Der “Primus super pares” ist nicht mehr immun. Die lästigen Mücken und Zecken, als die er Gerichte und freie Parlamentarier betrachtet, dürfen ihm nun doch ans feudale Fell, wenn nicht wieder etwas dazwischen kommt. Der große Demokrator hatte sein Gesetz von seinen Anwälten ernsthaft mit dem Argument verteidigen lassen, der Ministerpräsident sei nicht “erster unter Gleichen”, sondern “Erster über Gleichen”. Tatsächlich mußte das italienische Verfassungsgericht dem Regierungschef deutlich machen, daß auch er nicht über dem Gesetz steht.

berlutsch

Quelle: Agência Brasil

Während andere dafür in den Knast wandern, daß Berlusconi sie nachweislich bestochen hat, gönnte sich der Duce selbst Narrenfreiheit und genoss sie fröhlich mit seinen Nutten. Daß die Richter ihn jetzt doch wieder unter das Gesetz stellten, betrachtet er als “politisch motiviert” und die Richter als “Linke”, wie die “Linken” in seiner Welt ja überhaupt alles in der Hand haben. Die Argumentation erinnert an die neoliberalen Schmierenkolumnisten hierzulande und ihre Repetitoren in Blogs und Foren, die behaupten, “die 68er” bestimmten, was politisch erlaubt sei und “Kommunisten” bedrohten den Staat. Die westliche Rechte hält in Zweifelsfall jeden Rest von Anstand für einen Anschlag auf ihre gesellschaftliche Stellung. Berlusconi ist in diesem Sinne gar kein besonderes Phänomen. Er ist nur besonders konsequent.

Demokratie lebt von Demokraten, sowohl in den Eliten als auch beim Fußvolk. Das Beängstigende an den Italienischen Verhältnissen ist die Degeneration der gesamten politischen Kultur. Im Ursprung spielte dabei zwar eine landesspezifische Korruption eine Rolle, die Entwicklung der letzten zwanzig Jahre ist aber von anderen Aspekten geprägt. Ein Konglomerat aus Politikern, Medien und Industrie reißt sich schamlos den Staat unter den Nagel. In der Person Berlusconis sind diese Mächte allerdings in einem tragischen Maße konzentriert.
Das Volk verleiht solchen Potentaten noch obendrein seine Zustimmung, weil es sich von Titten-TV und gesiebten “Informationen” derart verblöden lässt, daß man ihm schließlich alles unterjubeln kann.

Diese Verhältnisse sind ebenfalls im Italien Silvios des Ersten und Letzten besonders ausgeprägt, sie finden sich aber genau so hierzulande und überall dort, wo der Neoliberalismus sich mit einem “konservativ”-elitären Herrschaftsanspruch vereint. Es geht zuerst und zuletzt ums Geld, dazwischen ist die Politik, die als “Demokratie” firmiert. Um diese im Sinne der Eliten gestalten zu können, ist ein Popanz nützlich, der gemeinhin “links” ist. “Linksrutsch”, “68er”, “Kommunisten”, “Gutmenschen”, die alles unterwandern – das sind die Bedrohungen der Demokratie, wenn man der industriellen Presse glaubt. Eventuell kommen noch Terroristen, Ausländer und Asoziale hinzu.

Schaut man sich aber an, wessen Interessen Regierungen auf allen Ebenen vertreten, wirft man einen Blick auf die Entwicklung der Wahlbeteiligung und analysiert man vor allem die Themen und Argumente, die zur Wahlentscheidung angeboten werden, so ist die Demokratie nicht mehr bedroht. Sie existiert vielmehr gar nicht. Ein Ausgleich von Interessen, eine öffentliche Disksussion um Probleme und Lösungen, echte Alternativen der politischen Standpunkte sind nicht zu finden. Dafür aber reichlich Propaganda bis hin zur Hetze, die beinahe flächendeckend auf dasselbe hinausläuft. Die stets als “notwendig” deklarierten politischen Entscheidungen werden quer durch die planierte Medienlandschaft propagiert, sie gelten als “alternativlos”.

Womit wir bei einem entscheidenden Unterschied zwischen Deutschland und Italien sind. Dort mag die Verzweiflung groß sein über die Machtkonzentration beim Demokrator und die Tatsache, daß gut die Hälfte des Volkes so verblödet oder sediert ist, dem auch noch Beifall zu spenden.
Bei den anderen aber rumort es, es wird aufgeschrien und gezetert, sich empört und diskutiert.

Unsere eigenen Italienischen Verhältnisse sind stabiler. Hier schreit niemand auf. Zwischen rituellem Blabla in Talkshows und allgemeinem Desinteresse gedieh eine hässliche Spinne, die träge vor sich hin frisst ohne dabei großes Aufsehen zu erregen. Schlauer wird auch hier niemand, im Gegenteil. Die Medien und Parteien hierzulande haben viele Köpfe. Leider sind die allermeisten hohl wie eine Kuhglocke.