“Die vollends aufgeklärte Erde erstrahlt im Zeichen triumphalen Unheils“, ziterte Georg Schramm auf offener Bühne, ohne den Verursacher dieser infamen Vorabverleumdung der Informationsgesellschaft zu nennen, und Klaus Baum verlinkt das auch noch. Dabei gibt er vor, gar nicht zu bloggen, weil er krank sei.
Ich blogge heute auch nicht, zu viele Themen, zu wenig Bock. Darum lamentiere ich einfach ein wenig.
Ja, die Aufklärung! Ich hatte das neulich schon beim Andiskutieren in Robertos sinistrem Blog, daß es Erklärungsbedarf in puncto “Aufklärung” gab, dem kaum jemand nachkommen kann. Als Adorno zitierte Worte schrieb, war es gerade so weit gewesen, und das große Vergessen hatte bereits eingesetzt. Es war Nachgkrieg, der Faschismus verschwunden und der ewige Aufschwung hatte begonnen. Aufklärung nach Art der positivistischen Wissenschaften, so sollten wir es endlich kapieren, hat Auschwitz nicht verhindert, sondern erst ermöglicht.
Darüber könnten wir jetzt mal eine Viertelstunde nachdenken, aber das schaffen wir ja nicht. Es muß schließlich vorwärts gehen. Die Aufklärung liegt in guten Händen, bei Forsa-Güllner etwa, der uns in leichten Häppchen zu denken gibt, was wir alle gedacht haben, damit wir es auch morgen denken. Oder beim – jadoch, es wird langsam zur Manie – brutalst möglichen Aufklärer Roland Koch.
Was ist ein Adorno gegen Gatekeeper wie Wagner mit der Hirnlücke? Selbst ein korrupter Egomane wie Goethe wäre heute ein linksradikaler Spinner, hätte ihn nicht die Gnade des frühen Todes ereilt. Da sind wir doch aufgeklärter heute. Immerhin, es gibt die Schulpflicht, Integrationsbeauftragte und den Bachelor. Da wird doch aufgeklärt wie Blöde. Gefühlte hunderttausend Zeitungen, tausend Fernsehsender und gerade zur Adventszeit Menschentrauben in den Bücherfilialen. Völker stürmt die Regale, auf zum letzten Geschäft!
Wir werden sogar an die Hand genommen, Informationen von Qualitätsexperten und den Kräften der demokratischen Innensicherung vor- und nachbereitet. Und das ist nicht alles. Ein Rufus-Beck-Roboter wird bald alle relevanten Medien als Hörzeitung darbieten. Recherche im Internet wird unnötig, Google durch das Zentralregister der deutschen Medieninhaltsliga ersetzt und die Stimmabgabe per Wahlcomputer mit der Option auf einen Dauerauftrag eingerichtet. Dafür Rabatte beim Media Quark und A.schlecker.
Per Innernet können wir dann auch an Bundesvolksabstimmungen teilnhemen. Alles muß raus, was nicht völkisch abgestimmt ist. Der Rest votet sich glücklich. Germanys next Anything endlich demostatisch bestätigt. Steuern werden vollständig abgeschafft, Löhne werden unnötig. Gutscheine für alle für alles. Kohlrabi, Einraumwohnung, Heizpauschale. Klimawandel? Her damit, Energie frei Haus. Die Wissenschaft hat festgestellt, das ist gut für den Export. Ein paar Pflichtsunden Arbeit die Woche, und wir sind dabei. Ein paar Überstunden, und wir dürfen einkaufen, sogar mit echtem Geld! “Marktanteilsprämie” nennt sich das.
Geld gegen Leitung gibt es natürlich immer noch, allerdings nicht für jede ohnehin notwendige Tätigkeit, sondern für Trägerleistungen. Leistungsträger, die den Pflichtarbeitenden vorstehen, werden als gebündelte Marktentitäten mit qualifizierter Kundensouveränität den Aufschwung in nie geahnte Dimensionen befördern. Gutscheingedeckte Basisbedürfnisse werden vom Markt genommen, da sie nicht wachstumsfähig sind. Das ist die Zunkunft! Der neue Solidarpakt sorgt für alle: Die marktfernen Schichten sind gegen einen bescheidenen Arbeitsbeitrag (Hans-Werner-Sinn-Woche) versorgt, die Marktteilnehmer verzichten auf ihre Basisgutscheine. Eine Volksabstimmung hat nach gründlichster Aufklärung durch Medien und Parteien 89% Zustimmung für dieses Modell ergeben. Die Linkspartei löst sich auf und geht in den Untergrund, wo sie bereits mit warmen Wolldecken und kostenloser Heimunterbringung erwartet wird.
Ich gehe in die Küche, hole Küchenrolle und Glasreiniger und reinige den Monitor von der ekligen Spucke. Tippfehler bleiben unkorrigiert. Wer welche findet, darf die “Dialektik der Aufklärung” und “1984″ lesen. Nach erfolgreicher Lektüre sind die Probanden als Kommentatoren wieder zugelassen.
Dezember 4th, 2009 at 08:06
Ich weiß zwar nicht ob die Lektüre bei mir erfolgreich war, aber für eine Zustimmung des Vergleiches reicht’s allemal. Ich würde das jetzt mal nicht als Lamentieren bezeichnen. Klingt eher nach gesundem Menschenverstand. Dafür brauchts jetzt aber auch nicht unbedingt Adorno. Den verwendet heute sowieso jeder wie es ihm passt, unabhängig davon ob er was verstanden hat, oder nicht.
Dezember 4th, 2009 at 09:47
Och, ich finde sie schon hilfreich, den alten Wiesengrund und seinen Kumpel Max. ;) Denn eine der Fragen, die sich stellen, ist ja, ob wir einfach nur mehr brauchen von der Aufklärung, oder vielmehr auch eine ‘Aufklärung der Aufklärung’. Vielfach liest man auch bei kritischen Geistern ex- oder implizit eher nur das erstere heraus, dass man sich nur wieder besinnen müsse auf die Tradition von Liberalismus und Aufklärung. Und übersieht dabei sowohl deren Gebundenheit an Aufstieg (und Fall…) der Bourgeoisie als auch das Entstehen neuer Götter und Götzen wie bspw der Zweckrationalität, die eben auch den ‘Betrieb’ Auschwitz ermöglichte. Eben diese verdammte Dialektik…
Dezember 4th, 2009 at 15:41
@Peinhard
Stimme ich zu. Aber da gibt es doch auch noch ein paar andere schöne Bücher. (Auch ohne Max ;-) Auch denke ich, das man kaum ein Wahlvolk über Aufklärung aufklären kann, wenn man die Aufklärung in Frage stellt, während man zudem noch ohne aufklärerische Gedanken kaum Chancen dazu hätte. Puuuh.
Dezember 4th, 2009 at 16:06
Den Aspekt der Zweckrationalität beschreibt Marcuse ja auch schön als die “technologische Rationalität”, durch die alles, Natur und Menschen, zu einem bloßen Instrument, zu einem Mittel an sich werden, und dies zu Zwecken, die nur noch durch die Herrschenden und für den Erhalt der Herrschaft gesetzt werden.
Dezember 4th, 2009 at 18:07
Nun, ich komme demnächst wieder vorbei. Zu betrachten, ob die Aufklärung der Aufklärung an der Aufklärung hat vorbeiziehen können längs der Skala der philosophischen Notwendigkeiten.
Wichtiger noch könnte sein, rechtzeitig Höhlen zu finden, sowie deren Ausstattung mit geeignetem Mobilar. Ja natürlich, Bücherregale gehören dazu.