Im real existierenden Nichtkapitalismus, aka den Staaten des Warschauer Vertrages, gab es mit der Bezeichnung “Konterrevolutionär” ein klares Feindbild für den braven staatssozialistischen Genossen. Das war nicht immer praktisch, denn das Spektrum dessen, was darunter gefasst werden konnte, war beinahe beliebig erweiterbar. Immerhin hatte man für den offiziellen Sozialismus zu sein, und wer dagegen war oder so erschien, hatte es schwer.
Mit der Zeit verblasste der Vorwurf auch, denn man hatte sich eben daran gewöhnt, dass das ziemlicher Quatsch war. Es gab keine Säuberungen mehr, in Polen war es ausgerechnet die Arbeiterschaft, die sich konterrevolutionär gebärdete, in der Sowjetunion gab es ein großes Experiment, das andere Sorgen machte und in Ungarn sind sie gar fröhlich durch den Vorhang geschlüpft.
Ruhig bleiben
Der Freie Westen® hatte dergleichen nicht nötig, war doch hier alles gut und freiwillig®. Das Feindbild waren die Bösen von drüben, bei denen eben alle gezwungen wurden. Kaum aber hatte sich der Eiserne Vorhang ganz gehoben, kaum war das abstrakte Feindbild des ‘Kommunismus’ ein Gespenst der Vergangenheit, kaum war die militärische Bedrohung perdu, da wurde hier aufgerüstet. Der Feind war nicht mehr der Kommunist im Osten, es drohte nicht mehr der Weltkrieg. Der Feind ist der Terrorist® überall, und wir traten in einen zeitlich und räumlich unbegrenzten Krieg ein.
Derweil wurde uns gesagt, dass wir uns ruhig zu verhalten haben. Den Autoritären vertrauen. Außerdem haben wir uns so zu verhalten, dass sie uns vertrauen® können. Die Autoritäten. Und ganz nebenbei natürlich die Märkte®. Ruhig bleiben, bloß kein Geld abheben. In die Zukunft vertrauen, investieren. Riesterrente, Lebensversicherung private Altersvorsorge®. Wir müssen den Märkten® vertrauen, damit die Märkte® uns vertrauen®.
Sicherheit geht vor
Wir müssen fleißig sein und bescheiden, die Märkte® brauchen das. Wer faul ist, den können wir nicht mehr tragen. Das geben die Märkte® nicht her. Sie geben auch nicht her, dass die Faulen noch hierher kommen. Sie müssen gehen. Die Ausländer, die wir nicht brauchen können, müssen gehen, sonst müssen wir sie verhaften. Wir sagen das ganz offen.
Derweil ist die neue Bedrohung® allgegenwärtig. Ein Verräter hilft den Terroristen, aber weil wir der Freie Westen sind, droht ihm keine Todesstrafe. Ein wenig werden wir die Freiheit® trotzdem den Gegebenheiten anpassen müssen. Sicherheit® ist das Supergrundrecht®, dem sich alles andere unterordnen muss. Es gibt keine Freiheit ohne Sicherheit®.
Sicherheit und Vertrauen®, das brauchen auch die Märkte®, für die wir fit sein müssen. Daher gibt es jetzt Wohnanlagen® für das Training von Langzeitarbeitslosen und anderen Behinderten. Hier werden diejenigen auf nützliche Tätigkeiten vorbereitet, die sonst unnütz® wären. Die Lage ist kompliziert, wir brauchen eine Vielzahl ganz unterschiedlicher vertrauensbildender Maßnahmen®. Wir sind der Freie Westen®, bei uns gibt es keine Konterrevolutionäre. Alles, was wir tun, tun wir für das große Ganze®. Für unsere Freiheit®.
August 5th, 2013 at 03:33
Jau … so siehts aus….
mein nichtschlafenkönnen hat mich Deinem Artikel zugewandt…..
Durch den Traum an einen Gaukler bin ich aufgewacht !
