FDP: So komisch ist Kapitalismus
Posted by flatter under PolitikKommentare deaktiviert
23. Nov 2009 22:25
Marktfreiheit, Ungleichheit, Eigentumkeit, die drei Leitblödheiten der großbürgerlichen Restauration, durchmiefen den Restgeist der Friedhofswärter des Liberalismus. “Freiheit”, das bedeutet für die einen die Befreiung ihrer Lebenswelt vom Pöbel, für die anderen die Befreiung von ihren Rechten und ihrer Existenzgrundlage. Freiheit als Eigentum meint in bezug auf Wohnraum zum Beispiel, daß man so viel wie möglich davon besitzen und so wenig wie möglich bewohnen kann. Eine Wohnung nicht zu benutzen, ist gleiches Recht für alle. Die es sich leisten können, haben es eben und stellen nicht den Anspruch, sich in all ihren Immobilien abends ins Bett zu legen. Die es sich nicht leisten können, müssen ihr Bett halt unter freien Himmel beziehen. Freier geht es doch gar nicht.
Daher ist es auch erzliberal, wenn Mieter ebenso lange Kündigungsfristen einhalten müssen wie Vermieter. Es kann zwar niemand schon ein Jahr im Voraus wissen, daß er sich womöglich genötigt sieht, den Wohnort zu wechseln, aber auf solche Probleme kann der Markt doch keine Rücksicht nehmen. Was kann der Eigentümer dafür, daß sein langjähriger Wohungsnehmer sich den marktbedingten Preisanpassungen nicht beugen will? Oder daß der mietende Arbeitnehmer plötzlich keiner mehr ist und das Schicksal, vulgo “Arbeitsagentur” ihm einen neuen Platz im Vaterland zuweist?
Niemand hat die Absicht, Rentner vor die Tür zu setzen. Aber fair ist fair, auch hier gilt “gleiches Recht für alle”. Daraus folgt, und da sind der Markt und seine Hüter ganz kulant, daß es eben keine langen Kündigungsfristen mehr geben wird. Wer das nicht einsieht, wird sich dafür verantworten müssen, wenn Wohnungen ins Ausland verlagert werden. Wer wollte das ernsthaft dem Standort Deutschland antun?
Dem sehr liberalen Datensammer und NRW-Innenminister Wolf ist völlig klar, daß die Schar der Uneinsichtigen, die sich jeder Reform verweigern, unter den Bedingungen der konsequenten Standortsicherung zunehmend zum Extremismus neigen könnte. Daher hat er sein Superman-Cape angelegt und zeigt der verführbaren Jugend den rechten Weg – in einem Comic. “Uiuiui” sagt da die linkslastige Lotterjugend, “das ist aber gefährlich!” – und wird fortan Treue schwören zu Markt und geschützter Standort-Verfassung. Oder etwa nicht?
“Ich vertraue auf die Stärke des Rechts, nicht auf das recht des Stärkeren“, sagt der gute Junge im Comic zu den Bösen.
Komisch nur, daß der Böse das nicht nur wörtlich nimmt, sondern sich auch noch das Recht, gegen die Stärkeren ins Feld zu ziehen, weiß er doch aus seinen Büchern: “Leeres Wort, des Reichen Pflichten, leeres Wort des Armen Recht”.
Dann kommt es wie im richtigen Leben, und so lernen wir: Gegen Extremismus ist kein Kraut gewachsen. Es sei denn, man wollte den Kapitalismus abschaffen. Und worüber sollte man dann noch so herzhaft lachen?
November 23rd, 2009 at 23:07
Hi flatter,
YMMD
Wenn dat kein genialer Post iss, dann hab´ ich noch nie einen gelesen.
Noch so´n herzhafter Spruch. *lol*
Gaaaanz großes Kino. Weiter so!!
Allerbeste Grüße
November 23rd, 2009 at 23:55
“Es kann zwar niemand schon ein Jahr im Voraus wissen, daß er sich womöglich genötigt sieht, den Wohnort zu wechseln, aber auf solche Probleme kann der Markt doch keine Rücksicht nehmen.”
Hm, ich hab das so verstanden, dass die Kündigungsfrist der Vermieter auf das Maß (die drei Monate) der Kündigungsfrist der Mieter heruntergesetzt werden. Nicht, dass das die ganze Sache besser machen würde …
November 24th, 2009 at 00:09
Dazu passt auch: “Gleiches Recht für alle – jeder hat das Recht, unter Brücken zu schlafen.”
