Fefe verweist heute auf eine spannende Studie, nach der in Nigeria eine extrem beliebte Fernsehserie signifikant die Einstellung der zuschauenden Bevölkerung beeinflusst, nämlich in ihrer Haltung und ihrem Handeln zur Familienplanung. Bei Zuschauerquoten von 70% und einer Serie, die also Langzeitwirkung entfalten kann, sind sowohl die Nachweisbarkeit als auch die Wirkung selbst entsprechend hoch. Hierzulande dürfte dergleichen so eindeutig seit der Einführung des Privatfernsehens nicht mehr zu beobachten gewesen sein.

Dennoch ist Fefes Frage natürlich die richtige: Wie sieht es eigentlich hier aus hinsichtlich des Einflusses der Medien auf die Einstellungen der Zuschauer?
Ich gehe dazu zunächst einen Schritt zurück in die Zeit, in der solche Einflüsse hier erkennbar waren, namentlich in die frühen 80er Jahre (die mich in den nächsten Tagen ohnehin intensiver beschäftigen werden). 1979 wurde im deutschen Fernsehen der Vierteiler “Holocaust” ausgestrahlt. Von dem, was die “68er” aufgewühlt hatten, war bis dahin nicht allzu viel angekommen in weniger gebildeten oder bürgerlichen Kreisen. Obwohl “Holocaust” in den “Dritten” lief, erreichte es Einschaltquoten von bis zu 40%.

“Holocaust”, ein Tabubruch

Ich erinnere mich sehr gut an die Wirkung im Umfeld meiner Familie. Es wurde bis dahin nie über den Nationalsozialismus gesprochen, schon gar nicht über die industrielle Vernichtung von Menschen. Durch diese Serie wurde das Thema präsent und blieb es über Jahre, bis eine routinierte Betroffenheit den Diskurs erstickte.

Dieses Beispiel ist eines für die Effekte von Massenmedien, hier das Aufbrechen von Tabus und die Verstärkung eines vorher nur latent vorhandenen Diskurses. Die Auseinandersetzung mit dem Nazistaat war bis dahin noch immer Tabu gewesen. Der Reflex, nichts damit zu tun haben zu wollen, war zu stark gewesen; andererseits war es zu einfach, dazu zu schweigen. Das änderte sich damit, dass das Fernsehen das Thema unübersehbar auf die Agenda gesetzt hatte.

Weniger nachweisbar sind freilich Anpassungsprozesse, die subtiler, verstreuter und weniger emotional besetzt sind. Man muss spekulieren, aber einige plausible Vermutungen lassen sich formulieren.

So dürfte zur Nachahmung motivieren, was in medialer Darstellung alltäglich erscheint, obwohl es real zunächst eher selten vorkommt. Ein gutes Beispiel dafür sind Nachmittagstalkshows und Gerichtsshows, die das Bild von einer asozialen verdummten Unterschicht zeichnen. Diese Brot-und-Spiele-Formate haben Folgen, u.a. Schamlosigkeit und Projektion. Wenn solches Verhalten öffentlich zur Schau gestellt wird, wird es von vielen für akzeptabel gehalten. Diejenigen, die hingegen noch einen Funken Schamgefühl haben, können sich somit erheben über Menschen, die vermeintlich noch unter ihnen stehen.

Die Sklaverei ist überwunden

An dieser Stelle greift der Boulevard zur Zweitverwertung und zeichnet das Bild von einem asozialen Pöbel, der nichts Menschliches mehr an sich hat und – da setzt die Propaganda auf – auf Kosten anderer lebt. Dieses Zerrbild entbehrt jeglicher Fakten; es ist ein aus Bildern von Bildern assoziativ zusammengesetztes Narrativ, eine Erzählweise, die niedrige Instinkte bedient und ideologischen Absichten folgt. Sie spaltet noch einmal in Unterschicht und Untermenschen und verfestigt den Schuldvorwurf an Arbeitslose, die mit solchen identifiziert werden.

Es kann theoretisch auch andersherum gehen, aber auf eine spannende Reihe zur Geschichte des Mehrwerts werden wir wohl vergeblich warten. Stattdessen wird aktuell ein äußerst zweischneidiges Programm in den Kinos gespielt. Das Thema ist die Sklaverei in den USA. Es ist schon erstaunlich, wie zielsicher die Aktualität in die Vergangenheit verlegt wird. Die Heroisierung eines Abraham Lincoln unterbietet dabei noch den historischen Niveaulimbo von Guido Knopp, aber das war ja zu erwarten. Dass Tarantino schon filmtechnisch bedingt der Sache näher kommt, versteht sich.

Das Thema ist hervorragend dazu geeignet, von der Wirklichkeit der Arbeiter in den USA und anderswo abzulenken, deren Abhängigkeit bei gigantischen Profiten und ungeheurer Produktivität sich immer weiter der Sklaverei annähert, mit dem Unterschied, dass Sklavenhalter immerhin dafür sorgen mussten, dass ihr Eigentum nicht verhungerte. Mit dem Unterschied, dass direkte blutige Gewalt nicht mehr das Mittel der ersten Wahl ist. Der Zwang ist subtiler, aber wie immer eine am Ende tödliche Drohung. Es wird unterschieden in Menschen und Untermenschen, die Knute halten die höheren Angestellten, die sich den Herren näher wähnen als den Sklaven. Als ‘Geschichte’ darf man jetzt darüber reden.