schirm“Rettungsroutine” wurde also just zum “Wort des Jahres” gewählt und hat gleichermaßen das Zeug, auch “Unwort” zu werden, wenngleich “Unwort” ein Unwort ist und nur aus dieser doppelten Negation seinen Wortstatus bezieht. Selbst das allerdings nur, wenn man den Adorno-Algorithmus unberücksichtigt lässt, der für Kenner Hegelscher Kopfstände darauf hinwies, dass die Negation einer Negation auch bedeuten kann, erstere sei “nicht negativ genug” (Irgendwo im stw “Negative Dialektik” bei S. 161ff, wenn ich mich nicht irre hihihi).

Das Wort war mir bislang kaum bekannt, vermutlich weil es unter all den “Brandmauern”, “Rettungsschirmen”, “Krisen” und “Spaßmaßnahmen” “Sparmaßnahmen” nicht weiter auffiel; allesamt Unwörter im Unwortsinne, Schwachfug, Hirnbrand, Neusprech und Psychose. Ob das “Sparen” durch Ausbluten von Volkswirtschaften, “Rettungen”, die nichts als Profitschleudern sind oder “Krisen”, die von größerer Dauer sind als die Phasen, die sie angeblich trennen – Sprache ist eine Fünfeurohure, wo die Propaganda dem Kapital die Öffnungen leckt.

Immerhin weist die Jury darauf hin, spricht von einer “instabilen europäischen Wirtschaftslage” und benennt “eine wiederkehrende, wenn nicht gar auf Dauer angelegte und auf Erfahrungen basierende Entwicklung.”

Keine weiteren Fragen

“Krise” ist eigentlich die meist kurze Umwälzung zwischen zwei Lagen (von der eine meist besser ist als die andere), hier aber ist das, was so bezeichnet wird, selbst längst die Lage. Ziemlich exakt die Lage übrigens, die Marx als Spätphase des Kapitalismus beschrieben hat. Aber der ist Pfui, also muss man die Sprache so zurechthämmern, dass es keiner merkt.

“Auf Dauer angelegt” ist nichts weniger als die “Krise”, deren Mittel jene “Rettung” ist, die weder je etwas gerettet hat noch dafür vorgesehen war. Jetzt höre ich wohl die Kritikaster, die mich erregt zu korrigieren wissen, weil da doch etwas gerettet werde. Ja ja, das Kapital!
Nein, sage ich. Denn am Ende – das ist das, was kommt, und zwar an sich und immer dicke – rettet auch niemand mehr das Kapital. Das ist ja das Verrückte. Nachdem nämlich die Staaten zu Tode gerettet sein werden, ist wieder die Phase mit dem Esspapier dran. Schlückchen Chablis dazu?

Semantik ist inzwischen ein Geschäft für Fachexperten, weil sich niemand mehr etwas fragt. Dabei ist die Kunst eigentlich leicht, wenn man eine kleine Anleihe aus dem Reich der Syntax macht. Die Satzstruktur ‘Subjektiv-Prädikat-Objekt’ weist den Weg: “Wer spricht wovon zu wem?” ist die Frage, die solche Unwortgetüme zu Staub der Propaganda zerfallen lässt. Wie gut, dass die Pflichtschulen aller Zweige sich zum gedungenen Mord an jeder Neugier vereinigt haben und alle Fragen eifrig ausgerottet.