November 24th, 2009 at 00:10
[...] https://archiv.feynsinn.org/?p=2027 [...]
November 24th, 2009 at 00:11
Markus: Darauf wird es hinauslaufen, und das Argument wird sein, daß die langen Fristen, die für Vermieter gelten, den Mietern ja nicht zuzumuten wären. Man wird ihnen also ein Recht beschneiden und so tun, als sei das ein Entgegenkommen.
November 24th, 2009 at 00:58
‘Dazu passt auch: “Gleiches Recht für alle – jeder hat das Recht, unter Brücken zu schlafen.”’
Andersherum: “Es ist den Armen wie den Reichen verboten, unter den Brücken zu schlafen…” (ein Zitat, glaube ich, aber frage mich, von wem und wann…)
Es ist wohl ein kleiner Unterschied, ob man Rechte oder Pflichten verallgemeinert.
Zum Thema: Probleme mit betrügerischen Vertragspartnern hätte man auch bei eintägigen Vertragslaufzeiten! Kann es sein, daß hier nur ein Pseudoproblem aufgeschaukelt wird?
Oder glaubt einer, daß Mietnomaden sich davon abschrecken lassen, genauso, wie Miethaie?
Kopfschüttel
November 24th, 2009 at 04:13
Die paar derzeitigen Probleme mit vorsätzlichem Mietnomadentum können eigentlich nicht Grund genug sein, um damit Klientelpolitik zu betreiben. Es sieht mir eher so aus, als würde man da etwas weiter vorausschauen und mit ganz düsteren Zeiten rechnen. Wir werden sicher zwei bis drei Jahrzehnte haben, in denen Energie extrem teuer werden kann. Diejenigen mit Häuschen im Grünen, soweit nicht energieautark, können ihre Heizung ausdrehen. Für Mieter mit wenig Einkommen wird frieren zum Luxus, weil sie meistens in einer Hausgemeinschaft mitgefangen sind, wo die Heizkosten teilweise anteilig berechnet werden, normalerweise sind das 30% nach Fläche und 70% über die Ablesung. Staatliche Unterstützung in dem Ausmaß kann ich mir nicht so recht vorstellen. Wer das dann nicht zahlen kann, und das werden eine Menge sein, muss dann tatsächlich unter die Brücke, bzw. es wird einen Boom an alternativen Wohnformen geben (Zelt- und Wohnwagenstädte etc, wie in den USA, oder das Haus zum Anziehen, wahlweise in Hightech oder Wellpappe).
Ich sehe mich schon in einer Schar von Kälteflüchtlingen nach Afrika aufbrechen. Die werden ganz schön doof gucken.
November 24th, 2009 at 07:11
Freiheit und Gleichheit!
Als in Paris über ein Gesetzt diskutiert wurde, dass den Clochards das Übernachten unter den Brücken verbieten sollte wurde von einem (sicherlich nicht unvermögenden) Politiker folgende Argumentation eingebracht:
Das Verbot der Übernachtung gilt ja nicht nur für Clochards, sondern für alle, also auch für mich. Es macht keinen Unterschied zwischen Arm und Reich und ist daher doch gerecht und sozial.
Mit der FDP an der Regierung werden wir in Zukunft sehr intensiv erfahren dürfen was Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit im Sinne der Marktliberalen bedeutet.
https://www.readers-edition.de/2009/11/10/freiheit-die-ich-meine
November 24th, 2009 at 11:45
Zum comic.
Da freu ich mich auf “Andy 4″.
“Damit zeigen wir, wie neoliberale Marktextremisten demokratische Grundwerte bekämpfen und dafür auch Gewalt einsetzen.”
November 24th, 2009 at 12:07
Beliebt ist ja neuerdings auch die Auslegung des Gerechtigkeitsbegriffs:
Rösler: “Es sei ungerecht, wenn jemand für die gleiche medizinische Behandlung unterschiedlich viel bezahlen müsse.” Da wird dann die Betrachtungsperspektive so verengt, dass Gerechtigkeit zu eine reine Frage der (Geld-)Quantitäten wird. Dass aber in der höheren Perspektive diese unterschiedliche Belastung gerade die sozialen Ungerechtigkeiten lindern soll, dass will er nicht wahrhaben und verweist auf das Steuersystem, welches der einzige Mechanismus sein soll, hier Ausgleich zu schaffen (Wer hat das beschlossen? die FDP?), wobei seine Parteifreunde gerade dabei sind, das Steuersystem ebenfalls in Richtung “Steuerkopfprämie” zu entwickeln.
https://www.brainlogs.de/blogs/blog/geschlechtsverwirrung/2009-11-18/von-gleichheit-und-ungleichheit
November 24th, 2009 at 12:15
Das gesuchte Zitat stammt von Anatol France:
Das Gesetz macht alle auf erhabene Weise gleich: Es verbietet allen Menschen unter Brücken zu schlafen und Brot zu stehlen – den Armen ebenso wie den Reichen.
