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Einem “mutmaßlichen” Attentäter wird alles Mögliche nachgesagt und angedichtet. Einem. der noch nicht einmal sprechen kann, der lediglich verdächtigt wird – was angesichts der Praxis nach Anschlägen nicht einmal bedeutet, dass er auch verdächtig ist. Was ihn zu einer Tat bewogen habe (die er womöglich gar nicht begangen hat), welche Strafe ihn erwartet (natürlich muss er bestraft werden, der wird ja verdächtigt?); kurzum: Es wird ausschließlich über ihn kommuniziert, als sei er bereits überführt und verurteilt.

Niemand interessiert sich auch nur für die These, er könnte unschuldig sein. Niemand geht auch nur der Spur nach, die deftig nach Rechtsterror riecht. Niemand fragt auch nur nach der Rolle der Geheimdienste, die inzwischen auch für Zeitungsleser ersichtlich fast immer ihre Flossen im Spiel haben. Das ist kein Narrativ mehr, das ist ein Holzschnitt. Wer wissen möchte, wie das funktioniert, sollte sich einfach einmal vorstellen, er arbeitete in einer beliebigen Medienredaktion und täte seinen Job. Er täte seinen Job so, dass niemand behandelt wird wie ein Verurteilter, bis er verurteilt wird. Er stellte die Fragen, die naheliegen: Wem nützt es, gibt es Bekennerschreiben; wenn nicht, warum nicht; wenn ja, könnten es Trittbrettfahrer sein oder anders Motivierte. Noch einfacher: Er stellte wirklich Fragen, ehe er zu einem Urteil käme.

Nur Spinner stellen Fragen

Ich fürchte, mit einer solchen Einstellung und entsprechendem Vorgehen wäre man ganz schnell draußen. Recherche, Zweifel, Gründlichkeit, das sind inzwischen Hindernisse, die den Karriereweg völlig verbauen. Es könnte nicht bizarrer sein: Wer sich dieser Tugenden bedient, wird quasi automatisch mit “Verschwörungstheoretikern” auf einen Grill gehauen, denn wer an der Wahrhaftigkeit jener zweifelt, die sich immer häufiger beim Lügen erwischen lassen, muss ein Spinner sein.

Die Kontinuität dieser Kloake eines Restjournalismus ist dabei nicht bloß positive Propaganda für alles, was zufällig gerade herrscht und die Autoren der NATO-PR, sondern ebenso zermürbend für die Kritiker. Man kann sich nicht andauernd empören. Hinzu kommt, dass die Goldfisch-Mentalität der Journaille, für die mangels Erinnerung jede Runde in ihrem Glas die erste ist, nur durch Erinnerung zu durchbrechen wäre. Die aber ist heimtückisch, denn dazu bedarf es der Beispiele aus der Vergangenheit. Das Problem damit ist: Es gibt hunderte, aber man kann bestenfalls eine Handvoll benennen, ehe die Zuhörer abschalten. In dieser Zeit bringt die Reaktion locker ein oder zwei Beispiele von falschen Vermutungen oder Verschwörungstheorien oder erfindet sich zur Not welche. Das sieht dann aus wie “unentschieden”, und der Schwarze Ritter verschwindet schnell hinter den Kulissen.

Ich frage mich beizeiten, ob so etwas wie Aufklärung überhaupt funktionieren kann, zumal in einer Atmosphäre, die längst durch Barbaren geprägt ist. Solche, denen man nicht mehr beibiegt, dass selbst ein Verurteilter bis zum Richterspruch unschuldig war.