert mit dem Fordern :)
März 2nd, 2010 at 00:19
Oha, das geht ja gut los. :)
Ich hatte erst einmal das Vergnügen, da mein Chef so lustig war, mir erst einen Tag vor Ausbildungsende mitzuteilen, dass ich übernommen werde.
Hatte allerdings das Glück, an eine ältere Sachbearbeiterin zu geraten. Noch vom alten Schlag quasi. Die hat mir erstmal erzählt, wie elend die Arbeitsbedingungen innerhalb der Agentur inzwischen sind und wie beschissen, bzw. gar nicht die jungen Leute ausgebildet werden.
Weshalb ich mich hier aber überhaupt zu Wort melde…
Ich würde mir an deiner Stelle JEDES noch so kleine Schriftstück das Du nicht direkt deiner Sachbearbeiterin in die Hand drückst quittieren lassen. Die Agenturen sind Meister im verschwinden lassen.
lg
Hannes
März 2nd, 2010 at 04:54
Da hast Du ja einen schönen Vorgeschmack auf das Kommende erlebt – vielen Dank für die Dokumentation.
Ich kann dazu nur sagen: Ich habe im Rahmen eines Hilfeprojektes für Hartz-Opfer schon oft Betroffene zur ARGE begleitet – und was ich da so alles erlebt habe, würde genug skandalösen Inhalt für ein ganzes Buch ergeben (wenn es denn einen Verleger dafür gäbe).
Selbstverständlich ist diese Inkompetenz, diese Gängelung gewollt. Menschen sollen abgeschreckt werden, ihnen soll nicht geholfen werden. Das ist das Grundkonzept.
Selbst miterlebt habe ich das folgende Beispiel: Einem 45jährigen, arbeitslos gewordenen Werbeleiter, der zuvor über 10 Jahre lang die Marketingabteilung eines mittelständischen Unternehmes geführt hatte, wurde von Seiten des Amtes ein “Arbeitsangebot” unterbreitet: Ein dreimonatiges (unbezahltes) Praktikum in einer kleinen Werbeagentur. Als er es wagte, das mit dem Hinweis auf seine Qualifikationen und Berufserfahrung (und auch den Anforderungen der Ausschreibung, die sich ausdrücklich an Schulabgänger richtete) auszuschlagen, kürzte das Amt ihm sämtliche Leistungen. Ein sechsmonatiger Prozess vor dem Sozialgericht war die Folge – im Ergebnis musste die ARGE alle Leistungen nachzahlen. Hätte dieser Mann sein soziales Umfeld nicht gehabt – das im Übrigen auch Teil des Prozesses wurde, weil er schamlos ausgefragt wurde, wie er diese sechs Monate denn überleben konnte, ohne zu verhungern und obdachlos zu werden -, wäre er heute vermutlich ein weiterer Obdachloser in unserem schönen Land.
Und das ist nur ein Beispiel von so vielen. Gut in Erinnerung geblieben ist mir auch ein arbeitsloser Lehrer, der nach seinem Referendarium keine Stelle bekommen hatte. Den wollte die ARGE tatsächlich zum Winterdienst (“Ein-Euro-Job”) beim kommunalen (!) Betrieb abkommandieren. Seine Nachfragen, inwiefern das eine “zusätzliche” Arbeit sei, die ihn in den “1. Arbeitsmarkt” integrieren könne, beantwortete das Amt ebenfalls mit einer sofortigen Einstellung aller Leistungen. Der Mann ist dann tatsächlich hingegangen, hat Winterdienst gemacht, gleichzeitig dagegen geklagt und trotzdem kein Geld bekommen (Sanktionen wirken weiter, auch wenn der “Bedürftige” dem Ansinnen des Amtes nachträglich nachkommt) – und das Gericht hat ihm natürlich Recht gegeben, denn der “Job” war weder “zusätzlich”, noch hat er seiner beruflichen “Integration” gedient. Ohne seine Familie wäre auch er gnadenlos in die Obdachlosigkeit gerutscht.