November 24th, 2009 at 14:47
Und das ist der perfide Kern der ‘Gleichheit vor dem Gesetz’: Ungleiches gleich zu behandeln ist der beste Garant dafür, dass eben diese Ungleichheit fortbesteht…
November 24th, 2009 at 15:45
Genau das haben der Anatol und andere findige Köpfe gemeint, als sie sich den Rechtsstaat näher ansahen, und keinesfalls zu dem erbaulichen Schluß des Sozialkundeunterrichts kamen, da sei dem Recht des Stärkeren Paroli geboten.
November 24th, 2009 at 22:28
Drüben auf Phoenix erklärt mir gerade ein Politclown der FDP und ein INSM-Scherge das Vermögenssteuer nicht sozial gerecht ist und die armen kleinen Mittelständler damit sofort in den Konkurs reißen…
November 25th, 2009 at 03:41
Frei nach Marx (denke ich jedenfalls):
Eine Idee wird zur materiellen Gewalt, wenn sie die Massen ergreift.
November 25th, 2009 at 09:18
@Schrödibär: Ja. Manchmal frage ich mich ja, ob die Leute wirklich so blöd sind, oder nur so tun. Z.B. dieses unerträgliche Gewinsel darüber, daß ca. 20% der Bevölkerung ungefähr 80% an Einkommenssteuer abdrücken. Ungerecht, nicht? Bis man dann erfährt, daß diese 20% auch ungefähr 80% des Einkommens kassieren, grob gesagt. Das wäre nach dieser Denke dann auch ungerecht. Nein? Verdammt!! ;-)
November 25th, 2009 at 10:13
Das Diskriminierungsverbot in Art. 3 GG (das ja auch für die Benachteiligung aufgrund des Status gilt) sagt mitnichten, dass alle gleich behandelt werden sollen. Es sagt, dass wesentlich Gleiches nicht willkürlich ungleich und wesentlich Ungleiches nicht willkürlich gleich behandelt werden darf.
Die derzeitige Entwicklung in Deutschland dürfte den Richtern nicht entgangen sein, die Auslegung insbesondere der sozialen Aspekte von Art. 3 dürfte also in Zukunft an Wichtigkeit gewinnen.
Insofern wäre es vielleicht gut, tief durchzuatmen und – sollte sich die Verabschiedung des entsprechenden Gesetzes abzeichnen – eine Klage vorzubereiten. Mit entsprechender Argumentation dürften die Chancen, dass es vom BVerfG kassiert wird, gar nicht so schlecht stehen. Aber das dauert halt – der Richterspruch zu Hartz IV steht ja auch noch aus…
November 25th, 2009 at 10:16
@Alvar Hanso: bin ich gestern auch ganz kurz drin hängengeblieben – bis einer der beiden erklärte, bei einer Vermögensteuer von 10% könne man das gerade mal 10 Jahre lang zahlen, dann sei das Vermögen auf Null…
November 25th, 2009 at 11:34
…und spätestens da müsste dann die Frau Moderatorin mal beherzt eingreifen und diesen Schwachsinn widerlegen.
Tut sie aber nicht, denn das höchste Gut was ein Journalist/Redakteur/Moderator hier offensichtlich verteidigt ist eine pervertierte Form der Neutralität.
Man lässt also der Quoten wegen 2 oder mehr Meinungen, die weder begründet noch richtig sein müssen, gegeneinander “streiten”, bzw. die jeweiligen realitätsfernen PR-Phrasen und Werbung austauschen und eupheminisert das zur politischen Meinungsbildung.
Vollendetes Polit-Entertainment.
November 25th, 2009 at 13:17
@14 un 18
hab ich auch kurz gesehen! die spd tante und der soziale millionaer haben sich ja redlich geschlagen, haetten aber imho ruhig den beiden neolibs die fresse einschlagen koennen. irgendwie waechst langsam die wut in mir!
November 25th, 2009 at 13:21
gibt mittlerweile einen link zur diskussion. tut weh!
gugst du!
