Was hat Jan Ullrich mit dem autoritären Staat zu tun? Nun, einiges; das beginnt damit, dass beide zu derselben Welt gehören und endet in dem entsprechenden Zusammenhängen. Ich mache periodisch darauf aufmerksam, dass politisch vordergründig irrelevante Bereiche wie Sport helfen können, Dinge zu erkennen, die sehr wohl auch mit Politik zu tun haben. Zumal wenn man beides als Medieninhalte wahrnimmt und darauf überprüft, in welchem Verhältnis zur Wahrheit diese stehen.

Jan Ullrich, so stellt die FAZ sieben Jahre zu spät fest, hat Eigenblutdoping betrieben. Er gibt das jetzt nämlich zu und fügt an, er habe niemanden betrogen, sondern “Chancengleichheit” hergestellt. Dass er dies schon 2006 genau so meinte, als er sagte, er habe “niemanden betrogen”, hat auch jeder gewusst, der es wissen wollte. Aber auch nach Jahrzehnten, in denen die ‘Einzelfälle’ dreistellig geworden sind, will der Journalismus noch immer nichts wissen. Ernsthaft redet Volker Stumpe für die FAZ von “Aufarbeitung der schwarzen Ära im Radsport“, als sei das nur eine Phase gewesen.

Die schwarze Ära, das ist der Radsport selbst. Didi Thurau, der Ende der 70er als Tour-Held gefeiert wurde, hat es deutlich gesagt: “Wir waren alle gedopt”. Das gilt seitdem und auch für alle Zukunft, Punkt. Wer das Aufarbeiten will, muss aufhören so einen Stuss zu reden wie “Dopingsünder”, “Geständnis” und “sauberer Sport”. Das ist ein Millionengeschäft, knallharte Konkurrenz, da besteht niemand ohne pharmazeutische Hilfe. Alles andere ist Lüge.

Hunderte Einzelfälle

Kurz umgeschaltet nach Obama-Town, Cameron-City, den Tatorten des kalten Putsches autoritärer Staatsführungen gegen ihre Nominaldemokratien. Es werden Whistleblower nicht etwa geschützt, wie es einige rührende Verbände seit Jahren fordern, sondern sie werden verfolgt. Nichts soll nach außen dringen; nicht nur werden die Whistleblower verfolgt und angeklagt wie Mörder, es werden jetzt alle unter Druck gesetzt, die auch nur eventuell etwas wissen und weitergeben könnten. McCarthy lässt grüßen. Angesichts der britischen Praktiken muss sich übrigens niemand mehr wundern, warum sie Julian Assange so gern via Schweden an seine Häscher ausliefern würden.

Was steht jetzt zum Beispiel von Insider Threat in deutschen Zeitungen oder auf ihren Online-Auftritten? Warum wussten sie nichts davon? Wieso wird von Seiten der Medien, nicht von den Verantwortlichen im Staat wohlgemerkt, inzwischen geleugnet, bis die Wahrheit einfach nicht mehr zu vertuschen ist? Wieso müssen Whistleblower ihr Leben riskieren und klären die Öffentlichkeit immer häufiger durch spektakuläre Berichte auf, die früher Sache eines investigativen Journalismus’ waren? Wieso stehen die Medien inzwischen regelmäßig auf Seiten der Regierungen anstatt die Quellen zu schützen, die Machenschaften aufdecken, welche diktatorischen Regimes gut zu Gesicht stünden?

Paradigmenwechsel

Es hat ein Paradigmenwechsel stattgefunden. Bedient wird das Narrativ, die Wahrheit, die sein soll. Dem entsprechen die Techniken der Verlage: Sie recherchieren nicht, sie widersprechen nicht, sie klären nicht selbst auf. Ihre höheren Angestellten treffen sich in Hinterzimmern mit Politikern, wo sie sich das Gefühl des Mitwissens verschaffen. Sie bieten Schweigen gegen Dabeisein und das rechte Licht gegen Vorabinformationen, von denen wir ja längst wissen, dass sie diese oft für sich behalten.

Was dabei herauskommt, ist eine groteske Verzerrung der Wirklichkeit, eine Art Infoporno, bei dem die Professionellen der Kundschaft ein gutes Gefühl verkaufen. Dazu wird eine komplette Scheinwelt erschaffen, in der nur Leistung zählt, die Guten Erfolg haben, die Betrüger bestraft werden und die Bestraften automatisch die Bösen sind. Es gibt Freunde und Feinde der Ordnung, alle jeweils an ihrem Platz und das große Ganze, das gut ist und alternativlos. In diesen Rahmen werden sie allesamt einsortiert, die Einzelfälle, die Ausnahmen und die Regeln.

Was das Wissen anders organisiert, ist Verschwörungstheorie oder Extremismus. Paradox: Die das Narrativ so geschäftig besorgen, sind im Grunde recht einsam. Ihnen glaubt niemand so recht. Sie wissen aber, dass niemand gegen die Lüge aufbegehrt, denn die Wahrheit ist gleichbedeutend mit einem schrecklichen Erwachen. Dann lieber schnell vergessen, dieselbe Story wieder hören und wieder vergessen, bis man den Text auswendig kennt, ohne jemals den Inhalt zu verarbeiten. Guten Abend, das Wetter.