Rettungsschirmherren in der Routinekrise
Posted by flatter under Best of , Politik[33] Comments
14. Dez 2012 17:21
“Rettungsroutine” wurde also just zum “Wort des Jahres” gewählt und hat gleichermaßen das Zeug, auch “Unwort” zu werden, wenngleich “Unwort” ein Unwort ist und nur aus dieser doppelten Negation seinen Wortstatus bezieht. Selbst das allerdings nur, wenn man den Adorno-Algorithmus unberücksichtigt lässt, der für Kenner Hegelscher Kopfstände darauf hinwies, dass die Negation einer Negation auch bedeuten kann, erstere sei “nicht negativ genug” (Irgendwo im stw “Negative Dialektik” bei S. 161ff, wenn ich mich nicht irre hihihi).
Das Wort war mir bislang kaum bekannt, vermutlich weil es unter all den “Brandmauern”, “Rettungsschirmen”, “Krisen” und “Spaßmaßnahmen” “Sparmaßnahmen” nicht weiter auffiel; allesamt Unwörter im Unwortsinne, Schwachfug, Hirnbrand, Neusprech und Psychose. Ob das “Sparen” durch Ausbluten von Volkswirtschaften, “Rettungen”, die nichts als Profitschleudern sind oder “Krisen”, die von größerer Dauer sind als die Phasen, die sie angeblich trennen – Sprache ist eine Fünfeurohure, wo die Propaganda dem Kapital die Öffnungen leckt.
Immerhin weist die Jury darauf hin, spricht von einer “instabilen europäischen Wirtschaftslage” und benennt “eine wiederkehrende, wenn nicht gar auf Dauer angelegte und auf Erfahrungen basierende Entwicklung.”
Keine weiteren Fragen
“Krise” ist eigentlich die meist kurze Umwälzung zwischen zwei Lagen (von der eine meist besser ist als die andere), hier aber ist das, was so bezeichnet wird, selbst längst die Lage. Ziemlich exakt die Lage übrigens, die Marx als Spätphase des Kapitalismus beschrieben hat. Aber der ist Pfui, also muss man die Sprache so zurechthämmern, dass es keiner merkt.
“Auf Dauer angelegt” ist nichts weniger als die “Krise”, deren Mittel jene “Rettung” ist, die weder je etwas gerettet hat noch dafür vorgesehen war. Jetzt höre ich wohl die Kritikaster, die mich erregt zu korrigieren wissen, weil da doch etwas gerettet werde. Ja ja, das Kapital!
Nein, sage ich. Denn am Ende – das ist das, was kommt, und zwar an sich und immer dicke – rettet auch niemand mehr das Kapital. Das ist ja das Verrückte. Nachdem nämlich die Staaten zu Tode gerettet sein werden, ist wieder die Phase mit dem Esspapier dran. Schlückchen Chablis dazu?
Semantik ist inzwischen ein Geschäft für Fachexperten, weil sich niemand mehr etwas fragt. Dabei ist die Kunst eigentlich leicht, wenn man eine kleine Anleihe aus dem Reich der Syntax macht. Die Satzstruktur ‘Subjektiv-Prädikat-Objekt’ weist den Weg: “Wer spricht wovon zu wem?” ist die Frage, die solche Unwortgetüme zu Staub der Propaganda zerfallen lässt. Wie gut, dass die Pflichtschulen aller Zweige sich zum gedungenen Mord an jeder Neugier vereinigt haben und alle Fragen eifrig ausgerottet.
Dezember 14th, 2012 at 17:37
Das ist jeweils Herrschaftssprache, die erzeugt wird, um eben nicht aufzuklären sondern um zu verwirren. Gemacht von Leuten mit Köpfchen für Leute ohne Hirn und Verstand.
Dezember 14th, 2012 at 17:44
So eine Krise ist doch per se nichts Schlechtes!
Im Gegenteil: Europa geht gestärkt(!) aus der Krise hervor!
https://www.bundesregierung.de/Content/DE/Artikel/2011/12/2011-12-14-er-bk-regierungserklaerung.html
Wenn es die Krise nicht gäbe, man müsste Sie glatt erfinden, als kraftspendendes Labsal.
Upps! Vielleicht ist das ja der Wahrheit näher als man zunächst glauben mag.
Gruß, Dude
Dezember 14th, 2012 at 17:45
Nicht ganz OT: Ich bin für die Bezeichnung des wieder einmal unfassbar gefährlichen Sprengsatzes unfassbar gefährlicher Ischlamischte als “Dönerbombe”. Bloß keine Ermittlungen in rechtsextremistische Geheimdienstkreise!