Das ist Alltag in unserem schönen Land – nur bekommt das kaum jemand mit, weil eben medial darüber nicht berichtet wird.
Die spätkapitalistische Dekadenz wird immer grotesker – Westerwelle ist nur die Vorhut der Faschisten.
März 2nd, 2010 at 08:44
Servus Flatter,
ein sehr guter Freund von mir hat sich auch des laengeren mit der Agentur gegen Arbeit herumschlagen duerfen.
Er ist da mittlerweile sehr gewieft und gibt gerne kostenlose Tipps und Anregungen..
Schick einfach ne Mail bei Interesse.
März 2nd, 2010 at 10:04
@charlie
das System Hartz IV ist schon Faschismus an sich, denn es erfüllt DAS Kriterium für ein faschichstisches System: es macht den Menschen zum Objekt staatlichen Handelns. Und spricht damit allen, die in seine Fänge geraten, Würde, Selbstbestimmung und Individualität ab und negiert damit also alle Grundlagen einer Demokratie.
Wenn man sich das erst mal klar gemacht hat, wird man vesuchen, so weit als möglich zu vermeiden in diesem System, erfaßt zu werden. In meinen bösen Momenten antworte ich auf die Frage, warum ich als Niedrigverdiener denn nicht aufstocke: weil ich auch versucht hätte 1937 nicht bei der jüdischen Gemeinde registriert zu werden.
Daraufhin bricht meistens die allzubekannte “Vergleich das doch nicht damit”-Diskussion los. Doch, die Entwicklung wohlgemerkt, nicht das Stadium des Systems in dem wir uns befinden, ist vergleichbar, und mir als Historiker graut es davor.
Nein, nicht nur. Es wird mir regelrecht schlecht, wenn ich die Kommentare unserer Eliten höre.
Gerade daß denen gelungen ist, ein faschistisches Systemchen in einer Demokratie zu implementieren, das einen , die für nix zu gebrauchen und daher für alles nicht zu schade sein dürfen, macht mir mehr als Unbehagen. Denn erst mal da, ist so ein kleiner Faschismus in der Demokratie wie ein schwarzes Loch, er frißt sich durch.
Und das erleben wir gerade. Du an der Front JobCenter und ich an der anderen. Ich könnte dir lustige Dinge aus der Privatwirtschaft erzählen, die genau von diesem System in Summen die uns schwindlig machen profitiert. Wer darüber mehr wissen will, schaue sich die Träger für MAE-Maßnahmen mal genauer an.
Gruß bel
März 3rd, 2010 at 04:42
@ bel:
Da pflichte ich Dir vollkommen bei. Mir sind selbst genug Menschen bekannt, die äußerst freiwillig auf “Aufstockungen” ihrer kärglichen Löhne durch das Amt verzichten, eben weil sie die Gängelung, den Komplett-Strip, die Willkür und das völlige Ausgeliefertsein an eine solche Behörde zu recht scheuen.
Es ist einfach eine Farce, wie in deutschen Leitmedien über Hartz IV berichtet wird (von den Blöd-Medien will ich gar nicht erst reden). Man muss sich doch nur die dummen Phrasen der Westerwelles, Sarrazins, Kauders und ähnlicher Gesellen ansehen: Ersetzt man dort die “Hartz-IV-Betrüger”, “Minderleister” und ähnliche Formulierungen einfach mal durch “Juden”, wähnt man sich 80 Jahre zurückversetzt. Natürlich ist das Faschismus – und zwar in ungeschminkter, hässlicher Form.
Dass die Träger der so genannten MAE-Maßnahmen sich ein goldenes Näschen mit diesem System verdienen, ist mir bekannt. Gelegentlich taucht das sogar in den verbliebenen Fragmenten des wirklichen Journalismus auf, was aber – wie gewohnt – keine breitere Wirkung entfaltet.
Die Frage lautet also einmal mehr: Was tun wir dagegen? Angesichts der allumfassenden Propaganda, die so viele unserer Mitmenschen weiter desinformiert hält, neige ich doch immer öfter zur Resignation.