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Das Interview der FAZ mit Thomas de Maizière, aus dem ich gestern bereits zitierte, enthält gleich mehrere rhetorische Wurmlöcher, die drastisch deutlich machen, was Orwells “1984″ unter “Neusprech” versteht. Beginnen wir mit der genannten Formulierung:

Wir brauchen außerdem realistische Ziele und nicht zu viel menschenrechtlichen Überschwang bei der Entscheidung, Soldaten in ein anderes Land zu schicken.

“Menschenrechtlicher Überschwang”, was will uns das sagen? Überschwang, gebildet aus “überschwänglich”, deutet darauf hin, dass Menschenrechte bislang zu stark emotional besetzt waren oder in zu hohem Maße bei Kriegseinsätzen berücksichtigt wurden. Dies ist offen formuliert und keineswegs auf die “Ziele” allein bezogen. Keine Zweifel aber lässt der Militärminister, dass Menschenrechte nicht das Ziel von Kriegen sind. Ganz selbstverständlich ist die Rede von “Soldaten schicken”, wo “einmarschieren”, “angreifen” oder “Krieg führen” gemeint ist. “Je ferner der Kulturkreis ist, umso weniger” ist schließlich die Komponente, die “Kultur” sagt und am Ende “Rasse” meint, den wo Menschenrecht geteilt wird, da muss eine Hierarchie der Menschen mit mehr und weniger Rechten her. Derzeit geht es daher “konsequent” um Mali. Was hat die Bundeswehr in Mali zu schaffen? Oder die Französische Armee?

Dass Frankreich jetzt mit Armeekräften eingegriffen hat, ist konsequent und richtig.
“Mit Armeekräften eingegriffen”, auch hier wird nicht “bombardiert” oder “Krieg geführt”. Was daran konsequent ist, was woraus folgt, warum das richtig ist, wir erfahren es selbstverständlich nicht. Was dazu andeutungsweise ergeht, sind Schlagworte, Stereotypen, die Mittel der Propaganda eben. So werden diejenigen, die dort angegriffen werden, als “Terroristen” und “Islamisten” bezeichnet, auch von al Qaeda ist die Rede. Reizwörter ohne jeden Inhalt.

Terroristen ohne Menschenrechte

Beginnen wir mit dem “Islamismus”. Dürfen Muslime generell getötet werden, weil sie welche sind? Sind Christen “Christizisten”? Oder wenigstens solche Christen, die missionarisch tätig sind, die “christliche Wertegemeinschaft” militärisch durchsetzen oder Staatsverfassungen mit Bezug auf den christlichen “Gott” haben? Was unterscheidet den Islamismus vom Christizismus, warum sind überall “Islamisten” und nirgends “Christizisten”?

Wer in der Sahelzone “Terroristen” findet, der muss eine ganz spezielle Definition davon haben. Ich hätte sie gern gelesen bei dieser Gelegenheit. Der halbe Kontinent besteht aus äußerst instabilen Ordnungen, die “Staat” zu nennen schon recht mutig ist. Es wimmelt von waffenstarrenden Clans, Banden, Milizen und mehr oder weniger offiziellen Armeen, die von Plünderung, Erpressung und “Handel” leben, für den es gar keine Legalität gibt. Scharmützel, Rivalitäten, Massaker sind nicht selten. Der Absatz von Waffen aus aller Welt ist ein grandioses Geschäft. Wer genau sind da jetzt die “Terroristen”? Wie kann “Terrorismus” überhaupt aufkommen unter solchen Bedingungen?

Rhetorische Fragen. Die ‘Begründung’ für den “richtigen Einsatz” fehlt vollkommen. Wie gut, dass es die Rotgrünen gibt, wir werden gleich deren Erklärung dafür erfahren. Was de Maizière dazu ‘sagt’, ist reiner Pudding. Allein dafür lohnt sich die Lektüre des Artikels, ich kann das hier nicht am Stück zitieren.

Letzte Hilfe

Dafür folgendes:

Wir sind auch in der Regel nicht politisch verantwortlich dafür, was in fremden Ländern passiert. Dafür sind die Länder und die betreffenden Regionen selbst verantwortlich. Wir können da helfen, auch mal militärisch vielleicht, wir haben eine internationale Verantwortung, auch wir Deutschen, aber wir müssen nicht zwingend Verantwortung übernehmen, wenn es einen bitteren Bürgerkrieg irgendwo in der Welt gibt.

