Jakob Augstein äußerst sich zum Journalismus, wie er sein sollte und nimmt eine äußerst sympathische Haltung ein, von der ich hoffe, daß er sie beim “Freitag” auf lange Sicht etablieren kann. Im Mittelpunkt steht das Verhältnis der Journalisten zu Politikern, von dem Augstein sagt, es sei am besten gar keins, man sollte “Fremder” bleiben. Andere sehen das nicht nur anders, die hauptstädtische Realität des Schulterklopfens wird vielmehr gepflegt und verteidigt von Elitejournalisten, die sich in einer “win-win” Situation wähnen. Das kann man so sehen, denn die einen werden mit Exklusivinformationen versorgt, die bares Geld wert sind, die anderen müssem Kritik nicht wirklich fürchten, weil sie sich erfolgreich dagegen abschirmen.

Was dabei verliert, sind Wahrheit, Transparenz, Demokratie. Und ganz en passant natürlich ein Journalismus, der seine Qualität in gerade diesen Bereichen einmal gefunden hatte. Augstein Senior stand protoypisch für diesen, der noch von Journalisten und Demokraten geprägt wurde, nicht von Parteigängern und Umsatzzielen. Das hat sich gründlich geändert, und wie dumm eindimensionales Gewinnstreben sein kann, zeigt sich nirgends so deutlich wie hier. Die Qualität der Springerpresse lag noch nie in dem, was sie “Berichterstattung” oder “Kommentar” nennt. Verkaufen lassen sich ihre Produkte gleichwohl. Wenn inzwischen beinahe alle diesen Antijournalismus für seligmachend halten, bleibt nach dem Ethos auch noch die wirtschaftliche Substanz auf der Strecke. Das hat mit einer Online-Revolution herzlich wenig zu tun.

Eine Lösung ist vor allem deshalb nicht in Sicht, weil die Medien von selbsternannten Leistungträgern für vermeintlich Ihresgleichen gemacht werden. Jakob Augstein bringt das auf die Formel:
Der soziale Aufstieg hat die Journalisten selber in die herrschende Klasse gespült: Ihre Kinder besuchen die selben Schulen, sie wohnen in den selben Vierteln, sie gehören zu den selben Clubs“.
Und sie behandeln ihr Fußvolk dementsprechend: Als Kostenfaktoren, Befehlsempfänger und Contentarbeiter. Sie betrachten Absatzeinbrüche als Kostendruck, anstatt sich um höhere Qualität zu bemühen. Sie halten sich für unangefochtene “Gatekeeper”, die ihre unmündigen Leser mit preiswerten Informationshäppchen versorgen. Ihre Werbung sagt, das sei schmackhaft und gesund, und wenn der widerspenstige Kunde das nicht goutiert, dreht man ihm dasselbe in einer neuen Verpackung an. An dem Zutaten muß dafür noch ein wenig mehr gespart werden.

Die Meinungsbürokratie der Karrieristen ist nicht nur undemokratisch und der Tod jeder relevanten Kritik, sie ist obendrein auch muffig wie das Aktenarchiv im Finanzamt. Bezeichnender Weise werden Skandale nicht mehr von Journalisten aufgedeckt, sondern von Politikern ganz offen produziert. Es wird nicht mehr mühsam ans Tageslicht gefördert, was die Herrschaft verschämt in ihren Kellern versteckt, sondern eifrig mitgeschrieben, was sie ungehemmt verkündet.

Wo sind Mut und Lust, die Suche nach der Wahrheit, die Idee von einer besseren Welt geblieben? Wen soll dieser Betrieb zum Lesen animieren? Ein böser Demagoge sagte einmal:
Wenn wir uns selbst begeistern, dann können wir auch andere begeistern.” Damit meinte er freilich nicht eine losgelassene Eitelkeit, die in arroganter Verachtung endet, verendet sind dennoch seine Partei und die schreibende Zunft gleichermaßen. Daß ihm längst der blanke Hass des Establishments aus Politik und Medien entgegen schlägt, ist die Ironie des gegebenen Zustands.

Wer Journalist werden will, sollte sich Kurt Kister oder Diogenes von Sinope zum Vorbild nehmen. Wem die Majestät die Hand reicht, der sollte noch den kleinen Finger ausschlagen. Wer will, daß dieser Beruf ernstgenommen wird, muß Unabhängigkeit fördern und leben. Und wer nicht völlig der Idiotie des selbstverschuldeten Sachzwangs erlegen ist, sollte erkennen, daß die Zukunft der Zeitung in solcher Unabhängigkeit liegt.
Sollte, könnte, müßte. Es wird wohl anders kommen. Die Schuldigen wird man schon irgendwo finden.