Kurz: der Traum Freiheit, Freiheit über alles….
das war das neue Lied der Deutschen…..
jetzt versuche ich wieder zu schlafen……..
August 5th, 2013 at 08:25
Warum ergreift mich das Gefühl der Ohnmacht?
Und warum begreife ich den Sinn der “Alternativlosigkeit” erst jetzt?
August 5th, 2013 at 10:37
Für die “Pyramiden” unserer Tage braucht man mehr Arbeitskräfte, die billiger sind als Maschinen. Übrigens eignen sich für die Arbeit in einer Tretmühle auch Blinde, wobei sogar das Licht gespart werden kann.
Unsere “Eliten” wissen, wie man sich auf ein durch Ressourcenmangel entstehendes nachtechnisches Zeitalter vorbereiten muss, so dass die “Eliten” es weiterhin bequem haben können.
August 5th, 2013 at 10:55
Man könnte sich fragen warum wir denn als einziger EU-Staat keine Geschwindigkeitsobergrenze eingeführt haben, wenn unsere Besteste Bundesregierung aller Zeiten™ doch Sicherheit als ein Supergrundrecht® sieht.
Aber nein, sowas könnte ja den Märkten® schaden!
Denn die Sicherheit der Märkte® hat höchste Priorität.
August 5th, 2013 at 11:32
@flatter
Der Defätismus hier kennt wohl keine Grenzen?? Dess iss alles TINA® wie Du ja treffend schreibst, also halt’ Dich auch dran! ;-)
PS.: Wenn da doch, lt. Frieda, 45 Terroranschläge verhindert worden sind – und Schübülü schließt sich an: “Alles wegen Terrorvermeidung” – dann stellen sich doch Fragen: Wer sind die Kerle, die dahinterstecken? Wer hat die verhaftet? Von wem werden die verhört? Und vor allen Dingen: Wo? (doch nich in G…?)
August 5th, 2013 at 12:04
“Der Freie Westen® hatte dergleichen nicht nötig, war doch hier alles gut und freiwillig®.” – Viele Tränen hab ich vergossen – vor Lachen – als unsere Repräsentanten und ihre Wasserträger angesichts der Veröffentlichungen über das BRD-Dopingprogramm davon stotterten, daß unser Doping schließlich freiwillig gewesen sei, sytemisch und nicht systematisch und was sie sich sonst noch für einen Dünnsch aus den Windungen drücken. Es lebe der freie Westen !
August 5th, 2013 at 13:00
@Flatter
Freiheit… das ist unterm Kapitalismus ne tolle Sache. Frei sein sich in der Lohnarbeit zu schinden, frei sein die Zumutungen von Boss, Staat und “geistigem Leben” (Toto&Harry, BLÖD, Bayreuth) zu ertragen, frei sein das über einen im Sinne der Verwertung herrschende Personal selbst “wählen” zu dürfen.
August 5th, 2013 at 13:37
Oops, was ist das? Ein komplett geiler Artikel in der FAZ von Claudius Seidl.
August 5th, 2013 at 14:04
@8: Das ist genau die Sorte treffender Artikel, wie man sie in neuerer Zeit in der FAZ öfter lesen kann – aber nur, nur im Feuilleton.
Die Redaktionen der “seriösen” Bereiche produzieren derweil überwiegend gequirlte Kacke.
August 5th, 2013 at 16:07
High sein, frei sein, mit 5 Öcken dabei sein.
Ob mir eine Leiharbeitsfirma den Slogan abkauft?
August 5th, 2013 at 16:27
https://www.arte.tv/de/high-sein-frei-sein-ueberall-dabei-sein/1592366.html
kam mir irgendwie bekannt vor! “Das Wir entscheidet” hatte die spd auch geklaut!!!