“Auch mal militärisch helfen” – wir helfen nur, ein wenig jenseits der Menschenrechte. Burks hat schon hingewiesen auf solche “Hilfe”, gleich davon noch mehr. “Verantwortung, … aber nicht zwingend Verantwortung”. Was ist das für eine Verantwortung? “Internationale”. Wer glaubt, dass etwas anderes gemeint sein könnte als die “transatlantische”? Schließlich, das gibt dem Ganzen die Würze: Wir müssen nicht in menschenrechtlichem Überschwang Bürgerkriege schlichten (die Joschka-Doktrin quasi, die bislang galt), sondern können so etwas ignorieren, während anderswo aus “internationalen” Gründen Krieg geführt wird. Das hätte man auch so formulieren können, dass es jemand versteht.

Dass der Kriegsminister “Teile der Grünen” kritisiert, ist strategisch verständlich, denn er hätte sie gern alle stramm auf Kriegskurs, so wie deren “Experten”. Beispiel: Omid Nouripour, “sicherheitspolitischer Sprecher der Grünen-Fraktion“. Der will nämlich auch nur helfen, und zwar schnell:
Ein Einsatz der Afrikanischen Union wäre zwar vorzuziehen, doch Mali braucht schnelle Hilfe, deshalb hat Paris richtig gehandelt

Hauptsache Krieg. Gegen wen eigentlich? Die FR spricht von “einem Zusammenschluss aufständischer Tuareg-Stämme und Al-Kaida-naher Islamisten”. Na klar. Wenigstens “Al-Kaida-nah”, das ist wohl jeder, der eine Sure gelesen hat. Ansonsten halt irgendwelche Bewaffneten. Rotgrün steht Gewehr bei Fuß, SPD-”Experte” Arnold sekundiert:
Mit fundamentalistischen Islamisten lässt sich schwer verhandeln“, “in Mali drohe andernfalls ein neuer Rückzugsraum für gewaltbereite Islamisten vor der europäischen Haustür“.

Morgen die ganze Welt

Wie günstig, dass man da nichts machen kann. “Gewaltbereit”, eine nachgerade schwachsinnige Formulierung, wenn längst geschossen wird. Reicht aber aus, um deutlich zu machen: Das sind keine Menschen, mit denen redet man nicht, die tötet man. Wer im übrigen in der Region jemals “leicht verhandelt” hat, melde sich bitte. Warum dann nicht gleich neue Kolonien aufziehen? Den Kameltreibern und Negern kann man doch eh nicht trauen.
Das Highlight dieser großen Darbietung heimischer Marschmusik: “Vor der europäischen Haustür!” Dort nämlich liegt der Süden(!) Malis. Und morgen die ganze Welt.

Warum überhaupt Mali? Ich weiß es nicht. Zwar liegt im Süden des Landes ein großes Goldvorkommen. Der derzeit jährliche Ausstoß von Gold im Wert von ca. 1,6 Milliarden Euro dürfte aber kein lohnenswertes Ziel sein. Es könnte wohl die Bemühungen ausgleichen, wenn man sparsam einmarschiert und sich aufs Wesentliche konzentriert. Außerdem kann es helfen, dass nicht die falschen Leute mit dem Gold die falschen Waffen kaufen. Geostrategisch ist die lange Grenze zum unsicheren, weil muslimischen Algerien, mit dem drittgrößten Ölvorkommen Afrikas und großen Gasreserven, ein mögliches Motiv. Der Weg vom Süden Malis in den Norden ist allerdings lang und steinig. Vielleicht soll auch für das Projekt “Desertec” und ähnliche bereits Land genommen werden. Ich kann da nur spekulieren.

Festzuhalten ist, dass der neoliberale Block mit seiner verfassungsmächtigen Mehrheit sich dahingehend einig ist, dass von deutschem Boden jederzeit Krieg ausgehen muss, wenn es den “internationalen” Interessen dient. Menschenrechte gehören nicht dazu. Die Wortwahl der Propaganda entspricht dem, was aus Diktaturen hinlänglich bekannt ist und überall dort üblich, wo das Recht des Stärkeren ungehemmt praktiziert wird.

p.s.: Es wird in den Kommentaren auch spekuliert, es könnte um Uran im Nachbarland Niger gehen. Wenigstens Ansätze und nicht bloß hohle Phrasen.