Demokratie, Rechtsstaat, Desinteresse
Posted by flatter under JournalismusKommentare deaktiviert
29. Nov 2009 23:53
Angesichts der Zustände in Hessen, der Fälle Brender und Lochthofen sowie des Minarett-Verbots in der Schweiz kam ich heute sehr ins Grübeln, aber meine feier-geschädigten Synapsen brachten nicht so recht Ordnung ins Chaos. So etwas wie “Hättens’ lieber einen Rechtsstaat oder eine Demokratie?” schwirrte da herum, und alle, die gern nach Volksabstimmungen rufen, sollten sich gut überlgen, ob sie das wirklich wollen. Und unter welchen Bedingungen.
Auch liegt die Bezeichenung “mafiös” in einigen Verflechtungen der endzeit-demokratischen Politikorganisation nahe. Man kann jetzt darüber meditieren, wieviel Gewicht dem Unterschied zwischen gewissen Hessen und dem echten Berlusconi (via) beizumessen ist.
Kaum zu bestreiten ist der auch amtlich beförderte Niedergang des kritischen Journalismus und die fatale Wirkung dieser Entwicklung. In Fieberträumen vom großen Geld deliriere ich über die Gründung einer Journalistenschule und eines auch-Print-Mediums. Ich bin davon überzeugt, daß Qualität noch organisierbar ist und darin eine notwendige Bedingung für eine Demokratie besteht, die dieser Bezeichnung würdig wäre. Wo zur Hölle sind bloß die Förderer einer unabhängigen Öffentlichkeit?
November 30th, 2009 at 00:42
Wie unabhaengig koennte denn eine Oeffentlichkeit sein, die sich auf Foerderer stuetzt?
Oder anders – wie sorgt man dafuer, dass so ein Foerder(er)-Verhaeltnis nicht in ein Abhaengigkeitsverhaeltnis neuerer Art umschlaegt?
Ja – nenn’ mich ruhig Miesepeter .. grmmbl
November 30th, 2009 at 00:47
Immer nur relativ unabhängig, aber machen wir uns nix vor: Erst einmal braucht es Geld.
Wie unabhänig war der Spiegel von Augstein? Wie unabhängig ist ein Künstler vom Mäzen?
Im besten Falle immer noch wesentlich unabhängiger als eine beliebige Redaktion, die mit verdummten Abschreibern eine Befehlskette bilden.
November 30th, 2009 at 00:55
Hier noch ein Beispiel fuer den Zustand der sogenannten Qualitaetsmedien. Eigentlich wollte ich dazu was bloggen, aber dieser Artikel ist so grottenschlecht, dass man sich jeden Kommentar dazu sparen kann. Und ausserdem hat Dein Blog die groessere Reichweite.
;-)
Fuer alle die sich nicht trauen, dem Link zu folgen, hier eine Kostprobe:
“Gesundheitsminister Philipp Rösler ist der Schreck über das, was da gerade in der Regierung passiert ist, deutlich anzusehen. Er ist eigentlich nur noch zum Ball gekommen, weil sich seine Frau Wiebke so sehr auf das Ereignis gefreut hatte. Nachdem ihr Mann vor vier Wochen mehr oder weniger zum Gesundheitsminister nach Berlin dienstverpflichtet wurde. Und sie nun mit den Zwillingen und dem neuen Haus ganz allein in Hannover zurückbleibt. Und natürlich Cornelia Pieper. Scheinbar ziellos sieht man die FDP-Staatsministerin im Außenministerium in ihrem braungüldenen Abendkleid noch lange nach Mitternacht durch die Säle treiben.
Wenn dennoch so etwas wie ein Stern über der Veranstaltung leuchtet, dann ist es der eines Abwesenden. Die Grünen-Chefin Claudia Roth sagt: „Ich weiß nicht, ob er tanzen kann. Aber ich würde mal tippen: Selbst das kann er gut.“ Sie meint den Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg, Jungs Nachfolger, der klar und deutlich zu sprechen vermag und dessen Sätze darüber hinaus auch oft mit Substanz und Vernunft gefüllt sind. Schon allein dadurch scheint er sich – was die öffentliche Wahrnehmung angeht – abzuheben von seinen Kollegen im Kabinett.”
:-K..o…t..z
November 30th, 2009 at 03:13
Schöner Gedanke, aber nach meiner Auffassung ziemlich idealistisch.