Dezember 14th, 2012 at 19:00
@ flatter
Deren zusammengebastelte Bomben können aber wenigstens explodieren, wenn sie es denn mal wirklich müssen:
https://de.wikipedia.org/wiki/Celler_Loch
Dezember 14th, 2012 at 19:34
Schöner Text. :)
Dezember 14th, 2012 at 19:41
Und schon knirscht es wieder im Gebälk…
Dezember 14th, 2012 at 20:15
“Sprache ist eine Fünf Euro-Hure, wo die Propaganda dem Kapital die Öffnungen leckt.”
Herzerfrischend. Definitiv ein Kandidat für den großen Büchmann.
Dezember 14th, 2012 at 20:50
Gefunden:
Fünf Euro-Hure
Dezember 14th, 2012 at 21:12
seite 161
negativer Dialektik als des »mit dem Objekt übereinstimmenden
« Wissens; die Etablierung dieses Wissens als Positivität jedoch
schwört jenes Programm ab. Durch die Formel von der
»Gleichheit mit sich«, der reinen Identität, enthüllt sich das Wissen
des Objekts als Gaukelei, weil dies Wissen gar nicht mehr
das des Objekts ist, sondern die Tautologie einer absolut gesetzten
Unversöhnlich verwehrt die Idee von Versöhnung
deren Affirmation im Begriff. Wird dagegen eingewandt, Kritik
an der positiven Negation der Negation versehre den Lebensnerv
von Hegels Logik und lasse überhaupt keine dialektische Bewegung
mehr zu, so wird diese autoritätsgläubig auf Hegels Selbstverständnis
eingeengt. Während fraglos die Konstruktion seines
Systems ohne jenes Prinzip zusammenstürzte, hat Dialektik
ihren Erfahrungsgehalt nicht am Prinzip sondern am Widerstand
des Anderen gegen die Identität; daher ihre Gewalt. In ihr steckt
auch Subjekt, soweit dessen reale Herrschaft die Widersprüche
erzeugt, aber diese sind ins Objekt eingesickert. Dialektik rein
dem Subjekt zurechnen, den Widerspruch gleichsam durch sich
selbst wegschaffen, schafft auch die Dialektik weg, indem sie zur
Totalität ausgeweitet wird. Sie entsprang bei Hegel im System,
hat aber nicht ihr Maß an ihm.
Denken, das an Identität irre ward, kapituliert leicht vor dem
Unauflöslichen und bereitet aus der Unauflöslichkeit des Objekts
ein Tabu fürs Subjekt, das irrationalistisch oder szientifisch sich bescheiden,
nicht an das rühren soll, was ihm nicht gleicht, vorm gängigen
Erkenntnisideal die Waffen streckend, dem es dadurch noch
Respekt bekundet. Solche Haltung des Denkens ist jenem Ideal
keineswegs fremd. Durchweg verbindet es den Appetit des Einverleibens
mit Abneigung gegen das nicht Einzuverleibende, das
gerade der Erkenntnis bedürfte. Die Resignation der Theorie vor
der Einzelheit arbeitet denn auch nicht weniger fürs Bestehende,
dem sie Nimbus und die Autorität geistiger Undurchdringlichkeit
und Härte schafft, als der gefräßige Überschwang. So wenig das
einzelne Existierende mit seinem Oberbegriff, dem von Existenz,
koinzidiert, so wenig ist es uninterpretierbar, auch seinerseits
kein Letztes, woran Erkenntnis sich die Stirn einstieße. Nach
161
Dezember 14th, 2012 at 21:37
Hm, meine Ausgabe ist von 1992, da ist dein Zitat auf S. 163.
Bei mir steht im ersten vollständigen Absatz S.161:
“Unmittelbar ist das Nichtidentische nicht als seinerseits Postives zu gewinnen und auch nicht als Negation des Negativen.”
In demselben Absatz, mitte nächster Seite, dann:
“Die Negation der Negation macht diese [unbeirrte Negation] nicht rückgängig, sondern erweist, dass sie nicht negativ genug war; … ”
Gut, das wir drüber … ;-)
Dezember 14th, 2012 at 21:40
@Horst Horstmann: Was sagt den die Rechtschrubung dazu? Nen Bindstrich mehr? Hab ich mich eh schwergetan mit.
Dezember 14th, 2012 at 21:45
@ flatter: “Hartgeldnutte” kommt ohne Bindestriche aus :P
Schön übrigens, wie du neben dem Karl Marx auch noch den Karl May untergebracht hast…
Dezember 14th, 2012 at 22:25
Jens Riewa von der Tagesschau hat jetzt ganz offiziell
Rainald Becker
zum ARD-Terrorismusexperten gekürt.Quasi dem “ZDF-Elmar sein Spiegel”.
Der Becker-Rainald ist doch sonst nur der unbeholfene Sidekick vom Deppendorf-Uli.Himmel,wohin soll das denn noch führen….?