August 5th, 2013 at 16:40
Ihr wisst schon, dass es im Original heißt: “Terror muss dabei sein”? Nicht dass die Idioten vom VS hier was verpassen …
August 5th, 2013 at 16:41
@Hans Torbin
Der hammerharte Witz ist ja, daß die Sozen unserer Kleinstadt sich ihr Fest zum 150′sten und ihr Werbematerial von einer Leiharbeitsfirma finanzieren ließen. Wirklichkeit voraus! Mir fällt dazu nix mehr ein!
August 5th, 2013 at 16:42
Vielleicht sollte man mal die 100 Euro riskieren und sich 200 Prekäre für ne Stunde einkaufen, die tun ja, was man ihnen sagt, oder?
August 5th, 2013 at 16:42
@flatter
Ich bin dafür zu alt…
August 5th, 2013 at 16:51
@flatter
Mal so betrachtet ist das gar nicht mal so eine schlechte Idee. Ne richtige Demo, jedem 5 Öcken in die Hand gedrückt, ja das macht mich nachdenklich. Irgendwie muß ich ja mal meine Erbschaft auf den Kopp haun.
August 5th, 2013 at 17:44
“Zu alt” gibt’s eh nicht. “Alt genug, um nix mehr zu verlieren” ist die Devise.
August 5th, 2013 at 18:49
@17: Gilt nur für beziehungslose Singles ohne Nachkömmlinge.
August 5th, 2013 at 19:05
Ach wat, man muss irgendwann loslassen können, aber vielleicht bist du zu jung ;-)
August 5th, 2013 at 19:54
Luege ist Wahrheit in Variation. Mein heutiges Tagewerk.
August 5th, 2013 at 20:14
@13:
Die Partei der Sozen macht einen auf modern und tarifgebunden – Focus Link: https://tiny.cc/72uc1w
Das Ganze kam im Juli auf fefe.
“Wir müssen fleißig sein und bescheiden, die Märkte® brauchen das.”
Klar, das reden sich die Bürger jeden Tag ein, bis sie am Ende des Arbeiterlebens ein dickes Loch in der Rentenkasse sehen und sich fragen, warum sie all die Jahre einzahlten, am Ende aber die Miete nicht mehr bezahlen können.
Steigende Obdachlosenzahlen sind zu erwarten, aber das wird die Meisten nicht stören. Ich bin’s ja “noch” nicht.
Es wird in dieser Zeit immer schwerer, das tatenlose Volk zu betrachten. Auf der anderen Seite ein idealer Spielplatz der Regierenden und ihrer Lenker, das Volk weiter vor sich herzuschubsen und zu demütigen. Das frustriert.
August 5th, 2013 at 21:49
Absolut empfehlenswert wäre in diesem Zusammenhang “Bohus/Wolf Arehult: Interaktives Skills Training für Borderline-Patienten, 2. Aufl. Schattauer Verlag 2009, 2013″
Vergleichen: Denken Sie an Menschen, denen es schlechter geht. Lesen Sie z.B. die BILD-Zeitung, beschäftigen Sie sich mit Unglücken und Hungersnöten oder denken Sie daran, wie schlecht es Ihnen früher ging (“Heute habe ich eine schöne Wohnung, früher…”)
Offizielles Infoblatt zur Stresstoleranz, Bildungsprogramm privater REHA-Kliniken – finanziert von den Rentenversicherungsträgern und Krankenkassen.
August 5th, 2013 at 22:19
TR0LL meint:
August 5th, 2013 at 19:54
Luege ist Wahrheit in Variation. Mein heutiges Tagewerk
oder
Die Wahrheit kann warten/ von Arthur Schopenhauer
Jetzt weiß ich warum mir der flatter so bekannt vorkommt (mit oder ohne ab strichen).
Schon damals war es so geh-wessen und wurde bemängelt.
Die Zeiten mögen sich ändern die Zustände bleiben die selben.
August 5th, 2013 at 22:35
Boa, mir klappen sich die Fußnägel hoch!
Ein widerlicher Text. Und treffend.
August 6th, 2013 at 00:06
Ein Kompliment nach meinem Geschmack ;-)