Warum sollte in einer Gesellschaft, die das “Haste was, dann biste was!” zur Grundbedingung macht, ausgerechnet der Journalismus frei von der Ökonomisierung des gesamten Lebens sein? So wird es immer Abhängigkeiten geben, alles andere bezeichne ich mal vorsichtig als Wunschdenken. Mäzenatentum in seiner ursprünglichen Form ist irgendwie aus der Mode gekommen, weil die materielle Rendite wohl mit aktuellen Auffassungen kollidiert, weil sie nahe Null liegt. Von einer ideellen Rendite mag ich angesichts der um sich greifenden Verblödung in diesem Land sowieso nicht mehr sprechen.
Ich mache mir selbst nichts (mehr) vor, unabhängiger Journalismus wird in diesem gesellschaftlichen System nicht existent sein können. Und die, die etwas ändern könnten (haben es ja 1989 schon einmal gezeigt, wie man ein ganzes System stürzt), haben momentan ganz andere Sorgen. Maslow und seine Bedürfnispyramide lassen grüßen!
November 30th, 2009 at 04:20
flatter, hör auf zu träumen. Diejenigen, die das nötige Geld und den nötigen Einfluss haben, eine “unabhängige Öffentlichkeit” fördern zu können (das ist ein Paradoxon in sich selbst), haben kein Interesse daran. Denn eine funktionierende “unabhängige Öffentlichkeit” würde dazu führen, dass sie bluten müssten – und das nicht mehr “freiwillig”.
Bestimmt gibt es auch einzelne Reiche (vielleicht sogar viele), die sich ein scheinbares “soziales Gewissen” bewahrt haben – diese finden es beispielsweise “schrecklich”, dass weltweit so viele Menschen verhungern und verdursten, während sie selbst in Saus und Braus leben – und sie engagieren sich dann eben in entsprechenden humanitären Organisationen oder lieber noch über eigene Stiftungen (das spart Steuern), wie beispielsweise der liebe Multimilliardär Bill Gates. Aber eine Systemänderung oder ein Umsteuern haben diese Leute gewiss nicht im Sinn.
Verabschieden wir uns von dem Gedanken einer “vierten Gewalt” namens Journalismus – Journalisten sind nichts weiter als zur Prostitution gezwungene Huren des Kapitals. Ich bin selber einer, ich weiß, wovon ich rede.
November 30th, 2009 at 09:05
@ Charlie
“Verabschieden wir uns von dem Gedanken einer “vierten Gewalt” namens Journalismus – Journalisten sind nichts weiter als zur Prostitution gezwungene Huren des Kapitals. Ich bin selber einer, ich weiß, wovon ich rede.”
Wie gut ich diese Sätze nachvollziehen kann. Ich habe ein Jahrzehnt als Redakteur gearbeitet (Zuarbeit für Kollegen in Print-Presse, Funk und Fernsehen) und kann diese Worte nur unterstreichen.
Ich habe mal dem stellvertretenden Chefredakteur einer Tageszeitung gesagt, dass ich den Spruch “Der Schuster hat die schlechtesten Schuhe” erst richtig inhaltlich nachvollziehen kann, seit ich mit Journalisten arbeite.
November 30th, 2009 at 11:50
John Swinton, Chefredakteur der New York Times:
Bis zum heutigen Tag gibt es so etwas wie eine unabhängige Presse in der Weltgeschichte nicht. Sie wissen es und ich weiß es. Es gibt niemanden unter ihnen, der es wagt, seine ehrliche Meinung zu schreiben und wenn er es tut, weiß er im voraus, dass sie nicht im Druck erscheint. Ich werde jede Woche dafür bezahlt, meine ehrliche Meinung aus der Zeitung herauszuhalten, bei der ich angestellt bin.
Andere von Ihnen werden ähnlich bezahlt für ähnliche Dinge und jeder von Ihnen, der so dumm wäre, seine ehrliche Meinung zu schreiben, stünde auf der Straße und müsste sich nach einem neuen Job umsehen. Wenn ich meine ehrliche Meinung in einer Ausgabe meiner Zeitung veröffentlichen würde, wäre ich meine Stellung innerhalb von 24 Stunden los. Es ist das Geschäft der Journalisten, die Wahrheit zu zerstören, unumwunden zu lügen, zu pervertieren, zu verleumden, die Füße des Mammon zu lecken und das Land zu verkaufen für ihr tägliches Brot. Sie wissen es und ich weiß, was es für eine Verrücktheit ist, auf eine unabhängige Presse anzustoßen. Wir sind die Werkzeuge und Vasallen der reichen Männer hinter der Szene.