Verschämte Grüße
Hagnum
Dezember 14th, 2012 at 22:32
Amike: Mann, bist du belesen, ey!
Dezember 14th, 2012 at 22:35
@Hagnum Ich weiß nicht mehr, welcher Gossenjournalist das war, aber neulich im WDR Radio sagte ein solcher Fachexperte zu den verdächtigten “Salafisten”: “Dass die sehr schnell einen Anwalt hatten, daran merkt man schon, wie die drauf sind”. Goebbels hat genau so gehetzt, aber der hatte noch Niveau dagegen.
Dezember 14th, 2012 at 22:38
@ flatter: Weil ich das Wort “Hartgeldnutte” kenne? :P
Nee, über Sam Hawkens kann ich heute noch lachen.
Dezember 15th, 2012 at 00:17
@ flatter:
Ist wie beim “Ein-Euro-Rimjobber”.
@ Amike:
Hartgeldnutten… warum muß ich jetze an Münzschlitz denken?^^
edit:
Ich seh grad: als Christ würde ich mit diesem Niveaulimbo ganz geschmeidig den Fußboden der Hölle wischen.
Dezember 15th, 2012 at 04:01
Mein Kollege, bald tod, auf der Suche nach Buntmetall in einem Keller von Karl-Marx-Stadt. Eine Rakete hat er mitgenommen und allen seinen Kollegen gezeigt.
Dezember 15th, 2012 at 07:38
@horst, die höllen hat keinen fußboden. die hölle ist bodenlos.
Dezember 15th, 2012 at 07:39
@flatter, stimmt, seite 159ff. die ausgabe, auf die ich momentqan zugreifen kann, sieht online wie die erstausgabe aus.
Dezember 15th, 2012 at 11:25
@Horst Horstmann: Nachdem ich eine Nacht über sie geschlafen habe, ist sie jetzt eine Fünfeurohure – wie Dreigroschenoper. Zwei Bindestriche, so viel Strich und Binde, waren mir in dem Zusammenhamg zu vulgär.
[edit: adress failure]
Dezember 15th, 2012 at 16:29
Also, was “Adorno” betrifft: Das versteht doch keiner, sollte allerdings verstanden werden …
Dezember 15th, 2012 at 16:36
Warum sollte? Vor allem ist das eine Frage der Mühe. Die Relativitätstheorie sollte auch jeder verstehen.
Dezember 15th, 2012 at 16:56
zu # 19
Aber die Kessel schweben doch nicht oder sind sie in die Wandnischen eingelassen?
Jemand sollte sich auskennen.
Dezember 15th, 2012 at 17:02
@flatter,
ich bemühe mich schon dem Einstein zu folgen .. was am hinterem Ende dabei herauskommt … keine Ahnung … das ist wie Bundesliga ohne Fußball …
Dezember 15th, 2012 at 18:43
@22+23 volker & flatter
Warum sollte ich ewas verstehen müssen, was offensichtlich so verklausuliert formuliert wurde, dass ich als Empfänger der Botschaft nicht gemeint sein kann. Hätten sich solche Herrschaften wie Adorno verständlicher ausgedrückt, statt eine Art Geheimsprache zu verwenden, wären deren Schriften wahrscheinlich um über die Hälfe geschrumpft. Wem es Spaß macht, bei diesem Wissensbereich ins Detail zu gehen, bitte.
Ich werde mir weder “Das Kapital” II und III, Adorno oder ähnliches Schrifttum antun, bloß um in Diskussionen mit gewissen Leuten als gleichwertiges Mitglied der Gesellschaft anerkannt zu werden. Dieselben Leute haben nämlich evtl. von anderen Sachen gar keine Ahnung, mit denen ich mich ganz gut auskenne.
Wer sich ständig hinter unverständlichem Kauderwelsch verstecken muss, dem unterstelle ich sogar, dass er selbst “sein” Thema wirklich verstanden hat, sonst könnte er es auch in einfachere Worte fassen. Vielleicht geht es solchen Leuten aber auch gar nicht um die Sache, sondern darum, besonders gelehrt zu wirken. Mit solchem Quark gebe ich mich nicht ab, dafür ist mir meine Zeit wirklich zu schade.
Irgendwo zwischen Spitzfindigkeit und Plattitüde ist vielleicht am besten zu diskutieren, wenn es nicht nur um den Zweck des Diskutierens gehen soll.
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Gibt es auch eine Rettungsroutine für besonders interessante Artikel und Kommentare auf dieser Seite?
