In einer chinesischen Enzyklopädie (Foucaultleser kennen das) soll einmal folgende zoologische Einordnung vorgenommen worden sein:
“a) Tiere, die dem Kaiser gehören, b) einbalsamierte Tiere c) gezähmte, d) Milchschweine, e) Sirenen, f) Fabeltiere, g) herrenlose Hunde, h) in diese Gruppierung gehörige, i) die sich wie Tolle gebärden, k) die mit einem ganz feinen Pinsel aus Kamelhaar gezeichnet sind, l) und so weiter, m) die den Wasserkrug zerbrochen haben, n) die von weitem wie Fliegen aussehen”.

So etwas muss man allmählich wieder sehr ernst nehmen, denn was noch vor einigen Jahren oder Dekaden als “absurd” gegolten haben mag, ist großenteils ‘vogue’. ‘Vogue’ oder ‘in Mode’ ist eine ganz eigene Kategorie, die alles und nichts ermöglicht. Es ist das, was ‘gilt’. Zeitungen schreiben so etwas wie “Kevin Pachulke gilt als Experte für Schulhofkampfsport“. Wenn es dort steht, dann ist das so. Es kann das, weil das Sein-als-Geltung in der Form ‘gilt als’ ganz fix für abwesend befunden wird, wenn es irgendwie im Weg steht. Das Beste daran: Man muss es nicht revidieren, geschweige denn widerlegen. Es ist, steht und gilt ja in keinem Zusammenhang, sondern ob seiner Publizität. Es muss nur auflagenstark, laut oder oft genug wiederholt werden, dann ‘gilt’ es. Danach kann man es auch einfach wieder vergessen, vor allem, wenn es sich als kompletter Unsinn erweist.

Wer als Experte gilt

Es ist von daher nicht schicklich, das, was ‘gilt’, einem Abgleich oder einer systematischen Ordnung zuzuführen. Um Himmels Willen, man würde auf der Stelle verrückt werden. Gleichwohl gibt es Experten, die das, was ‘gilt’, sehr virtuos hervorzaubern und wieder der Vergessenheit überantworten können. Sie können in Einzelfällen sogar erklären, welcher temporäre Zusammenhang mehrere ‘Gilt als’ umfassen kann, die sich ganz offenbar nicht gleichzeitig in denselben Schädelschwamm gießen lassen, ohne dass der entrüstet aus dem Oberstübchen auszieht. Es bedarf allerdings einiger Übung (Zeitung gucken, Fernsehen), um für diese Schwingungen empfänglich zu sein. Solche Amnesie bedarf einer empfindlich synchronisierten Taktung und tritt schon beim leisesten Hauch kognitiver Aktivität eine panische Flucht an.

So wie oben bei den “Tieren” gibt es nur ein Ordnungsprinzip beim ‘Gilt als’, nämlich den Namen, die Bezeichnung. Was “Tier” ist, kann dann beliebig aufgezählt werden, es ordnet der, der spricht. Ebenso ist es beim ‘Gilt als’, das allerdings einen Verbündeten hat, der nicht zufällig im Beispiel Kevin P. zur Sprache kam: den Experten. Der Experte gilt vorab vor allem selbst als einer. Indem er einer ist, kann er dadurch weitere Geltung erzeugen, indem was er sagt, als das ‘gilt’, was er sagt. Gilt ein Herr Werner Sinn als Ökonom und nennt Konsum “schädlich”, dann gilt Konsum als schädlich. Ebenso kann er jemand anderen nennen, der dann ebenfalls als das Genannte gilt.

Völlig uninteressant

Zu amüsant übrigens, dass es einen gibt, der als “größter Philosoph” gilt – hierzulande vermutlich aller Zeiten (solange nicht gerade ein anderer Geburtstag hat), der sich um Kopf und Kragen deliriert hat bezüglich “Geltungsansprüchen”. Das hat eigentlich nie jemanden wirklich interessiert, und hätte er sich mehr für die da draußen interessiert, wüsste er sicher mehr über “Geltung”. Theorien gelten nämlich als äußerst überflüssig. Zu seinem Glück die guten genauso wie die schlechten.

Diesen Umständen verdanken wir auch die Tatsache, dass Politologie und Parlamentarismus von allem Ballast befreit wurden, der zu unkomfortablem Regieren oder der Gefährdung von Abgeordneten durch Überarbeitung führen könnte. So gilt Dirk Niebel etwa als “Entwicklungshilfeminister”, SPD und Grüne gelten als “linke Opposition”, Kapitalismus als “sozial” und die periodisch eingeholte Zustimmung zur Massenarmut als “Demokratie”.
Daher ist es auch nur folgerichtig, dass eine “Rede”, von einem Lohnschreiber formuliert, einer Sekretärin abgetippt und von einem Beamten des Bundestagspräsidiums in einem Aktenschrank entsorgt, als “vom Abgeordneten gehalten” gilt.