Wir sind die Hampelmänner, sie ziehen die Strippen und wir tanzen.
November 30th, 2009 at 12:07
>>Ich bin davon überzeugt, daß Qualität noch organisierbar ist und darin eine notwendige Bedingung für eine Demokratie besteht, die dieser Bezeichnung würdig wäre. Wo zur Hölle sind bloß die Förderer einer unabhängigen Öffentlichkeit?<mercenario, der gefürchtete< endet mit den worten, die franco nero = mercenario dem revolutionär paco zuruft: "paco, träum weiter, aber träume mit offenen augen."
November 30th, 2009 at 12:08
Das ist alles nicht schön, und gut erst recht nicht, und ich fühle mich auch ganz gern mal vom Praktiker bestätigt in meinem Wissen über die Medienmaschinen.
Aber wenn das heissen soll, dass die damit belieferten Leute nicht merken können dürfen sollten, dass sie einer Riesenverarsche aufsitzen, dann ist das eine unbegründete Vermutung.
Auf der Basis einer insgeheimen Manipulationstheorie wird hier an einer Theorie der Vergeblichkeit (von Aufklärung)gebastelt.
Falls ich mich darin irre, sollte mir das sehr recht sein.
November 30th, 2009 at 21:34
“Unabhängig” wäre schön – wird es aber wahrscheinlich nie geben – und wie weit es das jemals gegeben hat wage ich auch zu bezweifeln. Wir leben in einer Welt in der jedes Medium gezwungen ist genügend Geld zu verdienen um weiterbestehen zu können und alles was eben diesen “Zweck” beeinträchtigt muss unterdrückt werden.
Die von Margareth getätigte Aussage “Es ist das Geschäft der Journalisten, die Wahrheit zu zerstören, unumwunden zu lügen, zu pervertieren, zu verleumden,…..” finde ich zwar schrecklich – vielleicht auch etwas übertrieben – aber leider im Kern wahr.
Wie haben es geschafft eine Welt aufzubauen die von Information aus allen Nähten platzt – und das einzige was dies bei mir bewirkt hat ist, dass ich inzwischen jeder Information gegenüber immer mißtrauischer werde.
Oder wie ich irgendwo mal gelesen habe ” Der erste Gadanke wenn man was liest oder hört muss es sein – WEM nutzt diese Information und was wird damit bezweckt”.
Schade, dass die Wirklichkeit eine derartige Haltung als sehr berechtigt aufzeigt.
November 30th, 2009 at 21:44
Qualität noch organisierbar…
Na klar! Braucht ein paar Leute, die mit Einverständnis der Autoren gute Blogeinträge täglich zusammenstellen. Braucht einen gelungenen Start und dann nur noch Entwicklung. Ich meine, so was könnte für den dargebotenen Qualitätsjournalismus irgendwann wie letzte Kippe austreten sein.
November 30th, 2009 at 22:58
In einem System strukturell entgegengesetzter und widerstreitender Interessen, in dem es ‘gemeinsame’ auch nur insofern gibt, als sie sich wiederum gegen andere richten, kein Wunder. Natürlich gibt es widerstreitende Interessen ‘auch so’ und ohne dies, aber gerade der Kapitalismus darf für sich in Anspruch nehmen, das sytematisch perfektioniert zu haben und die Konkurrenz letztlich in jeden Lebenswinkel zu tragen. Apologetisch wohlmeinend nennt man es auch ‘Individualismus’ oder ‘Eigenverantwortung’ – und meint damit doch nur die Negation des Gesellschaftlichen und Gemeinsamen.
Dezember 1st, 2009 at 04:46
Schlimmer als die Parteiendiktatur in Deutschland kann es nicht werden, vorallem im Hinblick darauf, was in der letzten Zeit so alles gefordert und letztlich auch umgesetzt wurde.
Dezember 1st, 2009 at 11:07
Es fehlt doch bloß ein einziges Portal mit niveauvoller Gegenöffentlichkeit und Provokation – und gut is!
Dezember 1st, 2009 at 11:52
@Peinhard
Du sagst es mal wieder beinhart.
Gebsn!
Vielleicht sollte man das Apologetische der Eigenverantwortung aber doch mehr in Richtung aggressiven Marketings und Propaganda der wahren Werte nehmen.