Dezember 15th, 2012 at 19:12
@reneé: Es gibt Zusammenhänge, die so komplex sind, dass man sie nicht weniger komplex artikulieren kann. Ich finde Adorno im Vergleich zu Hegel noch gut lesbar. Natürlich muss man die Begriffe kennen und viele Hintergünde; das ist ein Grund, warum man das studieren kann. Muss nicht jeden interessieren, ist aber eben alles andere als selbsterklärend. Das da oben ist aus der Mitte eines fetten Schmökers, ungefähr so, als würdest du erklären, wie eine Kupplung funktioniert, wenn du wissen willst, wie man ein Auto zerlegt – und daraus eine aus dem Zusammenhang gerissene Seite. Muss das einfacher? Nee, geht nicht einfacher. Müssen da so unverständliche Dinge drin sehen wie Ausrückhebel, Tellerfeder, Getriebewelle und Kraftschluss? Sieht so aus.
Dezember 15th, 2012 at 20:06
@renée – “Best of”
(rechte Sidebar – ungefähr Mitte – Kategorien)
Dezember 15th, 2012 at 21:06
Ich habe den leisen Verdacht, Kupplung liegt mir eher.
;-)
Trotzdem bezweifle ich, dass geisteswissenschaftliche Themen ausschließlich mit hochkomplexer Fachtherminologie dargestellt werden können. Solange diese – von mir durchaus als sehr wichtig angesehene – Themen nur in “Elfenbeintürmen” zirkulieren, statt dass sie in verständlicherer Form “unters Volk” gebracht werden, haben sie letztendlich wenig Wirkung.
Heute ist ja weniger Religion das Opium des Volkes, sondern RTL & Co. Wenn man dem etwas entgegensetzen möchte, muss man sich halt mal bücken. Für unmöglich halte ich das nicht, aber in der “Schicht”, aus der ich stamme, braucht man mit solcher Sprache wie in obigem Zitat nicht anfangen, da liegen Welten dazwischen. Was ich schade finde, denn es wäre für jemanden, der beide “Sprachen” spricht, sicherlich nicht ausgeschlossen, diese Themen verdaulicher zu präsentieren.
Aber wenn, es tatsächlich so sein sollte, wie du postulierst “Nee, geht nicht einfacher.”, dann muss es wohl so bleiben. Wenn ich mehr Zeit hätte, würde ich dich gerne widerlegen, aber sei’s drum, ist eh’ nicht so wichtig, dass ich hierfür meinen kaum vorhandenen Ehrgeiz überstrapaziere. ;-)
Ääähm … was ist an Ausrückhebel, Tellerfeder, Getriebewelle und Kraftschluss so unverständlich?
Dezember 15th, 2012 at 23:36
…dass es sich um die Trockenkupplung handelt.
Dezember 16th, 2012 at 01:39
@28 Wat.
Danke. Ist das die “Hall of fame”?
(oder die “Hell of flame”)
@30
Die Feinheiten der Kraftfahrzeugmechanik tangiert mich noch nicht mal peripher, da ich mir solchen Popanz vom Leibe gehalten habe. Die Grundprinzipien von Verbrennungsmotoren, Getrieben und Kupplungen, allgemeiner: Kraftübertragung, sind mir als ausgebildeter Technischer Zeichnerin für Maschinenbau durchaus geläufig, auch wenn der Zeitpunkt meiner Ausbildung in den Geschichtsbüchern längst nicht mehr die letzten Seiten füllen dürfte. Ich habe auch nicht nur auf meinem Computer sogenannte “toolboxes”, auch meine ganz analog daher kommenden Werkzeugkoffer sind überreichlich gefüllt und das Tollste ist, ich kann mit dem Zeug sogar umgehen. ;-)
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Ganz OT
Vor ca. 1/2 Jahr fragte ich meine Tochter, wo sie mal gerne wieder hinwollte. Antwort: Zum Baumarkt.
Passt ;-)
Ich selber musste damals auch feststellen, dass ich mich ohne “Bumbewassazong” (Rohrzange) ganz hilflos und unglücklich fühle – also ab zum Baumarkt. Mutter und Tochter wieder froh.
Dezember 16th, 2012 at 02:46
Ist das nun ein Zollstock, ein Metermaß oder ein Gliedermaßstab… ist jenes ein Franzose, ein Schraubenzieher oder ein Schraubendreher – vollkommen wurscht, gib her dat Dingens oder machs alleene.
“Die Glühbirne brennt” war der beliebteste Satz meines Physikleherers, bei diesem zückte er dreifach die fünfkommanull fürs Klassenbuch…
@renée: Ist die Hall “Best of flatter” – kannste ‘nen Antrag stellen, flatter beschließt dann ganz demokratisch, ob da ein Beitrag reinkommt, odda so.
Dezember 16th, 2012 at 05:38
@32 Wat.
Na, das sind dann wenigstens klare Verhältnisse ;-)