Ich war in Schweiß gebadet. Das Internet verfolgte mich, bedrohte meine Familie und schickte sich an, das ganze Land zu zerstören. Es schwebte durch die Straßen und entließ Terror, Gewalt, Pornographie. Jeder Mann, der die Ausschweifungen sah, machte unverzüglich Jagd auf Frauen und Kinder. Jugendliche, die verdorben wurden, fielen über alte Menschen her oder schlossen sich zu fanatischen Sekten zusammen. Wir mussten handeln. Alle Gesetze wurden auf den Prüfstand gestellt und wir beschlossen unbarmherzige Maßnahmen, um dieser Seuche Herr zu werden.

So in etwa? Das Internet als Bedrohung darzustellen ist ein Anliegen der Rechtskonservativen, weil es in ihr Narrativ für ungebildete Rentner passt, ihre größte Wählergruppe. Die paranoiden “Bürger” – das kommt von “Burg” – die sich abends im Haus einschließen, weil sie Angst vor allem haben, was nicht zum Interieur gehört. Dass selbst die, weil es billiger ist, ihre Zierteller im Netz bestellen – geschenkt. Da aber das Grauen auch in ihrem Vorgarten wartet, kann es sich natürlich umso besser im Internet zusammenbrauen.

Spuk, Horror, Terror

engelfrankKennt jemand Ursula von der Leyen? Ja: Die einen als “Zensursula”, die anderen als Kämpferin gegen den Schmutz in Internet. Sie war es, die im Sinne der für die CDU essentiellen Spukgeschichten den Zombie erfand, der nach dem Konsum von “Kinderpornographie” sich “umschaut nach Kindern auf unseren Straßen.” Das ist immerhin mehr als vier Jahre her, dass sie das Horrorfilmkonzept der Union auf diese Formel gebracht hat.

Kommen wir aber zum wichtigeren Satz der Kanzlerin, dem nach dem Quatsch mit dem “Neuland”:
Es ermöglicht auch Feinden und Gegnern unserer demokratischen Grundordnung natürlich mit völlig neuen Möglichkeiten und völlig neuen Herangehensweisen unsere Art zu leben in Gefahr zu bringen.
Wie heißt es noch beim neoliberalen Partner SPD: “Auf das Wir kommt es an!”. Merkel spricht von der Art zu leben, der Art jener, die sie wirklich vertritt. Die sieht sie bedroht.

Wieder einmal, da hat sich an der Inkompetenz der Ignoranten nichts geändert, verwechselt hier jemand das Medium mit denen, die es nutzen. Allein: Im Internet wird es sichtbar, wird dokumentiert, dass die Menschen immer noch Meinungen haben, die sich nicht lenken lassen. Da kann jeder sagen, was ihm einfällt, und das lässt sich bislang nicht unterdrücken. Kein “Gatekeeper” passt da auf, dass nur die richtigen Ansichten durchkommen und die falschen nur in einer journalistischen Sandbox. Das kann gefährlich werden.

Die Art zu leben

In Zeiten, da die Menschen zunehmend isoliert sind – auch hier ist das Netz vielleicht ein Katalysator, aber keinesfalls Ursache – tauschen sie sich vermehrt online aus, diskutieren, verabreden sich, organisieren sich. Während Gewerkschaften, Parteien und Vereine erodieren, ist diese Verlagerung eine logische Konsequenz. Die Aufstände in Nordafrika, aber auch die Revolten in Stuttgart, Rio oder Istanbul, wurden daher von erhöhter Aktivität im Netz begleitet. Das ist ihr suspekt, das ist die Bedrohung für die Herrschaften, ihre „Art zu leben“ und die „Grundordnung“ einer darauf zugeschnittenen, eben marktkonformen „Demokratie“.

Diese Gefahr aber kommt nicht aus dem Netz, dem Telefon oder dem Briefkasten. Sie kommt von den Menschen, die Merkel nur mehr als Manövriermasse, Arbeitspflichtroboter und lästiges Pack von Nörglern kennt, das den Zoll ihrer “Globalisierung” nicht schweigend entrichten will. Die sind die Gefahr, nicht etwa der rassistische Popanz eines Islamismus, der in Jahrzehnten des Alarms niemanden bedrohte, während Nazis unbehelligt ihre Blutspur durchs Land zogen.

Dass die Hofschreiber dies anders sehen, versteht sich. Ein Johannes Kuhn etwa ölt sich ein und legt sich das “Neuland” so zurecht, dass jede aktuelle Entwicklung in jedem Bereich Neuland wäre. Als sei das so gemeint gewesen. Wenn man dann einmal ein so dummes Argument gefunden hat, das in keinem originären Zusammenhang zum Thema steht, wirft man am besten gleich dem Gegner die eigene Haltung vor. Spießer wie Kuhn haben das von den Fleischhauers gelernt: Sie projizieren und nennen ihre Gegner “Spießer”. Diese Strategien, Projektion und bezugslose Verallgemeinerung, definieren geradezu das Verhalten derer, die wir “Trolle” nennen. Auch da nichts Neues im Neuland.