November 25th, 2009 at 13:26
argh. hier der direkt-link.
November 25th, 2009 at 13:32
Un zitiere mal “Nanuk” dazu:
https://www.weissgarnix.de/2009/11/24/die-bose-krise-und-ihre-grose-schwester/#comments
#40
Nanuk 25. November 2009 um 09:44
” Ihr hab immer noch nicht verstanden worum es geht!
https://www.phoenix.de/content/phoenix/die_sendungen/diskussionen/275417
Da sitzt ein Millionär der würde gerne mehr Steuern zahlen schaut euch die Sendung an.Es geht um Dividere et Impera die Macht der FDP würde sich in Luft auflösen wenn sich Gläubiger und Schuldner einigen würden…
So jetzt sortieren wir mal nach Berufsgruppen…
Nicolette Kressl (SPD) Berufsschul Lehrerin die hat Kontakte zur Wirtschaft also bei mir rufen die ständig an ;)
Bruno Haas (Initiative Vermögender für eine Vermögensabgabe) Unternehmer
Die einzigen die nichts aber überhaupt nichts mit Unternehmern zu tun haben ja nicht mal ne ahnung haben was es heist sind die anderen beiden.
Volker Wissing (FDP) Jurist
Max A. Höfer (Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft) Journalist
Also vertreten die nicht die Interessen der Unternehmer sondern es ist schlicht und ergreifend der kalte, berechnende Haß gegen Recht, Gesittung und Ordnung, es ist der Neid der Asozialen, die Zerstörungswut total negativer Elemente, die ihre kriminelle Einstellung zur Gesellschaft mit politischen Motiven tarnen.
Ja so einfach ist es es sind zerstörer des Gemeinwesens.
Ihr Millionäre ihr sollt nicht Konsumieren ihr sollt das Geld zur Bank bringen damit die mächtiger werden mir ist es egal ob jemand 40 Porsche besitzt nicht egal ist mir wenn Fonds Wälder zerstören oder Konzerne ganze gegenden verwüsten…Die wollen nämlich das ihr euer Geld Investiert und ich will das ihr es ausgebt und euch ein schönes Leben macht!”
Und solange sich an dem Berufsbild der Medienschaffenden nicht gründlich etwas ändert, werden wir derartige nonsense-Diskussionen auch noch in 500 Jahren führen.
Zu genau dem gleichen Thema, vermutlich auch mit genau den gleichen Leuten.
November 25th, 2009 at 16:10
Natürlich gibt es diese ‘Elemente’ – trotzdem würde ich mich schwer hüten, das Problem insgesamt zu personalisieren oder auf persönliche Eigenschaften wie Neid, Mißgunst, Gier etc abzustellen. Die treibende Kraft dahinter ist das ‘automatische Subjekt’, das Kapital – und das ist auch kein Ding, sondern ein stetiger und somit auch stetiger Wandlung unterliegender Prozess. Und der muss beständig Arbeit ansaugen und in Geld- oder Sachkapital verwandeln – was ihm aber nicht zuletzt wegen der Entwicklung der Produktivität einerseits und entweder gesättigten oder ausgetrockneten Märkten andererseits immer weniger gelingt.
Die ‘Elemente’ machen sich insofern nur zum Sprachrohr dieses immer prekäreren Prozesses, indem sie annehmen, mit Vergünstigungen für das Kapital einerseits, mit Sozialabbau und Lohndumping andererseits liesse sich die Profitabilität gewährleisten, während die ‘Netteren’ mit ihrem Glauben an Umverteilung von oben nach unten zwar sozialer gestimmt sind, aber letztlich auch das gleiche Ziel verfolgen. Beide setzen nach wie vor auf das Hirngespinst unbegrenzten Wachstums und sind sich – wenn man ‘moralische’ Überlegungen mal beiseite lässt – nur über den Weg uneins.
Mehr als höchstens kurzfristige Aufschübe können aber beide Ansätze nicht erreichen, sie nehmen die Sache nur von verschiedenen Seiten in die Zange. Die unsoziale Variante kürzt sich sukzessive die eigene Nachfrage weg, die sozialere möchte eben diese Nachfrage dadurch vergrößern, dass sie die Profite quasi direkt statt ‘nur’ indirekt angreift. Welche Art von Aufschub sympathischer ist, dürfte klar sein – ebenso klar sollte aber auch sein, dass beide eben keine ‘Lösung’ der darunterliegenden grundlegenden Widersprüche bieten können.
November 26th, 2009 at 20:49
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